Das sind die größten Diät-Irrtümer

von Redaktion

INTERVIEW Ein Münchner Ernährungsexperte exklärt, was die Pfunde wirklich purzeln lässt

Ernährungsmediziner Dr. Gert Bischoff ist Leiter des Zentrums für Ernährungsmedizin und Prävention im Krankenhaus Barmherzige Brüder in München. Zusammen mit seinem Team berät und begleitet er Patienten, die auf gesunde Weise Gewicht verlieren möchten.

Herr Dr. Bischoff, rennen Ihnen die Leute jetzt nach den Feiertagen die Tür ein?

Im ersten Quartal des Jahres bekommen wir tatsächlich mehr Anfragen, weil viele den Vorsatz gefasst haben, ihr Leben zu ändern. Der Jahreswechsel gibt da den nötigen Motivationsschub. Medizinisch gesehen ist es aber natürlich wurscht, wann man mit dem Abnehmen anfängt.

Woran merke ich denn, dass ich das Thema Gewichtsverlust dringend auf die Liste der guten Vorsätze setzen sollte?

Ein guter Anhaltspunkt ist der Body-Mass-Index BMI, das Verhältnis von Körpermasse zu Körpergröße im Quadrat. Den kann man auch mithilfe vieler Online-Rechner bestimmen. Liegt der BMI über 30, gilt man als adipös – und muss auf jeden Fall abnehmen. Liegt er zwischen 25 und 30, sollte man mit dem Arzt besprechen, ob eine Gewichtsabnahme angebracht ist.

In der Theorie ist Abnehmen einfach: Wir müssen mehr Energie verbrauchen, als wir aufnehmen. Warum fällt das so schwer?

Im Grunde haben Sie recht: Wer abnehmen möchte, sollte pro Tag ungefähr 500 Kalorien weniger zu sich nehmen, als er verbraucht. Aber wir wissen ja bei vielen Dingen, dass sie schlecht für uns sind – und tun sie trotzdem. Gerade Essen hat ja häufig eine emotionale, genießerische Komponente, die über die reine Nahrungsaufnahme hin-ausgeht.

Nehmen wir an, ich habe den ersten Schritt getan und den Entschluss zum Abnehmen gefasst. Was kommt als Nächstes?

Das kommt ein bisschen darauf an, wie schwer ich bin und was meine Ziele sind. Wenn ich tatsächlich deutlich übergewichtig oder sogar adipös bin, mein BMI also bei 25, 30 oder höher liegt, sollte ich eine professionelle Therapie in Anspruch nehmen. Bei Adipositas fußt sie auf vier Säulen: eine medizinische Betreuung, eine Ernährungsberatung, eine Bewegungstherapie und eine psychologische Verhaltenstherapie.

Und wenn ich nur die Feiertagspfunde los- werden will?

Dann können Sie zum Beispiel Süßigkeiten oder Alkohol weglassen. Auch Kalorienzählen mit speziellen Apps in Kombination mit einem Schrittzähler funktioniert. Das ist auch eine Chance, das eigene Essverhalten zu reflektieren.

Wie viel Gewichtsverlust in welcher Zeit ist denn realistisch?

Wenn Sie Ihre Ernährung umstellen und auf ein Kaloriendefizit achten: ein bis zwei Kilo im Monat. Bei einer professionellen Adipositas-Therapie können es auch zehn bis 15 sein. Aber das hängt auch immer von Ausgangsgewicht, Alter und Geschlecht ab. Wenn eine 70-jährige Dame ein Kilo abnehmen möchte, wird ihr das schwerer fallen als einem 20-jährigen Mann, der 160 Kilo wiegt. Was in jedem Fall nichts bringt: Radikalkuren, von denen ich schon von Anfang an weiß, dass ich sie nicht durchhalte.

Aber gerade die sind oft besonders verlockend.

Je skurriler etwas ist, desto eher kommt es in die Presse – und desto eher bleibt es im Kopf. „Schlank im Schlaf“, das klingt natürlich toll. Im Grunde habe ich aber immer genau zwei Stellschrauben, an denen ich drehen kann: Kalorienaufnahme und Kalorienverbrauch. Also läuft es immer hinaus auf eine Ernährungsumstellung und mehr Bewegung.

Trotzdem gibt es ja immer wieder Diättrends. Ich gebe Ihnen da mal ein paar Stichworte und Sie sagen mir, was Sie davon halten – in Ordnung?

Gerne.

Low Carb?

Extreme Formen wie die Atkins-Diät sind Unsinn. Low Carb, also eine Reduzierung von Kohlenhydraten, funktioniert wegen der verringerten Kalorienaufnahme grundsätzlich ganz gut. Dabei sollten Sie beachten, dass nicht jedes Kohlenhydrat böse ist: Ungünstig sind schnell verwertbare wie Zucker. Komplexe Kohlenhydrate dagegen, etwa Vollkornprodukte, erhöhen den Blutzuckerspiegel nicht so schnell, machen länger satt und liefern zusätzlich meist auch Vitamine und Ballaststoffe.

Metabolic Balance, also eine Stoffwechsel-Diät auf Basis der individuellen Blutwerte?

Kostet einen Haufen Geld und ist nutzlos: Es gibt keine einzige Studie, die eine besondere Wirkung beweist.

Intervallfasten?

Ein riesiger Pseudo-Hype. Neulich habe ich ein Zitat gelesen, das es für mich sehr gut trifft: Eine schlechte Ernährung wird nicht dadurch besser, dass man sie länger unterbricht. Unsere Erfahrung ist außerdem, dass gerade übergewichtige Menschen nach einem längeren Intervall einen solchen Heißhunger bekommen, dass sie eine besonders üppige Mahlzeit zu sich nehmen.

FdH, die vornehme Abkürzung fürs alte Prinzip „Friss die Hälfte“?

Kann man machen. Aber wenn ich einfach nur die Hälfte von dem esse, was ich bisher gegessen habe, werde ich immer Hunger haben. Ich muss stattdessen die Zusammensetzung meiner Mahlzeiten verändern, so dass sie viel Eiweiß und wenige Kalorien enthalten. Wir brauchen zwei Dinge zum Sattwerden. Erstens Zeit: Nach 20 Minuten stellt sich ein Sättigungsgefühl ein – also hilft eine langsame Essgeschwindigkeit. Zweitens Volumen: Je mehr Volumen ich zu mir nehme, umso satter bin ich. Wenn Sie eine große Salatschüssel essen, haben Sie viel Volumen, aber wenig Kalorien. Wenn Sie das gleiche Volumen an Pommes essen, haben Sie das zwanzigfache an Kalorien.

Pillen und ähnliche Hilfsmittel?

Alle frei verkäuflichen Abnehmpillen sind nutzlos und haben in Studien keinen Effekt gezeigt. Eiweiß-Shakes dagegen, die in eine Ernährungsberatung eingebunden sind und einzelne Mahlzeiten ersetzen, können sinnvoll sein. Viele Menschen essen zum Beispiel über den Tag ganz vernünftig – und schlagen beim Abendessen über die Stränge. Wenn ich diese Problemmahlzeit kurzfristig durch einen sättigenden Shake ersetze und mich gleichzeitig beraten lasse, kann das einen positiven Effekt haben. Aber weiter zu essen wie immer und einfach zusätzlich einen Shake zu trinken, ist Quatsch.

Mittelmeerkost?

Dahinter steckt ja einfach, dass man viel Obst und Gemüse isst mit wenigen, hochwertigen Fetten und viel Fisch. Viel Gewicht wird man damit nicht verlieren, aber eine gesunde Ernährung ist das auf jeden Fall. Aber das muss ich nicht mediterran nennen, Sie können sich auch deutsch und gesund ernähren.

Gibt es denn irgendwelche Regeln, an die ich mich beim Thema Abnehmen halten kann?

Eine gute Hilfe sind die zehn Regeln für gesunde Ernährung von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung, die findet man auch im Netz. Darin steht zum Beispiel: wenig tierische Lebensmittel, hauptsächlich vegetarische und Milchprodukte. Und, ganz wichtig: In Bewegung kommen und bleiben. Das wird häufig vergessen.

Dann habe ich also meinen Vorsatz, mein Ziel und einen Plan. Jetzt zum Thema Durchhalten.

Einen dauerhaften Abnehm-Plan ganz alleine durchzuhalten, fällt den meisten sehr, sehr schwer. Wichtig ist zum einen die Unterstützung durch die Familie und den Partner. Und zum anderen eine externe, professionelle Kontrolle – und sei es, dass ich mich nur alle drei Monate mit meinem Ernährungsberater zusammensetze.

Was ist der häufigste Grund, warum eine Diät scheitert?

Dass man versucht, zu extreme Dinge zu tun. Das Wort Diät stammt vom griechischen Wort für Ernährung – es bedeutet also gar nicht unbedingt, dass ich kurzfristig weniger essen oder gar hungern muss. Adipositas ist eine chronische Krankheit. Als solche muss sie ein Leben lang behandelt werden. Wenn Sie Bluthochdruck haben, setzen Sie Ihre Tabletten ja auch nicht wieder ab, sobald der Blutdruck sinkt.

Angenommen, ich schlage trotz aller guten Absichten beim Essen einmal völlig über die Stränge. Wie geht man mit solchen Rückschlägen am besten um?

Solche Situationen kommen bei den meisten vor. Machen Sie einen emotionalen Strich drunter, ändern können Sie es nicht mehr. Die Gefahr ist, dass man die komplette Ernährungsumstellung über den Haufen wirft. Nach dem Motto: Jetzt ist es eh schon zu spät.

Angenommen, ich habe durchgehalten und mein Wunschgewicht erreicht. Habe ich es jetzt geschafft?

Das ist so eine Sache. Der Körper versucht, das höchste Gewicht, das Sie mal hatten, wieder zu erreichen. Bis sich dieser sogenannte Set-Point dauerhaft verschiebt, vergehen fünf bis zehn Jahre. Bevor Sie Ihr neues Gewicht über so einen langen Zeitraum gehalten haben, sollten Sie es weiter im Auge behalten, um Rückfälle zu vermeiden.

Interview: Anne-Nikolin Hagemann

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