Todesfalle Schnee

von Redaktion

Lawinen haben erste Todesopfer gefordert. Und bei vermeintlich harmlosen Stürzen in den Tiefschnee erstickten zwei Wintersportler. Die Lage in den Bergen bleibt angespannt. Tauwetter könnte Gleitschneelawinen auslösen. Selbst beste Ausrüstung hilft oft nicht. Experte Thomas Feistl erklärt, welche Gefahren lauern.

VON WOLFGANG HAUSKRECHT

München – Der Winter hat viel Märchenhaftes. Aber Schnee ist auch tückisch, oft unterschätzt, manchmal tödlich. Die starken Schneefälle haben tragische Unglücke mit sich gebracht. Drei Lawinentote – und am Sonntag zwei tödlich endende Stürze im Tiefschnee. Im Skigebiet von Zauchensee im österreichischen Pongau stürzte ein Skifahrer (35) aus Slowenien abseits der Piste, versank im Tiefschnee und erstickte. In Vorarlberg kam eine 24-jährige Snowboarderin aus der Schweiz von der regulären Piste ab, kippte in einen Steilhang und blieb kopfüber im Tiefschnee stecken. Auch für sie kam die Hilfe zu spät.

Thomas Feistl, Vizechef der Lawinenwarnzentrale Bayern, gehört zu jenen Menschen, die versuchen, solche Unglücke zu verhindern. Seine Behörde, die zum Landesamt für Umwelt gehört, hat für die Bayerischen Voralpen, die Chiemgauer Alpen und die Berchtesgadener Alpen Warnstufe vier ausgerufen – die zweithöchste Stufe. Jeden Tag bekommen er und seine fünf Kollegen Messdaten in das Münchner Büro, kontaktieren die rund 50 ehrenamtlichen Beobachter, werten Schneeprofile aus. „Die hohen Schneedecken werden uns erst mal bleiben“ sagt Feistl. „Es ist mit Selbstauslösungen von Schneebrett- und Lockerschneelawinen zu rechnen.“ Auch in Österreich ist man in Alarmbereitschaft. In Tirol werden bis Donnerstag bis zu 120 Zentimeter Neuschnee erwartet. „Dies verschärft die Lawinensituation immens“, so Rudi Mair vom Lawinenwarndienst Tirol. Der Wetterdienst kündigte die nächste Unwetterwarnung für den Alpenrand an.

Schneebrett, Lockerschnee, Gleitschnee. Die Sprache der Experten ist kompliziert, denn Lawinen haben verschiedene Gesichter. Derzeit herrscht massive Schneebrettgefahr. In Hängen steiler als 30 Grad lauern Schwachschichten. Bei Belastung durch Neuschnee oder Skifahrer kann die Schwachschicht brechen. Der Bruch breitet sich großflächig aus – und eine Lawine geht wie ein Brett ab. Das Tückische: Tourengeher können diese Art von Lawine auch auslösen, wenn sie ganz unten im Hang stehen. Die Lawine löst sich oberhalb des Verursachers und reißt ihn mit. Anders als Lockerschneelawinen, die unterhalb des Skis abgehen.

Sollte es wärmer werden, ist die Gefahr keineswegs gebannt. Gleitschneelawinen drohen. Diese lösen sich direkt am Boden, die gesamte Schneedecke geht ab. Gewaltige tödliche Walzen. „Der Boden ist um die null Grad warm“, erklärt Feistl. „Der Schnee ist ein guter Isolator, die Luftkälte kommt am Boden nicht an. So taut es am Boden. Wenn sich das Wasser staut, wird es rutschig und die Lawine kann abgleiten.“

Feistl rät jedem, wenn überhaupt, gut ausgerüstet neben den Pisten unterwegs zu sein. Zur Standardausrüstung gehören ein Lawinenverschüttetensuchgerät, eine Lawinensonde – und eine Schaufel, um einen Verschütteten ausgraben zu können. „Das sollte jeder dabeihaben, sonst ist es fast unmöglich, jemanden rechtzeitig zu befreien. Wenn Sie in einer Lawine drin sind, dann können Sie wahrscheinlich nicht mal mehr den kleinen Finger rühren. Das ist wie Beton! Sehr kompakt, sehr schwer. Da können Sie selber gar nichts mehr tun. Da müssen Sie darauf hoffen, dass Sie jemand rettet.“ Dieser Jemand muss den Verunglückten mit dem Suchgerät orten, mit der Sonde genau lokalisieren und mit der Schaufel ausgraben. „Mit den Händen haben Sie keine Chance“, sagt Feistl.

Dass die Bergretter häufig zu spät kommen, hat einen einfachen Grund: Die Uhr tickt rasant. Die häufigste Todesursache ist Ersticken. „Man sagt, 15 Minuten lang überlebt mehr als die Hälfte, danach sinkt die Überlebenswahrscheinlichkeit rapide“, erläutert Feistl. „Das ist meist nicht lang genug, damit eine Rettungsmannschaft vor Ort ist – also ist man darauf angewiesen, dass einen die eigenen Kameraden rausholen.“

Aber selbst die beste Ausrüstung ist keine Lebensversicherung. Ein 32-Jähriger aus der Nähe von Heilbronn hatte am Sonntag alles dabei, was Feistl rät. Im Skigebiet Damüls in Vorarlberg wurde er bis zum Hals verschüttet. Noch bevor er befreit werden konnte, gingen weitere Schneemassen ab und begruben ihn. Der Mann erstickte. Einem 26-Jährigen aus dem Kreis Dachau half in Schoppernau in Vorarlberg sein Lawinen-Airbag nichts. Zwar bewirkte das Gerät, dass seine Beine noch aus dem Schnee ragten. Aber seine Begleiterin und Bergretter konnten ihn nicht rechtzeitig ausgraben. Die dritte Tote ist eine 19-Jährige. Sie wurde am Teisenberg im Berchtesgadener Land verschüttet.

Feistl rät Skifahrern, die gern abseits unterwegs sind, sich Kenntnisse über Schneedecken und Lawinenbildung anzueignen. „Alpine Verbände bieten Kurse an.“ Auch der Lawinenwarndienst bildet aus – Experten für Gemeinden mit Lawinenschutzkommissionen. Diese treten regelmäßig zusammen, entscheiden, ob Straßen gesperrt werden müssen. „Momentan haben wir viele Sperrungen von Berchtesgaden bis ins Allgäu“, sagt Feistl. Wann die Straßen wieder öffnen, kann er nicht sagen. Auch das entscheiden die Kommissionen. Auf der regulären Skipiste, sagt Feistl, müsse man sich keine Sorgen machen. „Wenn eine Piste gefährdet ist, wird sie gesperrt.“

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