Hattenhofen – Es ist der 6. April 2016. Ein Donnerstag. Markus Wex sitzt am Schreibtisch, seine Kollegin telefoniert. Die Tür geht auf. Wex hört das, steht intuitiv auf, geht zum Schalter der VR-Bankfiliale im tiefen Westen des Landkreises Fürstenfeldbruck. Als er den Kopf hebt, blickt er in die Mündung einer Pistole. Der Mann dahinter trägt Strumpfmaske. „Ich hatte erst den komischen Gedanken, da erlaubt sich ein langjähriger Kunde einen schlechten Scherz“, erzählt Wex. „Aber ich habe schnell gemerkt, dass es ernst ist.“
Der Mann kommt sofort zur Sache. „Geld her“, sagt er in akzentfreiem Deutsch. „Mach!“ Kurze Ansagen, kein Wort zu viel. Markus Wex, 44, der zwei Filialen im Landkreis leitet, macht. In einem Fach hat er Handgeld liegen. Für Kunden, die Bargeld wollen. Der Mann vor ihm ist kein Kunde. Aber Wex denkt nicht lange nach. Er schüttet die Scheine auf den Tresen. „Damit es nach mehr ausschaut“, sagt Wex. „Er hat dann mit der Waffe rumgewedelt und gefragt, ob das alles ist. Ich habe Ja gesagt und die Hände oben behalten.“
Wex muss das Geld in einen Stoffbeutel stopfen, den der Räuber mitgebracht hat. Was dann kommt, wird Wex nie vergessen. Der Räuber sagt, er solle sich umdrehen. Genau das will der Filialleiter nicht. Einem Mann mit Waffe den Rücken zudrehen. „Da wurde es mir richtig mulmig!“ Aber der Familienvater hat keine Wahl. Aus dem Augenwinkel kommt dann die Erlösung. Wex sieht, wie der Räuber aus der Tür läuft, in ein Auto steigt, davonfährt. „Ich habe sofort zugesperrt und die Polizei gerufen.“ Seine Kollegin sitzt immer noch da. Wie versteinert, mit dem Telefonhörer am Ohr. Das Gespräch ist längst beendet, aber sie hat es nicht gewagt, sich zu bewegen.
Über 20 Minuten braucht die Polizei nach Hattenhofen. Die Fahndung bleibt erfolglos. Der Täter hat sich in Luft aufgelöst. So wie in Hattenhofen verlaufen alle elf Überfälle, die dem durchtrainierten Unbekannten zugeschrieben werden. Allein die Maskierung variiert. Mal trägt er Strumpfmaske, mal Sturmhaube, mal Baseballmütze. Bei einigen Überfällen zeigt er sogar sein Gesicht. Überwachungskameras halten das fest. Trotzdem hat ihn bisher niemand identifizieren können. „Alle Versuche, ihn zu fassen, haben keine Früchte getragen. Es gibt keine heiße Spur, wir tappen im Dunkeln“, sagt Hans-Peter Kammerer, Sprecher des Polizeipräsidiums Oberbayern Nord.
13 000 Euro Belohnung sind ausgesetzt, 5000 Euro stellt das Bayerische Landeskriminalamt zur Verfügung, 8000 Euro die betroffenen Banken. Sogar in „Aktenzeichen XY“ lief der Fall schon. „Es gab danach Hinweise – die sich aber als falsch erwiesen haben“, sagt Kammerer. „Es ist schon rätselhaft, dass kein entscheidender Hinweis kommt. Aber das müssen wir erst mal so hinnehmen.“
Kammerer erinnert der Fall an den „Besenstielräuber“ Harald Zirngibl. Von 1992 bis 1998 überfällt er 16 Banken, erbeutet 4,6 Millionen Mark. Seine Geiseln sperrt Zirngibl stets ein und sichert die Tür mit einem Besenstiel. „Nach seiner Festnahme hat sich gezeigt, dass er immer von Spanien aus nach Deutschland kam, um für seine Spielsucht eine Bank auszurauben. Dann ist er wieder nach Spanien“, sagt Kammerer.
Ob auch dieser Serientäter aus dem Ausland anreist? Die Polizei weiß es nicht. Der Austausch mit ausländischen Kollegen hat keine hilfreichen Erkenntnisse gebracht.
Die Banken wählt der Räuber offenbar mit Bedacht. Filialen in ländlichen Gebieten, mit vielen Fluchtwegen und langen Anfahrten für die Polizei. Kammerer spricht von einer „taktischen Auswahl“, die es schwer mache, schnell Einsatzkräfte zusammenzuziehen für dichte Sperrringe. Den Täter beschreibt er als „psychisch stabil und sehr kalt“. Sein Vorgehen sei überlegt und zielführend, „ohne erkennbare Nervosität“. Der Räuber nehme es in Kauf, mehrere Minuten warten zu müssen, bis das Kassenterminal Geld ausspuckt.
Mehr als 100 000 Euro hat der Mann bisher erbeutet – im Vergleich zum Besenstielräuber ein Pappenstiel. Gut möglich, dass er bald wieder Geld braucht. Der jüngste Überfall war erstmals nicht in Ober-, sondern in Niederbayern. Wird dem Räuber seine bisherige Spielwiese zu gefährlich? Oder gibt es gar einen Trittbrettfahrer? Kammerer schließt nichts aus. Denn bisher ist es zwar wahrscheinlich, aber nicht sicher, dass alle Taten auf ein Konto gehen. „Wir müssen in alle Richtungen denken.“
Filialleiter Markus Wex hat den Überfall gut verarbeitet. Seine Filiale ist inzwischen bargeldlos. Rein kommt man nur, wenn man klingelt. Wex fühlt sich sicher. Aber er hat Fragen. Etwa, ob es eine echte Waffe war, in die er blicken musste. „Hoffentlich schnappen sie ihn“, sagt Wex. „Er sollte erfahren, was er Menschen seelisch antun kann durch solche Geschichten. Und wer weiß, ob er nicht doch mal abdrückt. Wer weiß das schon.“