München – Der braune Ring ums Auge, der kleine hellgraue Körper mit auffälligen braunroten Federn – die Nilgans ist ein durchaus putziges Tier. Und sie fühlt sich in Deutschland wohl, vermehrt sich rasant. Die Folge sind laut dem Deutschen Jagdverband (DJV) erhebliche ökologische und wirtschaftliche Schäden. Deswegen hat der DJV den flächendeckenden Abschuss gefordert.
Heimische Arten müssten vor den aggressiven Tieren geschützt werden, sagt DJV-Sprecher Torsten Reinwald. Sonst drohten Zustände wie in den Niederlanden. „Nach einem Jagdverbot sind die Bestände dort explodiert.“ Die Folge seien nicht nur gewaltige Entschädigungen für die Bauern. „Die Gänse werden mit Gas getötet“, sagt Reinwald. Flugunfähige Jungvögel und Altvögel in der Mauser würden dafür zusammengetrieben. „Das gilt es in Deutschland zu verhindern.“
Flucht über den Rhein
Schon die alten Ägypter ließen den hübschen Ziervogel in ihren Grünanlagen herumspazieren. Später setzten britische und niederländische Parks die afrikanische Gans als Farbtupfer in Großvolieren ein. Trotzdem gab es bis Mitte der 1970er-Jahre nur wenige hundert Exemplare in Europa. Dann passierte in einer Menagerie in Holland ein Malheur. Eine Nilgans-Sippe büxte aus, flog über den Rhein nach Deutschland und begründete dort regionale Populationen. Mittlerweile erobert das exotische Tier Revier um Revier in ganz Deutschland.
In den letzten acht Jahren hat sich die Zahl der Reviere mehr als verdoppelt. „Etwa 70 Prozent von Deutschland sind inzwischen besiedelt – bis in den Bayerischen Wald und ins Voralpenland“, sagt Andreas von Lindeiner vom Landesbund für Vogelschutz (LBV). Für Bayern wurden 2016/17 bereits 1180 Nilgänse verzeichnet – eine Verdoppelung in zwei Jahren. Die größten Reviere gibt es in Unter- und Oberfranken. In Oberbayern liegt ein Schwerpunkt im Landkreis Neuburg-Schrobenhausen. Vereinzelte Sichtungen gibt es inzwischen in vielen Landkreisen, zum Beispiel Erding, Freising, Fürstenfeldbruck, Ebersberg, Weilheim-Schongau, Rosenheim, Traunstein, Passau.
Die Lebensbedingungen scheinen so ideal, dass die Nilgans mehrmals im Jahr Nachwuchs bekommt. Fünf bis zehn Eier legt sie. Dank intensiver Landwirtschaft finden die Tiere, die an Still- und Fließgewässern aller Art brüten, auf Wiesen und Weiden reichlich Nahrung. Weil sie sich so ausbreitet, hat die EU die Nilgans 2017 als invasiv eingestuft. Deutschland ist damit verpflichtet, ihre Ausbreitung zu unterbinden. Der Jagdverband DJV fordert eine bundesweite Bejagung nach einheitlichen Standards.
Schützenhilfe kommt von eher ungewohnter Seite. „Aus Sicht des Naturschutzes wäre eine Freigabe der Nilgans zur Jagd in allen Bundesländern denkbar“, sagt Ornithologe Lars Lachmann vom Naturschutzbund (Nabu). Bisher darf die Nilgans nur in neun Bundesländern bejagt werden, in Bayern seit 2014.
Die Nilgans ist ein Paradebeispiel für sogenannte Neozoen. Der Begriff stammt aus dem Griechischen und bedeutet so viel wie neue oder ungewöhnliche Tiere. Konkret geht es um Tierarten, die nach der Entdeckung Amerikas 1492 durch Kolumbus vorsätzlich oder unbeabsichtigt, aber unter Mitwirkung des Menschen, in ein Gebiet gelangt sind, in dem sie vorher nicht heimisch waren.
„Ein boshafter Vogel“
Auch wegen ihres hohen Aggressionspotenzials ist die Nilgans ein Problem für die heimische Tierwelt. Nilgänse gelten als extrem zänkisch. Tierforscher sprechen von den „herrschsüchtigsten und boshaftesten Vögeln, die es überhaupt gibt“. Die Nilgans kann am Boden, auf Bäumen und in Höhlen brüten. „Sie konkurriert dabei stark mit anderen Vögeln“, sagt Andreas von Lindeiner vom LBV. Auch der Naturschutzbund bestätigt, dass die Nilgans in der Umgebung ihres Nestes andere Wasservögel gnadenlos vertreibt. Selbst Schwäne flüchten oft, wenn eine Nilgans auftaucht. Mit Störchen werden tagelange Kämpfe ausgetragen. Es sind Fälle bekannt, bei denen Nilgänse andere Vögel ertränkt und sogar Jungrinder attackiert haben, weil sie dem Nest zu nahe kamen.
Hinzu kommen ökonomische Auswirkungen. In Südafrika gilt die Nilgans als landwirtschaftlicher Schädling, auch europäische Landwirte beklagen Schäden. Vor allem im Winter, wenn sich die Gänse zu Scharen von hundert und mehr Vögeln zusammentun. Oft ist weniger die aufgefressene Menge an Wintergetreide und Winterraps das Problem. Weil die Gänse bei der Grassilage die Abdeckungen runterrupfen, laben sich auch andere Tiere an diesen Futterreserven. Zudem kann Frost ins Viehfutter eindringen. In den Niederlanden sind die durch Nilgänse verursachten Ertragseinbußen stark gestiegen. Bei einer Frankfurter Gärtnerei vernichtete eine Gruppe die komplette Saat.
Hinzu kommt der Gänsekot. Gelangt der in die Futtermittelproduktion, kann dies zu Erkrankungen der Nutztiere führen. Bei kleineren, stehenden Gewässern steigt die Gefahr der Blaualgenbildung und Bakterienbelastung. Seen, Parks und Schwimmbäder sind betroffen. In Hessen gab man dem Gänsekot vergangenes Jahr die Schuld für eine Saugwurm-Plage in Badeseen, die bei Menschen Juckreiz und Quaddeln verursachte. Die Frankfurter Badebetriebe kostete 2017 die Beseitigung von Nilgans-Kot rund 100 000 Euro. Als die Badebetriebe einen Jäger beauftragten, gab es prompt eine Anzeige der Tierschutzorganisation PETA.
Bayern sucht Lösung
„Es fehlt oft an der öffentlichen Akzeptanz, um eine neue invasive Art wieder auszurotten“, weiß von Lindeiner. Schon gar nicht, wenn Gänseeltern mit niedlichen Küken vorbeispazieren. Die Tiere umzubringen, sei aber auch nicht das einzige Mittel.
In Bayern hat die Landesanstalt für Landwirtschaft 2014 ein „Gänsemanagement“ für zwei Modellregionen, am Main und am Altmühlsee, gestartet. „Am Altmühlsee haben die Landwirte Schäden von über 50 000 Euro im Jahr durch Gänse“, sagt von Lindeiner. Untersucht wird nun, ob sich die Tiere mit Gras- und Kleemischungen auf ungenutzten Flächen von Feldern mit Winterweizen fernhalten lassen. Das könnte auch die Verdrängung seltener Vogelarten minimieren.
Eine andere Maßnahme sind Schnüre, die auf etwa 50 Zentimetern Höhe kreuz und quer über die Felder gespannt werden. Und es geht um Ausgleichszahlungen für die Landwirte, um spezielles Gänsejagd-Equipment und spezifische Jagdtechniken.
Viele Kommunen wollen das Fütterungsverbot künftig konsequenter durchsetzen, damit die Vögel nicht zusätzlich angelockt werden. In den Städten gibt es Lärmbeschwerden. Denn vor allem die Weibchen schnattern recht schrill, wenn sie sich aufregen.
„Es gibt keine Patentlösungen“, sagt von Lindeiner. Zumal die Gans nicht überall in Bayern zu ähnlichen Problemen führe. „Tierschützer geben da ganz andere Antworten als Landwirte und Badeseenbetreiber.“ Die Nilgans wieder loszuwerden, das hält von Lindeiner für unmöglich. „Die ist extrem mobil, die kriegt man nicht mehr aus Deutschland raus.“ Das robuste Tier hat sich sozusagen längst selbst eingebürgert.