Berlin – Um Punkt 4.45 Uhr gehen die Hände hoch – nach 21 Stunden Verhandlung. Irgendwie sind es immer Marathonverhandlungen, wenn es um das Klima geht. Und so war es am Samstagmorgen auch beim Finale der von der Bundesregierung eingesetzten Kohlekommission. Das sind die wichtigsten Fragen und Antworten zum deutschen Kohleausstieg.
Wann kommt es zum Kohleausstieg?
Von einem historischen Kraftakt spricht einer der vier Vorsitzenden der Kommission, Ex-Kanzleramtschef Ronald Pofalla (CDU). „Es ist geschafft“, sagt er müde nach der Einigung mit Klimaschützern, Gewerkschaftern, Unternehmern und Wissenschaftlern – mit 27:1-Stimmen sogar fast einstimmig.
„Als Abschlussdatum empfiehlt die Kommission Ende des Jahres 2038“, steht im 336-seitigen Bericht. Dazu kommt eine Klausel, auf die die Umweltverbände gepocht hatten. Wenn Stromversorgung und die wirtschaftliche Lage es hergeben, kann das Ausstiegsdatum im Einvernehmen mit den Betreibern auf 2035 vorgezogen werden. 2032 soll das überprüft werden. Auch 2023, 2026 und 2029 soll der Ausstiegsplan auf den Prüfstand kommen. Die Grünen und Umweltverbände setzen darauf, dass angesichts der Erderwärmung der gesellschaftliche Druck für einen früheren Kohleausstieg steigt.
Wann werden welche Kohlekraftwerke abgeschaltet?
Ende 2017 waren Kohlekraftwerke mit einer Leistung von 42,6 Gigawatt (GW) am Markt, dazu kommt eine Reserve für den Winter, wenn es kaum Solarstrom gibt. Bis 2022 sollen als Einstieg in den Kohleausstieg insgesamt 12,5 GW vom Netz gehen. Besonderen Wert legen Klimaschützer darauf, dass darunter 3,1 GW Braunkohle mehr als bisher ohnehin schon geplant sind – Braunkohle-Kraftwerke stoßen besonders viele Treibhausgase aus. Welche Kraftwerke abgeschaltet werden, gibt die Kommission nicht vor. Das soll die Politik mit den Betreibern aushandeln. Bis 2030 sollen noch höchstens 17 GW am Markt sein.
Wo stehen die größten Anlagen?
Die größten Braunkohlekraftwerke sind Neurath und Niederaußem im Rheinland sowie Jänschwalde und Boxberg in der brandenburgischen Lausitz. Zum Problem wird die Frage, was mit dem letzten, noch im Bau befindlichen, Steinkohlekraftwerk Datteln wird. Der Energieversorger Uniper fordert rasche Klarheit – auch mit Blick auf Entschädigungen. Das 1,2 Milliarden Euro teure Kraftwerk am Rande des Ruhrgebiets sollte nach derzeitigen Planungen 2020 ans Netz gehen. In Bayern gibt es zwei Kohlekraftwerke. Eines steht in Zolling im Kreis Freising. Nach eigener Aussage versorgt es 1,7 Millionen Menschen mit Strom. Das zweite steht in München – das Heizkraftwerk Nord wird von den Stadtwerken München (SWM) betrieben. SWM-Chef Florian Bieberbach begrüßte den Kohleausstieg gestern. „Der Ausstieg“, sagte er, „ist ein wichtiger Schritt, um die erneuerbaren Energien weiter voran zu bringen.“ Bieberbach merkt aber kritisch an: „Nach einem europaweit einheitlichen CO2-Mindestpreis oder der Einführung einer europaweit einheitlichen CO2-Steuer sucht man in den Maßnahmenvorschlägen der Kommission leider vergebens. Ein alleiniger deutscher Ansatz greift hier zu kurz.“
Was passiert mit den Beschäftigten?
Für Beschäftigte in den Tagebauen und Kraftwerken ab 58 Jahren, die die Zeit bis zur Rente überbrücken müssen, soll es ein Anpassungsgeld geben – sowie einen Ausgleich von Renten-Einbußen. Das könnte fünf Milliarden Euro kosten, die Arbeitgeber und Staat gemeinsam schultern könnten.
Gibt es Entschädigungen für die Betreiber?
Milliardenklagen wie beim Atomausstieg sollen vermieden werden. „Die Kommission geht davon aus, dass in den Verhandlungen mit den Betreibern von Braunkohlekraftwerken die gesamte Planung bis 2030 einvernehmlich geregelt wird“, heißt es im Abschlussbericht. RWE hält das Ende der Kohleverstromung im Jahr 2038 „für deutlich zu früh“. Deshalb sei es vernünftig, „dieses Datum im Jahr 2032 noch einmal einer umfassenden Prüfung zu unterziehen“.
Wie viel Geld bekommen die betroffenen Regionen?
Insgesamt werden bis zu 40 Milliarden Euro an Hilfen veranschlagt – der Kohleausstieg wird für die Steuerzahler teuer. Vor allem die betroffenen Länder Nordrhein-Westfalen, Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt sollen über 20 Jahre beim Strukturwandel unterstützt werden, dazu soll die Verkehrsanbindung der Kohleregionen verbessert werden.
Steigt der Strompreis?
Weniger Kohlestrom kann mehr Strom aus Gaskraftwerken bedeuten – zudem soll das Speichern von überschüssigem Wind- und Solarstrom verstärkt werden. Die Kommission rechnet wegen der schrittweisen Verringerung des im Vergleich günstigen Kohlestroms ab 2023 mit Preiseffekten: „Aus heutiger Sicht ist zum Ausgleich dieses Anstiegs ein Zuschuss in Höhe von mindestens zwei Milliarden Euro pro Jahr erforderlich.“
Was passiert mit dem Hambacher Forst?
Zehntausende demonstrierten für den Erhalt des Waldgebiets im rheinischen Braunkohlerevier, das RWE gerne roden würde. Die Kommission sagt, es sei „wünschenswert“, den Forst zu erhalten. Umweltschützer werten das als klares Signal: Der Wald bleibt stehen.
Warum ist der Ausstieg wichtig?
Weil Deutschland den Klimazielen hinterherhinkt – bisher klappt es nicht mit einem 40 Prozent geringeren Treibhausgasausstoß bis 2020 im Vergleich zu 1990. Dass es im Energiesektor trotz Milliardenausgaben für Ökoenergie hapert, hängt auch mit dem bis 2022 geplanten Atomausstieg zusammen.
Warum das?
Die Kernkraftwerke stoßen in der Stromproduktion praktisch kein klimaschädliches Kohlendioxid aus – das Atomforum prägte daher mal den Werbespruch „Deutschlands ungeliebte Klimaschützer“.
Zwar stieg kontinuierlich der Anteil erneuerbarer Energien. Aber zur Sicherung der Grundlast-Versorgung auch in wind- und sonnenschwachen Zeiten braucht es weiterhin viel Kohlestrom. Nach Zahlen des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft hatten erneuerbare Energie 2018 einen Anteil von 35 Prozent an der Stromerzeugung. Auf ebenfalls 35 Prozent kamen Braun- und Steinkohle. Knapp 13 Prozent des Stroms stammte aus Gaskraftwerken, Atomkraftwerke steuerten wie im Vorjahr zwölf Prozent bei.