München – Klaus Bogenberger, Professor für Verkehrstechnik an der Bundeswehr-Uni Neubiberg, hat wenig Gutes über die Politik zu sagen, wenn es um das Wachstum in und um München geht. Vielleicht noch, dass die Entwicklung nicht leicht zu erkennen gewesen sei. Klingt nach einer Fünf minus. „Man hat sich nie Gedanken gemacht, was passiert, wenn ein Wachstumsschub kommt“, sagt Bogenberger. „Vor allem nicht in den vergangenen 15 Jahren.“ München müsse jedes Jahr 25 000 bis 30 000 Neubürger integrieren, die Infrastruktur sei aber nicht rechtzeitig mitgewachsen.
Zur selben Analyse kommt Torsten Busacker, Professor für Tourismus an der Hochschule München. „Alle Reserven sind aufgebraucht. Das System steht kurz vor dem Kollaps, weil es für erheblich weniger Menschen ausgerichtet ist.“
Zum Beispiel das U-Bahn-System. Fast ein halbes Jahrhundert ist es alt – und gedacht für 1,2 Millionen Einwohner. Heute hat München über 1,5 Millionen, 2035 werden es laut Prognose der Stadt München 1,85 Millionen sein. Auch das Umland wächst. Die Folgen bekommen Pendler tagtäglich zu spüren. Übervolle U- und S-Bahnen. Oder gar keine S-Bahn. Das Netz ist zu klein, marode, überlastet. Das S-Bahn-Stellwerk am Ostbahnhof zum Beispiel ist über 50 Jahre alt, die Technik völlig veraltet. Schlechte Voraussetzungen für einen zuverlässigen S-Bahn-Betrieb.
Viele Pendler weichen aufs Auto aus. Die Folge sind Staus. „Die Spitzenstunden sind keine Stunden mehr, sondern Tagesabschnitte“, sagt Bogenberger. Zwar reagierten viele Pendler mit Fahrgemeinschaften, flexiblem Arbeitsbeginn oder mehr Telearbeit. „Aber das kann man nicht einfordern – und deshalb auch nicht steuern.“ Bogenberger fordert harte Maßnahmen von der Politik. „Wir sind in einem Verkehrszustand, in dem es einschneidende Maßnahmen braucht. Taktverdichtungen und bessere Ampelschaltungen reichen nicht mehr.“
Unpopuläres hält Bogenberger für unvermeidlich. München brauche eine autofreie Innenstadt, um lebenswert zu bleiben – und eine City-Maut nicht nur für Pendler. Zwei bis fünf Euro tagsüber, nachts weiter freie Einfahrt. „Das ist eine geniale Einnahmequelle, die aber zweckgebunden in den Verkehr fließen müsste.“ Allerdings brauche es dafür eine breite politische Mehrheit, sagt Bogenberger. Und die wird es kaum geben. Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) lehnt eine City-Maut aus sozialen Gründen ab.
Geld ist auch eines der Hauptprobleme im Nahverkehr. Milliarden fehlen, um zu tun, was nötig wäre. „Es ist zu wenig Geld da im Verhältnis zu den Summen, die in den Autoverkehr fließen“, sagt Torsten Busacker. Dienstwagen-Subventionen, Pendlerpauschale: „Wenn nur ein kleiner Teil dieser Steuermilliarden in den öffentlichen Nahverkehr fließen würde, wäre die Finanzierungsblockade behoben.“ Bleiben die langen Bauzeiten. Die Versäumnisse der Vergangenheit, sagt Bogenberger, könne man planerisch gar nicht mehr aufholen.
Das Wachstum einzustellen, ist laut Busacker keine Option. „München muss weiter Unternehmen ansiedeln, um strukturelle Brüche zu verkraften.“ Denn München sei stark abhängig von großen Firmen wie BMW. „Niemand weiß, wie es diesen Firmen in zehn, zwanzig Jahren geht“, sagt Busacker. „Bei Technologiebrüchen wie der E-Mobilität werden die Karten neu gemischt. Will München seinen Lebensstandard halten, muss es attraktiv bleiben.“