Heidelberg/München – Die Zahl der Krebserkrankungen könnte in Deutschland in den nächsten Jahren erheblich zunehmen. Davon geht zumindest Michael Baumann, Chef des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) aus. Bis zum Jahr 2030 werde die Zahl der Neuerkrankungen pro Jahr auf 600 000 steigen, unter anderem wegen der alternden Bevölkerung, sagte er beim Krebsforschungskongress in Heidelberg. Angesichts von bereits 500 000 Neuerkrankungen pro Jahr in Deutschland könne man von einem Tsunami sprechen.
2016 starben in Deutschland laut neuen Zahlen 125 128 Männer und 105 597 Frauen an einer Krebserkrankung. Krebs ist hierzulande die zweithäufigste Todesursache nach Herz-Kreislauf-Erkrankungen. „Wir werden Krebs nicht in zehn Jahren beseitigen können“, sagte Baumann und reagierte damit auch auf Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU).
Der hatte vorige Woche mit dem Satz für Aufmerksamkeit gesorgt: „Es gibt gute Chancen, dass wir in 10 bis 20 Jahren den Krebs besiegt haben.“ Experten äußerten erhebliche Zweifel und warnten davor, falsche Hoffnungen zu wecken. Zuletzt äußerte sich Spahn erneut zu dem Thema. „Wir wollen den Krebs besiegen, indem wir ihn beherrschen. Das wird nicht leicht. Aber gerade deshalb müssen wir es mutig und ambitioniert versuchen“, sagte er.
Spahn zog Parallelen zum Kampf gegen Aids: „Wer hätte vor 30 Jahren gedacht, dass die Lebenserwartung mit einer gut behandelten HIV-Infektion so hoch sein kann wie ohne Infektion?“ Dank erfolgreicher Präventionsarbeit gehört Deutschland zu den Ländern mit den niedrigsten Neuinfektionsraten weltweit. Andreas Trumpp, Leiter des Instituts für Stammzell-Technologie am Deutschen Krebsforschungszentrum, sprang Spahn hingegen bei. Mediziner und Forscher bräuchten auch eine Vision. Niemand könne heute sagen, dass Spahn mit seiner Prognose nicht doch Recht hat. „Wir dürfen nicht nur in der Defensive sein“, sagte Trumpp.
Neben den Bestrebungen, Krebs zu heilen, sei eine zweite Forschungsrichtung wichtig, betonte der Leiter des Comprehensive Cancer Center der Berliner Charité: „Das Beherrschen der Krankheit, sodass daraus eine chronische Erkrankung werden kann, mit der Patienten, begleitet durch eine entsprechende Therapie, sehr lange gut leben können.“
Wie das Statistische Bundesamt unterdessen meldete, ist die Zahl der wegen Brustkrebs im Krankenhaus behandelten Frauen in Deutschland innerhalb von zehn Jahren um rund zwölf Prozent gesunken. Zwischen 2007 und 2017 ging sie auf etwa 129 700 zurück. Brustkrebs ist bei Frauen die häufigste tödlich verlaufende Krebserkrankung.
Die Bundesregierung hat in der vergangenen Woche die „Nationale Dekade gegen Krebs“ ausgerufen, um die Krebsforschung voranzutreiben und die Prävention zu stärken. Patienten sollen künftig vor allem schneller von neuen Forschungsergebnissen profitieren. Bislang dauert es oftmals mehrere Jahre, bis vielversprechende Therapien bei den Betroffenen ankommen.
In die gleiche Richtung geht das Bayerische Innovationsbündnis gegen Krebs, das Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) Anfang der Woche vorstellte. Das Bündnis gegen Krebs wurde auf Initiative des Medical Valley EMN, einem interdisziplinären Netzwerk aus Wirtschaft, Forschungs- und Gesundheitsversorgung in der Metropolregion Nürnberg, der Siemens Healthineers AG und des Pharma-Unternehmens Novartis gegründet. dpa/afp/sts