Quantensprung in der Krebsforschung

von Redaktion

INTERVIEW Münchner Spezialist: Viele Krebserkrankungen werden in 20 Jahren nahezu heilbar sein

München – Die Aussage von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), Krebs werde in zehn bis 20 Jahren besiegt sein, hat für Kritik gesorgt. Professor Michael von Bergwelt, Direktor der Medizinischen Klinik III am Klinikum Großhadern, sagt: Die Krebsforschung hat in den letzten Jahren tatsächlich einen Durchbruch geschafft. Immunonkologie heißt das Zauberwort. Ein Gespräch über den Stand der Forschung und zulässige Visionen.

Herr Spahn hat für viel Aufregung gesorgt. Wie ist Ihre Meinung dazu?

Da gibt es drei Antworten darauf. Erstens: In der Pauschalität wird das nicht erreicht sein, denn Krebs ist ein Überbegriff für hunderte Krankheitsbilder, die teils sehr wenig beforscht werden, weil sie so selten sind. Zweitens kann man aber sagen: Mehrere der häufigen Krebserkrankungen werden in vielen Fällen nahezu heilbar sein in 20 Jahren. Es wird immer Patienten geben, bei denen das nicht gelingt, aber die Quoten werden bei über 90 Prozent liegen. Davon gehe ich sicher aus. Drittens: Wenn man das als Ziel formuliert und der Bund sagt, da stellen wir Ressourcen zur Verfügung, halte ich diese Aussage für sinnvoll. Denn Ziele kann man auch mal etwas ambitionierter formulieren. Wenn man das wissenschaftlich korrekt betrachtet, muss man die Aussage von Herrn Spahn aber klar relativieren.

Von welchen Krebsarten sprechen wir, wenn wir von Heilung reden?

Das wissen wir natürlich nicht genau. Wir haben in der Krebsforschung einen Quantensprung erlebt in den letzten drei bis fünf Jahren durch die Einführung der Immunonkologie. Sie basiert darauf, dass die körpereigene Abwehr gestärkt wird und man die Tumorerkrankung kontrolliert. Da haben wir sensationelle Erfolge errungen bei Schwarzem Hautkrebs, Lungenkrebs, Blasen- und Nierenkrebs. Ich gehe sicher davon aus, dass sich die Fortschritte fortsetzen. Wir haben so viele vielversprechende Medikamente in der Erprobung wie nie zuvor. Die ganze Krebsmedizin hat eine neue Dynamik erfahren.

Sie sprechen vom menschlichen Immunsystem als Waffe gegen den Krebs. Krebszellen haben es bisher geschafft, sich vor dem Immunsystem zu verstecken. Der Körper erkennt die Krebszellen nicht.

Das Immunsystem ist sehr potent. Nur deswegen überleben wir, obwohl wir täglich von Bakterien und Viren beschossen werden. Krebserkrankungen haben das System gekapert. Krebszellen haben ein Eiweiß, das sozusagen im Schlüssel-Schloss-System auf den Abwehrzellen „klack“ macht und diese abschaltet. Diese Eiweiße nennt man Immun-Checkpoints. Die neuen Checkpoint-Inhibitoren sind ein Medikament, ein Antikörper, der sich genau zwischen das Eiweiß auf der Krebszelle und das Eiweiß auf der Abwehrzelle legt – und somit die Bindung nicht zulässt. Also wird das Immunsystem nicht abgeschaltet. Und das ist der große Durchbruch. Früher hat man immer versucht, das Immunsystem zu aktivieren, wie bei einer Impfung. Aber die Immunzellen sind wieder auf den Tumor zugerannt – und es hat wieder „klack“ gemacht. Nun kommt man von der anderen Seite und nimmt sozusagen den Fuß von der Bremse. Das ist deutlich effektiver. Checkpoint-Inhibitor-Therapie nennt sich das.

Dann ist das menschliche Immunsystem letztlich stärker als die Krebszelle?

Absolut. Das Gute ist: Sehr viele Krebsarten benutzen genau denselben Mechanismus, also das gleiche Eiweiß, um das Immunsystem von sich wegzuhalten. Das heißt, wir haben wenige Medikamente für viele Krebsarten. Auch das ist neu. Früher hat man für jede Krebsart eigene Medikamente entwickelt.

Der Tumor wird dann durch das Immunsystem komplett zerstört?

Wir haben die Medikamente noch nicht lange genug, um von Heilung zu sprechen. Dafür sind die Beobachtungszeiten zu kurz. Aber wir sehen, dass bei deutlich mehr Patienten die Krankheit nicht mehr nachweisbar ist. Das Ziel ist, die Krebserkrankung in jeder Nische des Körpers zu zerstören und somit langfristig zu kontrollieren.

Wie stark ist die Pharma-industrie beteiligt? Krebsmedikamente sind ja auch ein gutes Geschäft.

Das ist ein wichtiger Punkt. Die Dynamik in der Forschung hat drei Gründe. Erstens die Biologie, die identisch ist bei manchen Tumoren. Zweitens haben die Behörden verstanden, dass wir hier auf eine therapeutische Goldmine gestoßen sind und man Patienten schnell gute Therapien anbieten kann. Und drittens hat die Pharmaindustrie natürlich erkannt, dass das ein riesiger Markt ist. Sie steckt viele Milliarden Euro an Entwicklungsgeldern gerade in die klinische Forschung am Patienten. Die Immunonkologie hat die Krebsmedizin revolutioniert.

Werden die neuen Medikamente billiger sein?

Leider nicht. Die Checkpoint-Blockade kostet etwa 100 000 Euro im Jahr, und man muss die Therapie wohl ein Leben lang durchführen. Zweitens gibt es neue zelluläre Therapien, die extrem wirksam sind. Man entnimmt dem Patienten Zellen aus dem Blut, versieht sie mit einem Protein, damit die Zellen den Tumor erkennen, und gibt sie wieder in den Körper zurück. Das sind Therapien, die 60 bis 80 Prozent der Patienten sehr gut helfen, wirklich gigantisch. Aber die Therapie kostet über 300 000 Euro.

Die zelluläre Therapie ist der nächste Durchbruch?

Diese Zelltherapien sind erst im August zugelassen worden für manche Formen der Akuten Leukämien und Lymphomen. Das ist wahrscheinlich noch wirksamer als Checkpoint-Blockade. Wir sammeln hier in Großhadern, als erstes voll akkreditiertes Zentrum in Deutschland, gerade positive Erfahrungen.

Wehren sich Krebszellen?

Ja. Bei manchen Patienten ist es zu einem Rückfall gekommen. Die Krebszellen haben den Checkpoint-Mechanismus tatsächlich umschifft. Es gibt Hinweise darauf, dass es nächste Checkpoints gibt, die dann wiederum die Körperabwehr abschalten. Da gibt es aber auch schon positive Ergebnisse in der Forschung.

Herr Spahn hat zur Prävention aufgerufen. Jeder könne durch Ernährung, Bewegung und Sonnencreme dazu beitragen. Viele Krebskranke fühlen sich verhöhnt.

Da möchte ich eine Lanze brechen für Herrn Spahn. Es gibt viele Risikofaktoren: Rauchen, schlechte Ernährung, Übergewicht, zu wenig Bewegung. Bewegung ist ein Wundermittel. Übrigens auch zur Prävention von Schlaganfällen oder Herzinfarkten. Natürlich kann Krebs Veranlagung sein oder eine spontane Mutation. Es gibt keine Garantie. Es geht hier um Risikoreduktion.

Interview: Wolfgang Hauskrecht

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