München – Mit seinem Film „Roma“ hat Netflix einen Volltreffer gelandet. Das Drama des mexikanischen Regisseurs Alfonso Cuarón ist für zehn Oscars nominiert. Was man bei Netflix gefeiert haben dürfte, drückt der Kinobranche aufs Gemüt. Streaming-Dienste gegen Kino. Der Kampf hat begonnen.
Streaming-Portale pumpen immer mehr Geld in Eigenproduktionen. Rund 80 Filme hat der Branchenprimus Netflix vergangenes Jahr produziert – etwas doppelt so viele wie Warner Brothers, das größte Unternehmen der US-Filmbranche. 13 bis 15 Milliarden US-Dollar hat Netflix investiert. Unvorstellbare Summen. Aber Netflix hat große Ziele. Der Branchenführer will ein Film- und Serienuniversum schaffen. „Roma“ ist nur einer der Erfolge. Der Thriller „Bird Box – Schließe deine Augen“ mit Sandra Bullock wurde in nur vier Wochen 80 Millionen Mal abgerufen. Oder die auf Deutsch produzierte Mystery–Serie „Dark“. Ebenfalls ein Massenerfolg.
140 Millionen Abonnenten hat Netflix, 30 Millionen kamen allein im vergangenen Jahr dazu. Der Gewinn wird mit 1,2 Milliarden Dollar angegeben. Trotzdem ist Netflix gefordert. Andere Streamingdienste wie Hulu oder Prime Video drängen in den Markt. Auf Prime Video lief gerade die neue Staffel der Serie „Vikings“. Natürlich exklusiv. Die Unterhaltungskonzerne WarnerMedia und Disney suchen ebenfalls den Sprung auf den fahrenden Zug.
Das klassische Fernsehen steht ebenso unter Druck wie Hollywood. Die gut produzierten Serien ziehen immer mehr Publikum ins Internet. Und auch da, wo das Fernsehen mitmischt, hat man zeitlich das Nachsehen. Ein Beispiel ist die Serie „Babylon Berlin“, produziert von der ARD und dem Bezahlsender Sky. Die Serie lief zunächst auf Sky, erst ein Jahr später bei der ARD. Sky hatte sich diesen Zeitvorsprung vertraglich zusichern lassen.
Wie stark das Fernsehen noch ist, ist Interpretationssache. Noch klingen die Zahlen passabel. Laut einer repräsentativen Studie von Statista schauen 80 Prozent der Deutschen nach wie vor lineares Fernsehen, also nicht ge- streamt oder zeitversetzt. Netflix & Co. nutzen 67 Prozent. Allerdings hat das Fernsehen ein Altersproblem. 87 Prozent der 50- bis 65-Jährigen gehören zur Klientel. Bei den 18- bis 29-Jährigen sind es nur noch 67 Prozent – Streaming-Dienste kommen hier bereits auf 73 Prozent. Nimmt man die Altersgruppe 14 bis 29, sind es 87 Prozent.
Laut der Studie halten es 65 Prozent der 18- bis 29-Jährigen für möglich, dass es das klassische Fernsehen in zehn Jahren gar nicht mehr gibt. Die Generation 50 plus hingegen ist zu 70 Prozent überzeugt, dass sich nicht viel ändern wird. Aber sie ist auch nicht die Generation, die mit Laptop oder Tablet aufgewachsen ist. Was also wird sein, wenn die Streamer-Generation die Fünfzig erreicht?
In den Chefetagen der Fernsehsender ist man nicht untätig. „Wenn sich die Mediennutzung ändert, ändern wir uns mit“, sagte Ulrich Wilhelm, Intendant des Bayerischen Rundfunks, der „Hannoverschen Allgemeinen“. Längst kann man bei den großen Sendern auch zeitversetzt schauen. Der „Tatort“ kann also auch um 23 Uhr beginnen statt um 20.15 Uhr. „Wir haben bereits vor Jahren begonnen, über Mediatheken, Nachrichten-Apps, Webangebote und Social Media unsere Inhalte auf verschiedene Plattformen zu bringen“, so Wilhelm. Unbestritten habe sich der Wettbewerb aber verschärft. Es gehe um Zuschauer, um kreative Talente und um Rechte an Inhalten. Zum Beispiel die Sportrechte. Hier schauen ARD und ZDF seit Jahren in die Röhre. Die Bundesliga ist beim Bezahlsender Sky, die Champions League bei Sky und dem englischen Bezahlsender DAZN (Artikel unten).
Beim ZDF gibt man sich nach außen gelassen. Als Programmfamilie sei man bei den 14- bis 49-Jährigen so erfolgreich wie seit 15 Jahren nicht mehr, sagte Programmdirektor Norbert Himmler. Vor allem die ZDF-Mediathek erschließe neue Zielgruppen.
Einigkeit herrscht darin, dass es viel zu tun gibt. Frische Inhalte für ein junges Publikum brauche es, sagte Himmler. BR-Intendant Wilhelm setzt auf hochwertige Serien, Reihen, Dokumentationen – und Themen „aus unseren Regionen und den dortigen Lebenswelten“. Da seien die US-Anbieter nämlich nicht verwurzelt.
So oder so: Die Grenzen zwischen Leinwand, Fernseher, Laptop oder Tablet verblassen immer weiter. „Es ist der große Kampf um die Bilder und den weltweiten audiovisuellen Markt“, sagt Dieter Kosslick, Direktor der Berlinale. Dort tobt ebenfalls der Kulturkampf. Zwei Produktionen von Streaming-Anbietern sind in Berlin mit dabei.
Mehrere Kinobetreiber haben nun den Ausschluss des Netflix-Films „Elisa y Marcela“ aus dem Wettbewerb gefordert, weil der wohl nicht ins Kino komme. Geplant ist eigentlich ein Kinostart in Spanien. Auch „Roma“ lief im Kino. In ausgewählten Theatern, und nur kurz. Danach gab es das Drama auf Netflix. Exklusiv zum Streamen.