Schliersee – Eine gefühlte Ewigkeit schon steht Markus Wasmeier im Zielraum des Skistadions von Kvitfjell. Seine Fans skandieren bereits „Wasi, Wasi, Wasi“. Doch der Schlierseer winkt ab. „Nicht Verschreien, das bringt Unglück“, ruft er. Plötzlich kämpft sich ein Mann mit grünem Rucksack, weißer Mütze, weiß-blau-karierter Fahne in der Hand und ergrautem Schnauzbart durch die Menge. Es ist Günter Wasmeier, der, endlich angekommen, seinem Sohn um den Hals fällt. Die beiden liegen sich minutenlang in den Armen. „Das war der emotionalste Moment an dem Tag“, sagt Markus Wasmeier. Nun kann er es endlich glauben: Er, Markus Wasmeier, auf den keiner mehr auch nur einen Pfifferling gesetzt hätte, ist Olympiasieger im Super-G.
Der heute 55-Jährige ist der erfolgreichste deutsche Skifahrer aller Zeiten. Neben Gold im Super-G gewann er in Lillehammer sechs Tage später auch den Riesenslalom. Seitdem warten die deutschen Männer vergebens auf eine Goldmedaille. „Der Felix Neureuther und der Luitz Stefan hätten auch die Chance gehabt“, sagt Wasmeier im Gespräch mit unserer Zeitung. „Aber da kommt halt dann so viel zusammen. Das wird einem erst über die Jahre bewusst, dass es doch nicht so einfach ist, wie es mir damals vorgekommen ist.“
Die Umstände in Lillehammer waren aber auch alles andere als einfach für den blonden Strahlemann. Sechs Jahre zuvor, bei den Olympischen Spielen in Calgary, war Goldfavorit Wasmeier bereits am ersten Tor gescheitert. 1992 in Albertville ging er mit Platz vier leer aus. Auch in Norwegen lief es anfangs nicht. In der Abfahrt wurde der Allesfahrer nur 36. – und war fortan im Team isoliert. „Das Deutsche Haus war eine Katastrophe“, sagt Wasmeier. „Das war, als ob ich was verbrochen hätte.“ Natürlich war er mit seinem Ergebnis auch nicht „happy“, aber Wasmeier kann Dinge schnell abhaken. „Das war immer meine Stärke. Und ich wusste, dass ich mehr kann.“
Am 17. Februar ging er also im Super-G an den Start, seiner Lieblingsdisziplin. Als vierter Fahrer fand er an diesem Tag eine Linie wie sonst keiner. Das wahrzuhaben, dauerte. In den Knochen steckte Wasmeier noch der verfrühte Jubel über Bronze in der Abfahrt, als ihm der Franzose Franck Piccard vier Jahre zuvor in letzter Sekunde vom Stockerl gefahren hatte. „Das Trauma von Albertville war so fest verankert“, sagt Wasmeier. „Das wollte ich nie mehr erleben.“ Erst als Papa Günter vor ihm stand: „Da war die Gewissheit da: Jetzt kommt dann doch keiner mehr runter.“ Diesen Moment mit der Familie erlebt zu haben, macht das Gold so wertvoll. „Meine Eltern, in dem Fall war’s halt der Vater, haben die ganzen Aufs und Abs mit mir durchgestanden. Wir zusammen haben das geschafft.“
Ein erstes Tief erlebte Wasmeier 1988 mit 24 Jahren in Calgary, als es nicht lief, er nicht lieferte. „Was mich so erschreckt hat, war, dass in der Öffentlichkeit immer nur am Erfolg gemessen wird, wer du bist. Und nicht der Mensch zählt“, sagt er. „Das war zur damaligen Zeit eine erschreckende Erkenntnis.“ Fortan blendete Wasmeier die Kommentare aus. „Das Wichtigste ist, dass man den ganzen Blödsinn, der draußen geredet wird, ignoriert und an sich selbst nie den Glauben verliert. Wenn du den verlierst, brauchst du nicht mehr antreten.“
Wasmeier trat dann nach der Olympia-Saison nicht mehr an. An Ostern überraschte ihn Frau Gitti mit der zweiten Schwangerschaft. Sohn Markus war bereits in Lillehammer dabei. „Ich war 300 Tage im Jahr unterwegs, ich wollte meine Kinder aufwachsen sehen“, sagt Wasmeier. „Die Vernunft war größer als das Herz.“ Das Herz für den Skisport.
Als seine Gitti an Krebs erkrankte, kämpfte er für eine andere Behandlungsmethode. Diese schlug an. Auch diese Zeit hat Wasmeier geprägt. „Aufs Leben selber beziehen sich die sportlichen Erfolge ja nicht“, sagt er. „Das ist eine schöne Zeit gewesen, die ich nie missen möchte. Aber drei gesunde Kinder zu haben und so was zu überstehen, das ist das Größte und wird es immer sein.“
Nach der Familie hängt Wasmeiers Herz heute an seinem Bauernhofmuseum, das der Doppel-Olympiasieger in Schliersee aufgebaut hat. „Ich habe nach Beendigung meiner aktiven Karriere meine Heimat neu gesehen“, sagt er. Der Anblick hat ihm nicht gefallen. „Es war erschreckend zu sehen, dass die letzten Denkmäler aus dem 16. und 17. Jahrhundert verfallen.“ Gut beschäftigt war Wasmeier eigentlich. Er entwarf mit Willy Bogner eine Kollektion und stand als ARD-Experte vor der Kamera. Doch das reichte nicht. „Ich habe was fürs Herz gebraucht.“
Den Anfang nahm das Projekt 1974. Als elfjähriger Bub baute Wasmeier mit seinem Vater das Elternhaus in Hausham ab und in Schliersee wieder auf. „Da bin ich infiziert worden“, sagt er. „Ich habe während meiner aktiven Zeit auch mein eigenes Haus transferiert.“ Als gelernter Restaurator und Kirchenmaler – der Beruf, den auch Papa Günter ausübte – kam Wasmeier die Idee mit dem Museum. „Das schenke ich meiner Heimat, weil ich auf der Sonnenseite leben durfte.“
Wasmeier wollte etwas Zeitloses hinterlassen, mehr als nur zwei Goldmedaillen. „Es ist mir gelungen. Ich kann dem Landkreis wirklich was zurückgeben, das nach uns weiter überlebt.“ So sagt er heute: „Am Ende habe ich alles richtig gemacht.“ Auch, wenn ihm das vor 25 Jahren niemand zugetraut hätte.