Karl der Größte

von Redaktion

Er war Modepapst, Stilikone und Lebenskünstler: Jetzt ist Karl Lagerfeld mit 85 gestorben

VON KATJA KRAFT UND LOTHAR STROBACH*

München – Lässt sich Schönheit einfangen? Karl Lagerfeld hat es ein Leben lang versucht. Dieses Foto, das er 2003 gemacht hat, ist Sinnbild dafür. Larry Scott, eine seiner Musen, nackt, muskulös, faltenfrei, volle, rot geschminkte Lippen, lockiges Haar, schaut in einen Spiegel. „A Portrait of Dorian Gray“ heißt die Aufnahme. Sie ist einer der Beweise für die Perfektion des Fotografen.

Denn Lagerfeld war ja nicht „nur“ einer der genialsten Modeschöpfer. Er war Lebenskünstler, Zeichner, Alleinunterhalter, Universalgelehrter, Aphorismen-Zauberer („Eleganz ist ähnlich wie Mayonnaise, sie schmeckt, oder sie schmeckt nicht.“), Kritiker des Zeitgeistes („Ich schreibe keine SMS, ich bin ja keine Sekretärin“), Sprachkünstler – dank seiner Mutter, die ihn einst ermahnte: „Sprich nicht so langsam. Für den Stuss, den du redest, solltest du nicht auch noch Zeit verschwenden.“ Und bei all dem immer auf der Suche nach der Schönheit. Bei anderen und bei sich selbst.

Das Porträt seines Dorian Gray steht sinnbildlich für seinen Traum der ewigen Jugend. Gestern wurde bekannt, dass Karl Lagerfeld mit 85 Jahren in Paris gestorben ist. Französische Medien berichten, er habe Bauchspeicheldrüsenkrebs gehabt.

Ein Leben lang war er darauf bedacht, anders zu sein. Bereits mit vier Jahren besteht er auf einen eigenen Diener, weil er sich öfter am Tag umziehen müsse. Während seine Klassenkameraden im Sommer barfuß in die Schule gehen, kleidet sich Karl schon damals wie ein kleiner Dandy: Zur dreiviertel-langen Hose trägt er fein gebügelte Hemden mit eleganten Seidenkrawatten und Sakkos, auch an den heißesten Tagen. Auf alten Fotos kann man sein üppiges, pomadisiertes, schwarzes Haar sehen, das er lang trägt, im Gegensatz zu seinen Klassenkameraden, die zur Kurzhaarfrisur aus dem „Dritten Reich“ tendieren.

Hinzu kommt eine Form von Hochmut, die seine Mitschüler verärgert. Eine Anekdote aus jener Zeit veranschaulicht das: Am 1. Mai 1952 feiert Glücksklee, die Kondensmilch-Firma seines Vaters, 25-jähriges Bestehen im holsteinschen Neustadt. Ein Gast packt Karl am Arm und will mit ihm ein Bier trinken, worauf der antwortet, er tränke nur Champagner. Gegenüber dem „Stern“ gibt Lagerfeld 1978 zu: „Als ein sehr junger Mensch hatte ich das Gefühl: Ganz gleich, was du tust – du bist unwiderstehlich. Ich dachte, ich wäre unantastbar, vergeudet im trostlosen Nachkriegsdeutschland.“

Was er vor allem hasst, ist Kleinbürgerlichkeit. Der will er entfliehen. 1953 zieht er mit seiner Mutter (andere Quellen sagen mit der Freundin seiner Mutter) nach Paris. Da ist er 19 – oder nach eigenen Angaben 14, mit seinem tatsächlichen Alter hat er immer kokettiert. Nach dem Besuch einer Privatschule und des Lycée Montaigne beginnt seine berufliche Karriere 1954 mit einem Paukenschlag: Vor tausenden Konkurrenten gewinnt dieser junge Deutsche – neun Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs – beim einstigen Erbfeind mit einem Mantelentwurf den ersten Preis des Internationalen Woll-Sekretariats. Der andere Preisträger heißt Yves Saint Laurent, mit dem Lagerfeld anfangs eng befreundet ist, später eher verfeindet.

Die Entwürfe Lagerfelds entstehen im Atelier des Designers Pierre Balmain. Hier absolviert er von 1954 bis 1957 eine Schneiderlehre. Als freier Mode-Designer wird Lagerfeld 1958 bis 1963 künstlerischer Direktor bei Jean Patou. Die Presse nennt ihn Karl Lagerfelt oder Karl Logerfeld – so unbekannt ist noch sein Name, aber bekannt genug, um für Häuser wie Mario Valentino, Repetto und für die Supermarktkette Monoprix zu arbeiten. Ist Mode seine Zukunft? Madame Zereakian, Diors Wahrsagerin, weissagt ihm, er werde „Erfolg haben in Mode und Parfum“.

Erfolg? Was für eine Untertreibung. Aus Herrn Logerfeld wird im Lauf der Jahre „Kaiser Karl“, der bereits 1977 sein erstes Schloss besitzt, in dem seine 80-jährige Mutter mit Dienerschaft wohnt. Wegen ihrer Launen muss Lagerfeld dem Personal das Dreifache zahlen, denn „wenn ihr ein Taschentuch runterfiel, dann klingelte sie“.

Das Divenhafte fiel nicht weit vom Stamm. Sein Stil: die langen Haare zu einem Pferdeschwanz gebändigt, dazu schwarze Yohji-Yamamoto-Anzüge, weiß gepuderte Wangen, schwarze Brille und der unvermeidliche Fächer. Gäste empfängt er im korallfarbenen Seidenmantel, gesäumt mit Hermelinpelz, am Hals ein Stehkragen mit Schleife.

1974 gründet der Designer in der Bundesrepublik sein erstes eigenes Unternehmen, Karl Lagerfeld Impression. 1984 folgen erste Prêt-à-porter-Kollektionen für Chanel und die Eröffnung von Lagerfelds erstem Modehaus an den Pariser Champs-Elysées. Im selben Jahr wird er Chef-Designer von Chanel und zum weltweit unumstrittenen König der Mode.

Doch wer war dieser König ohne seine Kleider? Wer war die Person Lagerfeld außerhalb der Kunstfigur? Er selbst hat sich immer einen Spaß daraus gemacht, das hübsch zu verschleiern wie seine Models: „Es war alles ganz anders, sind Sie mal nicht so sicher, dass ich überhaupt in Deutschland geboren wurde.“

Das aber war sicher: „Karl Lagerfeld ist auf der Suche nach der ewigen, idealen Schönheit, die er in jeder Falte, in jedem Baum, in jeder Blume, in jedem Schmuck, in jedem Gesicht sucht, findet und als alles überdauerndes Moment in seinen Fotos bannt“, schrieb Kunsthistorikerin Evelyn Weiss. Auch in seinen Kleidern, seinen Zeichnungen, selbst in einer profanen Cola-Flasche (siehe links).

Und am Ende wurde er so unsterblich wie Dorian Gray. Und sein Körper? „Ich bin gegen Beerdigungen. Ich habe schriftlich festgelegt, dass hinter meiner Asche niemand hergehen darf. Es wird kein Begräbnis geben. Meine Überreste werden im Wind verstreut.“ Jedes Fleckchen, das damit bedeckt wird, wird ein bisschen heller scheinen. Adieu, Karl.

* Der Münchner Journalist und Kunsthistoriker Lothar Strobach promovierte über das fotografische Werk Karl Lagerfelds. Er hat den Modezar mehrfach getroffen.

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