München – Tuntenhausen ist nicht nur wegen seiner Marienwallfahrt ein lohnendes Ziel, sondern auch grammatikalisch. „Das Rathaus Tuntenhausen ist morgen, Mittwoch, zusätzlich noch am Nachmittag von 15 bis 18 Uhr für den Parteiverkehr geöffnet.“ So stand es im Oberbayerischen Volksblatt (OVB). Ein Team von Linguisten hat sieben Jahre lang 68 deutschsprachige Regionalzeitungen ausgewertet – Blätter wie die Wiener Zeitung, die Berner Zeitung, die Hessische/Niedersächsische Allgemeine oder eben das OVB. Gesamtdatenmenge: 600 Millionen Wörter. Es ist ein Giganten-Projekt, das klären soll, welche Ausdrucksweisen wo vorherrschen und was in Sachen Grammatik gebräuchlich ist.
Professor Stephan Elspaß ist einer der Verantwortlichen, er leitet den Fachbereich Germanistik an der Uni Salzburg. Elspaß sagt: „Ganz spezifisch für Bayern sind Wortzusammensetzungen wie Klasslehrer oder Parteiverkehr“, wohingegen sonst eher Klassenlehrer und Parteienverkehr üblich sind. Der Tuntenhausener, genau wie der Bayer an sich, mag es kurz und knapp. Nur der Schweizer zersägt seine Wörter noch radikaler. Bei den Eidgenossen gibt es lustige, weit verbreitete Kurzwörter – Gymer für Gymnasium. Öffi für öffentliches Verkehrsmittel. Oder Jekami – für Jeder kann mitmachen. Alle Ergebnisse sind unter www.variantengrammatik.net öffentlich zugänglich. „Ein Projekt, das sich speziell den regionalen Ausprägungen des Hochdeutschen widmet, das gab es bisher noch nicht. Da sind wir Vorreiter“, sagt Elspaß. Und er sagt: „Wenn man in einer deutschen Zeitung ,heuer‘ oder ,Semmel‘ liest, dann weiß man, dass es sich um eine bayerische Zeitung handelt.“ Klingt vertraut.
Aber es gibt auch überraschende Ergebnisse – Bayern ist, obwohl man das glauben könnte, doch nicht die Hochburg des Schweinsbratens. Viel öfter werden selbst unterm weiß-blauen Himmel die Wörter Schweinebraten, Schweineohren oder Schweinehals benutzt, wohingegen der Österreicher fast immer zu Schweins-Wörtern neigt.
Beispielsatz aus der Kleinen Zeitung, die in der Steiermark und in Kärnten erscheint: „Wer am Neujahrstag ein Stück von einem Sauschädl oder zumindest von einem knusprigen Schweinsbraten abbekommt, dem soll nicht nur das Glück, sondern auch der Wohlstand das ganze Jahr lang hold sein.“
Sag noch einer: Grammatik ist fad. STEFAN SESSLER