Vatikanstadt – Weihrauchschwaden steigen zu einem überdimensionalen Kruzifix empor, von dem aus der Gekreuzigte auf die Bischöfe aus aller Welt herabblickt. Die sonst so prunkvolle Sala Regia im Apostolischen Palast liegt im Halbdunkel. Die Hirten beugen tief das Haupt. Papst Franziskus sitzt ins Gebet versunken in seinem Stuhl, das Gesicht zwischen den Händen vergraben. Der Chor stimmt das Kyrie an – „Herr, erbarme Dich unser“.
So sieht es aus, wenn die Nachfolger der Apostel ein „Mea Culpa“ ablegen, kollektive Buße tun. Buße für die Verbrechen, die von Priestern der Katholischen Kirche an Kindern und Minderjährigen, an jungen Erwachsenen, an Seminaristen und Ordensfrauen begangen wurden. Durch Missbrauch ihrer Machtposition und einzigartigen geistlichen Autorität: sexuell, psychisch, mental. Buße für die jahrzehntelange, systematische Vertuschung dieser Übergriffe. Buße für das skandalöse Schweigen der Hirten und Vorgesetzten, denen der Ruf der Kirche mehr bedeutete als Gerechtigkeit für die Opfer. Buße für all jene, die im Gewand des Dieners Christi ihr heiliges Weiheversprechen verraten haben.
Die Liturgie ist wohl einer der emotionalsten Momente dieser einzigartigen Tagung der Chefs sämtlicher Bischofskonferenzen, Ordensoberen und Experten aus aller Welt; ein Moment, indem sich alle der „Schande“ bewusst werden, die auf der Kirche laste, wie es der Papst selbst ausspricht.
Vier Tage lang hatten die Teilnehmer über Ursachen und Folgen der endlosen Skandalkette debattiert, die erschütternden Zeugnisse von Opfern gehört, den Rat von Experten eingeholt, über Konsequenzen beraten, gemeinsam gebetet. Die Erwartungen hätten höher nicht sein können, ja waren realistischerweise kaum erfüllbar. Als „Mutter aller Tagungen“ wurde das Treffen in der Kurie bezeichnet. „Es ist schon ein Erfolg für sich, dass sich die Kirche zum ersten Mal auf globaler Ebene der Thematik bewusst geworden ist. Viele hatten das ja für ein Problem des Westens gehalten“, bekennt Reinhard Kardinal Marx, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, freimütig. „Nach dieser Schärfung des Bewusstseins erwarte ich nun konkrete Taten.“
Genau an jenem Punkt drohte am gestrigen Vormittag die Stimmung zu kippen. Mit großer Spannung war von Beobachtern und Betroffenen die abschließende Rede von Papst Franziskus erwartet worden, die er nach der Messe vor der Versammlung hielt. Seine Worte, gerichtet an die eigene Kirche, waren eindringlich. Er lieferte eine große theologische Einordnung: „In der Wut der Menschen auf die Kirche spiegelt sich der Zorn Gottes“, schrieb er den Bischöfen ins Stammbuch und sieht in den Verbrechen von Klerikern „das Werk Satans“. So warnte er: „Im Missbrauch erkennen wir die Hand des Bösen, die nicht mal unschuldige Kinder ausspart.“ Eine bildgewaltige Sprache, wie man sie vom argentinischen Pontifex gewöhnt ist.
Doch konkrete Ergebnisse, die Ankündigung weiterer Schritte? Fehlanzeige. Aus den Opferverbänden kam sofort ein Sturm an Kritik. Selbst Teilnehmer der Tagung zeigten sich enttäuscht, hatte es im Laufe der letzten Tage aus verschiedenen Arbeitsgruppen eine Menge an tauglichen Vorschlägen gegeben. So hatte etwa Kardinal Marx eine Art „schnelle Eingreiftruppe“ des Vatikans gefordert, um bei umstrittenen Fällen vor Ort die Vorgänge zu untersuchen. Hintergrund: Gerade kleinere Bischofskonferenzen ohne große Verwaltungsstrukturen, sind oft organisatorisch völlig überfordert. Und Ländern, in denen es die Ortskirche wiederholt nicht auf die Reihe kriege, müsse man eben eine „Troika“ ins Haus schicken.
Auch das kirchliche Verwaltungsrecht müsse angepasst, zentrale Gerichte etwa auf Ebene der Metropolitanbistümer errichtet werden. Zudem schlug der Münchner Erzbischof eine Handlungsanweisung für alle Bistümer der Welt vor.
Von all diesen Ideen fand sich in der Rede des Pontifex zunächst nichts. Selbst bei Wohlmeinenden machte sich Entsetzen breit. Drei Stunden später erlöste der Moderator der Tagung, Pater Federico Lombardi, die wartenden Medien. In seinem Resümee listete er fast alle Punkte auf, die von Marx und anderen Papst-Vertrauten ins Spiel gebracht worden waren: So soll in jeder Bischofskonferenz eine Anlaufstelle für Missbrauchsopfer mit konkreten Hilfsangeboten geschaffen werden. Der Vatikan will zudem einen Leitfaden für alle Diözesanbischöfe herausgeben, der den Umgang mit Verbrechen durch Kleriker und die Zusammenarbeit mit den Justizbehörden verbindlich regelt. Auch Begriffe wie „Monitoring“ und „Controlling“ griff Lombardi auf und stellte die Schaffung einer römischen „Task Force“ in Aussicht. Das alles muss freilich noch in Form gegossen werden und kann dauern, auch wenn Reformer wie Marx aufs Tempo drücken.