München – Ulf Darsow, 53, weiß, warum Heuschnupfen-Patienten derzeit leiden. „Das Problem ist, dass der Pollenflug dieses Jahr gemeinsam und heftig begonnen hat“, sagt der Professor der TU München und Leiter der Allergieabteilung der Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Allergologie am Biederstein. Vor wenigen Tagen war die Luft noch fast sauber. Jetzt kommen 130 Pollen aufeinen Kubikmeter Atemluft. Allergische Reaktionen zeigen sich schon ab 10 Pollen pro Kubikmeter. „Die Situation ist akut“, sagt Darsow. „Patienten, die sich noch keine Medikamente besorgt haben, können jetzt verstärkte Symptome bekommen.“
Der Professor kennt die Schuldigen für den Pollenschub genau: „Weil es so plötzlich warm geworden ist, werfen Hasel und Erle ihre Pollen jetzt fast von einem Tag auf den anderen gemeinsam in die Luft.“ Normalerweise blühen die beiden versetzt. Heuschnupfen-Patienten brauchen deswegen schon jetzt Tabletten, Nasenspray und Augentropfen und nicht erst im April oder Mai.
Neu ist diese Entwicklung nicht. Die durchschnittliche pollenfreie Zeit im Winter verkürzt sich schon seit 20 Jahren, sagt Darsow. Schuld sei der Klimawandel. Pflanzen nutzen das warme Wetter zur Fortpflanzung. „Ein warmer Winter kann dazu führen, dass vor allem Haselpollen sehr früh fliegen und dadurch die Saison für Allergiker länger wird.“
Entwarnung ist für Allergiker nicht in Sicht: Hasel und Erle werden heuer zwar nicht mehr lange blühen. Ihre Pollen-Werte dürften daher demnächst zurückgehen. Schon bald wird aber die Birke aufblühen. Die verschleudert deutlich mehr Pollen auf einmal als Hasel und Erle. „Die Allergene sind sich ähnlich“, sagt Darsow. „Wer gegen die Erle allergisch ist, ist es sehr wahrscheinlich auch gegen Hasel und Birke.“ Das dicke Ende kommt also noch.
Dessen Auswirkungen können Heuschnupfen-Patienten schon spüren, bevor die Pollen überhaupt fliegen. Während sich die Blüten entwickeln, entschlüpfen ihnen winzig kleine Eiweiß-Stückchen, die allergische Reaktionen hervorrufen können. „Die Teilchen kann man tiefer einatmen, weil sie kleiner sind als Pollen“, sagt Darsow. „Das kann zu schweren Asthma-Anfällen führen.“
Ob ganzer Pollen oder kleiner Bestandteil: Der Wind kann die Allergene über hunderte Kilometer tragen. Selbst wenn in höher gelegenen Gebieten wie Bayrischzell noch kein Baum blüht, kann Heuschnupfen-Patienten dort die Nase tropfen, weil der Wind die Auslöser aus München einfliegt.
Das Phänomen begrenzt sich nicht auf Bayern. In Berlin sei vergangene Woche an einem Tag die höchste Zahl von Erlenpollen seit 1985 gemessen worden, sagt der Meteorologe Thomas Dümmel von der FU Berlin. Der bisherige Rekord von 2017 wurde deutlich überschritten. Die Deutsche Stiftung Polleninformationsdienst sprach von „selten beobachteten Konzentrationen“ an Erlenpollen im nord- und westdeutschen Tiefland. Die Spitzenwerte wurden bereits erreicht.
Darunter leiden viele. Heuschnupfen betrifft nach Angaben des Polleninformationsdienstes hierzulande etwa zwölf Millionen Menschen. Das ist etwa jeder siebte Deutsche. Eine Studie des Robert Koch-Instituts spricht von mehr als einer Million betroffenen Kindern und Jugendlichen. Bei ihnen lässt der harmlose Blütenstaub das Immunsystem reagieren. Die Folge sind tränende, juckende Augen, Niesanfälle und starker Schnupfen. Die Beschwerden können mit der Zeit neben den oberen Atemwegen auch die unteren Atemwege betreffen. Dann droht chronisches Asthma.
Wer genau wissen will, welche Pollen in den nächsten Tagen fliegen, dem hilft der Pollenflug-Gefahrenindex des Deutschen Wetterdienstes. Der stuft die Hasel in Oberbayern für heute von mittel bis hoch auf mittel herab. Dafür steigt die Erle von mittel bis hoch auf hoch. Die Nasen tropfen bei Allergikern also weiter.
Pollenflug-Gefahrenindex
Den Belastungs-Index des Deutschen Wetterdienstes gibt es im Internet unter www.dwd.de/DE /leistungen/gefahrenindizes pollen/gefahrenindexpollen.html
Der Klimawandel sorgt für höhere Pollen-Werte
Der Wind trägt die Pollen hunderte Kilometer weit