Berlin/München – An Karl Lagerfelds Katze kam man nicht vorbei, auch nicht in den Nachrufen auf den Modekönig. Lagerfeld nannte seine Birma-Katze Choupette seine Muse. Über die Vermenschlichung von Haustieren hat Tierpathologe Achim Gruber ein Buch geschrieben, das soeben erschienen ist. In „Das Kuscheltier-Drama“ (Droemer, 19,99 Euro) berichtet Gruber über Haustiere, die unter Herrchen und Frauchen leiden, die sie zu sehr lieben.
Wenn Mieze oder Bello im Bett liegen, hat Gruber damit kein Problem. „Wenn sie geimpft und entwurmt sind. Und wenn dem Tier das auch gefällt.“ Das ist der springende Punkt bei seinen Thesen. Kann ein Mensch Bedürfnisse von Heimtieren wahrnehmen – und will er das?
Nach Umfragen der Heimtier-Branche leben rund 34 Millionen Tiere in Deutschlands Haushalten, darunter fast 14 Millionen Katzen und neun Millionen Hunde. 4,7 Milliarden Euro geben Halter laut Statistischem Bundesamt pro Jahr allein für Futter und Spielzeug aus.
Gruber ist Tierpathologe an der Freien Universität Berlin. Er untersucht Proben von kranken Tieren, obduziert auch Haus- und Zootiere, die plötzlich starben, darunter Eisbär Knut. Mit der Zeit ist Gruber immer nachdenklicher geworden. „Wir machen unsere Haustiere zu Opfern“, sagt er heute. „Sie werden so vermenschlicht, dass wir ihnen ihre Natur nehmen.“
Dass sich im Verhältnis zwischen Mensch und Tier etwas verschoben hat, bemerkt auch Lothar Hellfritsch, ehemaliger Präsident des Berufsverbandes Deutscher Psychologen. „Früher waren Haustiere meist zum Schutz da. Heute sind sie oft ein Spielzeug auf Zeit.“ Tiere dienen als Kind- oder Partnerersatz und heißen statt Bello und Mieze jetzt Felix und Emma.
Gruber beobachtet auch veränderte Zuchtziele. „Normalerweise hat ein Hund einen langen Schädel, eine schlanke, große Nase und Augenhöhlen, die schräg nach außen stehen.“ Heute würden die Tiere so gepaart, dass sie menschenähnlicher wirkten: kurze Schnauze, hohe Stirn und Augen, die nach vorn blicken. Möpse und Französische Bulldoggen seien solche „Defektzuchten“. Durch zu kleine Nasen bekämen sie bei Belastung zu wenig Luft.
Gruber schreibt in seinem Buch, wie eine Frau den Todeskampf ihrer Bulldogge in ihren Armen als Zuneigung deutete. Das Tier erstickte. „Wir interpretieren das Verhaltensmuster von Tieren oft falsch, wenn wir es gar nicht kennen“, sagt Gruber. Was Menschen in Tierverhalten sähen, sei meist eine Projektion eigener Bedürfnisse.
Projektionen gibt es auch zwischen Menschen. Ein Mensch aber könne widersprechen, sagt Psychologe Hellfritsch. „Ein abhängiges Tier kann sich nicht oder nur schlecht abgrenzen.“ Karl Lagerfeld sagte über seine Katze: „Sie ist wie ein menschliches Wesen. Aber das Gute ist, dass sie schweigt, man muss nichts diskutieren.“
Mitunter werden Tiere zu Accessoires gemacht. Yorkshire-Hündin Daisy gehörte zu Modemacher Rudolph Moshammer fest dazu. Genauer gesagt waren es vier Daisys im Laufe der Jahre. Käfer-Witwe Uschi Ackermann machte ihren Mops „Sir Henry“ gleich zur Marke. Hundechips, Süßigkeiten, sogar Meissener Porzellan wurde unter seinem Namen verkauft. Dinge, die kein Hund braucht. Als Sir Henry eingeschläfert werden musste, erschien auf seiner Facebook-Fanseite ein Nachruf. Der Bild sagte Ackermann: „Ich fühle mich absolut leer. Sir Henry war mein bester Freund, mein Lebenspartner. Wir waren miteinander verschmolzen.“