„Frauen sollen heutzutage alles sein“

von Redaktion

Kabarettistin Luise Kinseher über den schweren Spagat zwischen Mutter, Ehefrau und Karriere

München – Luise Kinseher, Jahrgang 1969, wuchs in Geiselhöring im Landkreis Straubing-Bogen auf. Dass sie aufs Gymnasium durfte, war damals nicht selbstverständlich. Kinseher studierte in München Germanistik, Theaterwissenschaften und Geschichte, spielte jahrelang Theater bei der Iberl-Bühne. Regisseur Franz Xaver Bogner entdeckte sie fürs Fernsehen („Café Meineid“, „München 7“). Von 2011 bis 2018 hielt Kinseher – als erste Frau überhaupt – die Salvatorrede auf dem Nockherberg. Zum Weltfrauentag sprachen wir mit der Kabarettistin über starke Frauen und noch zu schwache Quoten.

Frau Kinseher, fühlen Sie sich als starke Frau?

Wenn ich auf die Waage steige … ja, dann bin ich eine starke Frau! (Lacht herzhaft.)

Wir haben das ein bisschen anders gemeint …

Wenn man als Frau seinen eigenen Weg geht, ist das in unserer Gesellschaft nach wie vor etwas Besonderes. Eine Frau, die Karriere macht oder wie ich ihren künstlerisch individuellen Weg geht, wird gerne als starke Frau bezeichnet, das ist meine Erfahrung. Das alleine macht meiner Meinung nach aber eine starke Frau nicht aus.

Sondern?

Für mich ist sie es nur, wenn sie gleichzeitig bei sich bleibt. Sprich: nicht abhebt, sondern ansprechbar und zugänglich bleibt. Egal ob Frau oder Mann, stark ist der Mensch immer, wenn er in dem, was er tut, Haltung und Anstand beweist. Wenn man Ziele hat, die nicht nur dem eigenen Ego dienen, sondern der Allgemeinheit, den Menschen. Ich glaube aber auch, dass eine Frau, die so auftritt, noch stärker wirkt als ein starker Mann. Aus dem einfachen Grund, weil von diesem Typ Frau nicht so viele in der Öffentlichkeit stehen.

Ist es nicht auch stark, Familie zu haben und zu Hause zu bleiben?

Natürlich. Gerade in der heutigen Zeit, wo das Leben ständig echte Herausforderungen an einen stellt. Wenn du deine Kinder gut erziehen willst in einer Stadt wie München, ist das eine große Leistung.

Gesellschaftlich gilt die Mutter und Hausfrau aber oft noch wenig.

Ja, das liegt in meinen Augen aber vor allem daran, dass wir in einer brutalen Leistungsgesellschaft leben. Und die Frauen sind da leider das Opfer geworden. Einerseits hat uns die Emanzipation sehr viel an Freiheiten und Entwicklungsmöglichkeiten gebracht. Das ist toll. Andererseits hat die Leistungsgesellschaft die Frauen wieder in Ketten gelegt, weil sie jetzt alles sein sollen: Toll im Berufsleben, toll als Mutter, toll als Ehefrau. Und am besten sollen sie noch jeden Tag supertoll aussehen.

Wollten Sie schon immer Kabarettistin werden?

Ehrlich gesagt, mit 18 Jahren habe ich nicht gewusst, was ich werden will. Aber was bezeichnend war: Meine Grundschullehrerin musste damals zu meiner Mutter nach Hause kommen, um sie zu bitten, dass ich aufs Gymnasium darf. Das war nicht böse gemeint von meiner Mama, aber sie dachte halt: Warum muss mein Mädchen aufs Gymnasium? A Madl, das braucht nicht so viel Bildung.

Brauchen wir eine Frauenquote in der Politik, in den Führungspositionen?

Ja, ich bin eine große Verfechterin der Frauenquote. Manchmal muss man die Leute, sprich die Männer, zu ihrem Glück zwingen. Die Frauenquote sehe ich als Übergang, der künstlich hergestellt werden muss, damit Männer erkennen, wie sehr sie von Frauen profitieren können – und wie wir sehr wohl auf Augenhöhe zusammenarbeiten können. Die jahrhundertelangen Seilschaften und Strukturen in unserer Gesellschaft müssen aufgelöst werden. Schon rein aus pragmatischen Gründen: Frauen haben Top-Abschlüsse an den Universitäten, sind top ausgebildet, aber sie sitzen nicht in den Führungsriegen. Wir müssen das Potenzial von Frauen ausschöpfen, wollen wir global konkurrenzfähig bleiben. Es geht gar nicht darum, dass Männer zurückstecken müssen. Da muss ein Umdenken stattfinden. Das dauert noch, wir brauchen noch a bisserl Geduld.

Wird es Frauen negativer ausgelegt als Männern, wenn sie gestresst sind?

Ja, sicher. Es gibt ja diese alte Krankheit der Hysterie. Wenn man als Frau früher gesagt hat: Das passt mir jetzt ganz und gar nicht, ich will das anders haben – dann war das nicht der freie Wille eines Menschen, sondern eher eine psychische Erkrankung. Das wurde ja tatsächlich in Zeiten des Patriarchats so gehandhabt.

Sind Sie eine ausgeglichene Frau – oder schnell gestresst und launisch?

Ich würde mich grundsätzlich als ausgeglichen bezeichnen. Aber selbstverständlich gibt es immer wieder Situationen im Leben, wo man aufgrund seiner eigenen Verletzlichkeit oder einem zu dünnen Nervensystem manchmal nicht adäquat reagieren kann. Das ist dann Stress oder die Überforderung des Alltags. Deshalb sage ich immer: Ruhe ist so wichtig, Phasen der Entschleunigung. Und da ist mein Dackel Gustl natürlich ideal, weil der mich mehrmals am Tag zwingt, mit ihm Gassi zu gehen.

Die erste Frau am Nockherberg: Das war eine Sensation in der Geschichte des Politiker-Derbleckens. Gab es Vorbehalte?

Der Nockherberg ist eine Männerdomäne. Das liegt daran, dass ja Frauen früher im Wirtshaus nichts zu suchen hatten. Da treffen sich die Männer, tauschen Neuigkeiten aus und trinken ein oder zwei oder mehr Halbe – dann dackeln sie wieder heim.

Und die Frauen passen auf die Kinder auf.

Genau! Und aus diesem männerdominierten Kontext heraus ist ja auch der Nockherberg entstanden. Das muss man wissen: Heute noch werden ja nur Menschen eingeladen, die in gewisser Weise etwas zu sagen haben – und nur ohne Ehepartner, bis auf den Ministerpräsidenten und den Münchner Oberbürgermeister. Wenn du als Frau eingeladen wirst, musst du etwas sein, zum Beispiel in der Politik oder Wirtschaft. An den vorderen Tischen fällt das nicht auf, aber weiter hinten sitzen fast nur Männer.

Nennen Sie mal etwas typisch Männliches?

Diese Lässigkeit, die Männer manchmal an den Tag legen, dieses „Das lasse ich jetzt erst gar nicht an mich ran“, das ist etwas sehr Männliches. Wenn ich gelassen wirke, liegt das daran, dass ich hart an mir gearbeitet habe. Ich denke über Dinge nach. Nehme ich das persönlich? Warum tangiert mich das so sehr? Ich weiß nicht, ob das weiblich oder männlich ist. Wir alle haben unsere Emotionen. Aber Gefühle zeigen gehört nicht zum Bild des Mannes. Dass ein Mann Gefühle zeigt, wird ihm ja schon von klein auf ausgetrieben. Ein Bub heult nicht. Bis in die 90er-Jahre war das Teil der Erziehung. Das ist anerzogen, dieses unbedingt hart sein müssen.

Sind Sie eine Feministin?

Das kann ich nicht sagen. Meine Freundinnen wollten Haus bauen, Mann heiraten, Kinder kriegen. Das war nie meins. Aber nicht, weil ich eine Feministin bin. Sondern weil ich ich bin. Es ist die freie Entscheidung einer jeden Frau, daheim zu bleiben bei den Kindern. Leider haben viele Mütter in München aber gar nicht die Möglichkeit, das zu tun. Welcher Vater einer vierköpfigen Familie kann sich die Stadt noch leisten? Die Frauen müssen arbeiten gehen, damit die Miete und die Ausbildung der Kinder finanziert werden können.

Wenn Sie heute Ihr 20-Jähriges „Ich“ treffen würden, was würden Sie ihm für die Zukunft raten?

Dieser Instinkt, mich nicht beeinflussen zu lassen, meinen Weg zu gehen. Das würde ich mir heute immer noch raten. Immer auf sich schauen. Frauen haben eine so tolle Intuition, auf die sollten sie stets vertrauen.

Das  Interview führten: Tina Layes, Andrea Stinglwagner, Daniela Schmitt, Stefanie Wegele

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