Was uns Vornamen verraten

von Redaktion

Nomen est omen – „Der Name ist ein Vorzeichen“, sagten die alten Römer und meinten damit: Der Name eines Menschen sagt etwas über seine Zukunft aus. Ganz so einfach ist es nicht, aber aus Namen kann man trotzdem jede Menge herauslesen.

VON HELMUT BERSCHIN*

München – Wer Felix, lateinisch für „der Glückliche“, heißt, wird trotzdem fleißig arbeiten müssen. Denn ein Millionengewinn im Lotto ist für Felix genau so unwahrscheinlich wie für jeden Peter oder Emil. Denn so funktionieren Namen nicht, sondern indirekt: Vornamen enthalten Schlüsselinformationen über den Namensträger – Geschlecht, Alter, Religion, ja auch Konfession, Nationalität, soziale Herkunft. Und diese Informationen beeinflussen das Verhalten Dritter, vor allem beim Erstkontakt.

Nehmen wir das Alter. Vornamen sind meist generationsspezifisch: Unter dem Telefonbucheintrag „Josef und Elfriede Meier“ wird man mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Ehepaar der Generation 70 plus antreffen.

Trickbetrüger machen sich das zunutze und rufen systematisch Personen mit Seniorenvornamen an. Die Betrüger geben sich dann als jüngerer Verwandter aus, der in einer Notlage sofort Geld benötigt, oder als Amtsperson (Polizist, Staatsanwalt), die vor einem Einbruch warnt und „sicherheitshalber“ die Wertsachen abholen lässt.

Allein in München wurden letztes Jahr von der Polizei 2500 derartige Anrufe registriert; die nicht gemeldeten Fälle dürften ein Mehrfaches betragen. Auch wenn die Erfolgsquote unter drei Prozent liegt, lohnt es sich für die Betrüger, denn ihre Beute beträgt durchschnittlich mehrere zehntausend Euro.

Man muss kein Sprachwissenschaftler sein, um deutsche Seniorenvornamen zu erkennen. Jeder erwachsene Muttersprachler weiß aus Erfahrung, dass es „alte“ und „junge“ Vornamen gibt.

Die Trickbetrüger müssen auch nicht zeitraubend das Telefonbuch durchblättern. Das Internet macht eine systematische Recherche in Sekunden möglich: Es genügt, ein örtliches Telefonbuch aufzurufen, den gewünschten Vornamen einzugeben, und man erhält die Rufnummern der Teilnehmer mit diesem Vornamen – samt Adresse und Routenbeschreibung.

Zum Beispiel ergibt im Münchner Telefonbuch die Suche nach „Friederike“ 135 nur private Einträge, davon 121 für das Festnetz; in 29 Fällen ist noch ein weiterer Teilnehmer, meist der Ehemann, vermerkt. Rechnet man Mobilnummern, die eher jüngeren Frauen gehören, Mehrpersonen-Anschlüsse und Doppeleinträge heraus, verbleiben 89 Telefonnummern einer vermutlich alleinstehenden Seniorin Friederike. Diese werden dann systematisch aus Callcentern im Ausland angerufen, heute vor allem aus der Türkei, wo genügend Deutschsprecher zur Verfügung stehen. Um darauf nicht hereinzufallen, hat die Polizei viele Ratschläge gegeben. Das einfachste wird aber kaum empfohlen: Seinen Eintrag im Telefonbuch sperren. Wer nicht im Telefonbuch steht, ist vor unbekannten Anrufern ziemlich sicher.

Beim Trickbetrug stellen sich falsche Polizisten übrigens gerne mit geläufigen Nachnamen wie „Schmidt“, „Berger“ oder „Klein“ vor. Solche Namen sind uns vertraut, erwecken Vertrauen.

Allerweltsnamen sind auch bei Vornamen kein Nachteil: Im deutschen Handelsregister heißen zehn Prozent aller männlichen „Geschäftsführer“ Michael, Thomas, Andreas, Peter und Christian; sie tragen einen der Top-Namen der Geburtenjahrgänge 1960 bis 1985.

Die Tendenz der Vornamengebung in Deutschland geht allerdings nicht zum häufigen Namen, sondern zum Originellen, ja zum Unikat. Es gibt dafür sprachlich drei Möglichkeiten: 1. Den Vornamen erfinden – Taninetta, Rusulo. 2. Einen seltenen auswählen – Elinor, Rutger. 3. Oder übliche Vornamen neu kombinieren – Isabella Sophie, Walter Alexander.

Bei zwei oder mehr Vornamen, problemlos erlaubt sind fünf, ist es seit November 2018 möglich, die Reihenfolge standesamtlich zu ändern: Eine „Alexandra Sophie Maria“ könnte also im Laufe ihres Lebens sechs verschiedene Vornamenkombinationen im Pass eintragen lassen, wobei der Erstname jeweils als „Rufname“ gilt.

Zu den üblichen Vornamen der Deutschen gehören auch zahlreiche aus anderen Sprachen. Yvonne, Nicole und Marcel müssen aber nicht aus Frankreich stammen, Miriam und Tarek nicht aus dem Orient. Gehört ein fremdsprachiger Name nicht zum deutschen Vornamenschatz, markiert er für Außenstehende aber schnell eine ausländische Herkunft des Trägers. Bei Einwandererkindern stellt sich deshalb für die Eltern die Frage: Soll das Kind einen einheimischen Namen erhalten oder einen der Herkunftskultur?

Die Wahl eines einheimischen Vornamens befördert – wie Langzeitstudien für die USA zeigen – die Integration des Kindes in die Aufnahmegesellschaft. Im Nachnamen bleibt dann die Herkunftskultur weiter erkennbar. Oft über Jahrhunderte, wie bei den um 1700 aus Frankreich nach Deutschland geflüchteten Protestanten (Hugenotten), deren Nachkommen, wie der letzte DDR-Ministerpräsident „Lothar de Maizière“, französischen Familien- und deutschen Vornamen kombinieren.

Im Zuge der Massenmigration der letzten Jahrzehnte nach Westeuropa nahm die Zahl ausländischer Vornamen enorm zu: In Städten wie London oder Brüssel ist heute Mohammed der meistvergebene männliche Vorname; in Deutschland steht er auf Platz 25. Vornamen haben ein Image, rufen Assoziationen hervor. Zum Beispiel „Kevin“, der ab 1990 für einige Jahre zu den beliebtesten zehn männlichen Babynamen zählte und dann wieder verschwand. Warum? Als die jungen Kevins in die Schule gingen, wurde unter Lehrern dieser Name bald gleichgesetzt mit einem lernschwachen und verhaltensauffälligen Kind. Heute gilt Kevin als Unterschichtname und wird kaum mehr vergeben.

Auch das Image von „Mohammed“ ist negativ: „Viele denken: Mohammed ist Muslim, gewalttätig, frauenfeindlich und antisemitisch“, erzählt ein 2015 nach Deutschland geflüchteter Syrer. Und ein aus dem Irak stammender, eingebürgerter Friseur machte folgende Erfahrung: „Als ich [Mohammed] es mit dem Onlinedating versuchte, schrieb mir keine Frau zurück. Als ich mir einen anderen Namen gab, klappte es.“

Dass ein Vorname entweder Mädchen- oder Jungenname ist, erscheint uns selbstverständlich. Seit Dezember 2018 gilt das nicht mehr; denn der Bundestag beschloss die Einführung eines dritten Geschlechts: „divers“. Noch nicht geregelt ist, wie der Vorname für diese Personengruppe sein soll: männlich (Anton), weiblich (Antonia) oder beides (Toni)?

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