München – Bayern ist ein Touristenmagnet. Und das Schlagwort „Übertourismus“, oder „Overtourism“, wie die Experten sagen, ist in den beliebtesten Regionen durchaus ein Begriff. Doch noch werden die Besucher nicht zur Belastung.
„Von Eintrittsgeldern wie in Venedig als Abschreckung sind wir zum Glück weit entfernt“, sagt Wilfried Schober, Sprecher des Bayerischen Gemeindetags. Eine solche Maßnahme sei von keiner Gemeinde bisher in Erwägung gezogen worden. Dafür bräuchte es auch gesetzliche Rahmenbedingungen: „Das Geld müsste zweckgebunden verwendet werden, der reine Zweck der Abschreckung würde nicht anerkannt.“ Schober bezweifelt auch, dass fünf oder auch zehn Euro Touristen davon abhalten würden, touristische Anziehungspunkte zu besuchen.
Das Schloss Neuschwanstein ist so ein Anziehungspunkt. Jahr für Jahr strömen etwa eineinhalb Millionen Menschen dorthin, die kleine Gemeine Schwangau mit etwas mehr als 3000 Einwohnern muss diesen Ansturm tragen. Auch das Tegernseer Tal oder das Walchensee-Gebiet zählen zu den von Übertourismus gefährdeten Regionen. „Bisher haben die Gemeinden aber alles in Griff“, glaubt Schober. Übertourismus herrsche dann, wenn sich Einheimische in der Minderheit fühlten, fasst er den Zustand zusammen, der in Venedig fast zum Kollaps führt. Als besonders gefährdet stuft Schober sogenannte „Hot Spots“ ein, die nur auf einem Weg erreichbar sind. Als Beispiele nennt er die Stadt Lindau als Insel im Bodensee oder den Königssee in Berchtesgaden mit seiner eingekesselten Lage.
Grundsätzlich gehen in Bayern seit Jahrzehnten die Touristenzahlen steil nach oben. Über 37 Millionen Gästeankünfte waren es 2017, Im vergangenen Jahr zählte Bayern mit Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern zu den beliebtesten Reisezielen in Deutschland. Bei den Übernachtungen lag der Freistaat ganz vorn mit 98,7 Millionen. Angesichts dieser Rekordzahlen wird im bayerischen Voralpenland darüber diskutiert, wie viele Urlauber die Region verträgt. In Füssen sind beispielsweise inzwischen Hotelinvestoren nicht mehr uneingeschränkt willkommen, nachdem zuletzt binnen zwei Jahren die Zahl der Betten um etwa 500 auf rund 7150 gestiegen ist. Füssens Tourismusdirektor Stefan Fredlmeier sieht Bedarf eher in Nischen, die bislang nicht so gut besetzt sind, wie Jugend- und Familienhotels oder barrierefreie Häuser.
Und wie sieht es in der bayerischen Landeshauptstadt aus? „In München gibt es noch kein Problem mit Übertourismus“, sagt Ursula Dietmair von München Tourismus. Dabei wächst auch hier der Tourismus stetig. Die Übernachtungen legten 2018 um ganze zehn Prozent auf 17,1 Millionen zu. Mehr als die Hälfte von den Übernachtungsgästen kamen aus dem Ausland, damit ist München weiterhin die Stadt mit dem größten Anteil an ausländischen Touristen in Deutschland. Und auch die Zahl der Tagesgäste steigt, zuletzt auf 96 Millionen im Jahr. Tagesgäste verursachten die größten Engpässe, sagt Dietmair. Zu diesen Engpässen käme es besonders zur Wiesn-Zeit. Von einem „punktuellen Overcrowding“ spricht die Tourismusexpertin und meint damit überfüllte U-Bahnen und Wege rund um die Theresienwiese. „Aber München ist im Umgang damit sehr geübt.“
Über Eintrittsgelder werde überhaupt nicht nachgedacht, sagt Dietmair. Wegweisende Entscheidungen seien schon in den 1980er-Jahren getroffen worden. Seitdem wird keine Werbung mehr fürs Oktoberfest gemacht. Auf der Wiesn herrschte trotzdem viele Jahre massiver Übertourismus.
AGLAJA ADAM