München – Ida, 7, hat ihr Schild am Vorabend mit der Mama gebastelt. „Mir stinkt’s – weniger Autos, mehr Fahrräder!“ steht darauf. Daneben sieht man ein Radl, um das Ida ein Herz gemalt hat. Und ein durchgestrichenes Auto. Die Erstklässlerin aus Gilching im Kreis Starnberg steht auf dem Odeonsplatz, hält ihr Schild in die Höhe und schaut grantig. Das liegt am Regen. Aber natürlich liegt es auch an der deutschen Klimapolitik, am Kohleabbau und am weltweiten CO2-Ausstoß. Das ist allerdings rasend kompliziert, versteht kaum ein Mensch vollständig, deswegen hat sich die Siebenjährige für eine blitzgescheite, einfache Botschaft entschieden: „Ich habe das Schild gemalt“, sagt sie, „damit weniger Autos fahren.“
Ida geht in die Montessori-Schule, ihre Mama ist mit ihr nach München gekommen. Einen Schulverweis muss sie nicht befürchten – in der Grundschule wurde aktiv für den Streik geworben. Früh übt sich die Klima-Revolution.
Um Ida herum stehen an diesem Freitag 10 000 Demonstranten – das sind 5000 mehr als erwartet worden waren. Die Schüler, Studenten und vereinzelten Eltern rufen immer wieder ihren gemeinsamen Schlachtruf: „Wir sind hier. Wir sind laut. Weil man uns die Zukunft raubt.“ Es ist der Schlachtruf einer ganzen Generation geworden, seit die 16-jährige Schwedin Greta Thunberg eine weltweite Protestwelle angeschubst hat (siehe Artikel unten).
Viele der Demonstranten in München haben Papp-Schilder bemalt – einige werden im Laufe des Tages vor lauter Regen einknicken. Ein paar der jungen Menschen haben vorgesorgt – sie haben ihre Schilder mit üppigen Lagen Frischhaltefolie umwickelt. Dafür kriegt man zwar keine Umweltsternchen, aber die Botschaften sollen in die Welt. Sie müssen in die Welt, Folie hin, Folie her. Eine unvollständige Auswahl der besten Plakat-Sprüche am heutigen Fridays-for-Future-Großereignis in der Landeshauptstadt: „Alle Kinder retten das Klima – außer Ole, der baggert Kohle“, „Rettet die Erde – nur hier gibt es Bier, Schnaps und Drogen“, „Rettet die Erde – nur hier gibt es Pizza“, „Die Zukunft ist aussichtsloser als mein Abi“.
Auch wer Klima-Demos während der Schulzeit doof findet wie FDP-Chef Lindner und einige CSU-Politiker, der kann nicht abstreiten: Humor haben sie, die jungen Leute. „Stoppt die globale Erwärmung – warmes Bier schmeckt ned“ hat ein Schüler auf sein Plakat geschrieben. Er reckt es in die Höhe, dann öffnet er eine Flasche Helles. Das ist so was wie seine letzte Vorbereitung. Denn kurz vor 12 zieht der Demonstrationszug los – vom Odeonsplatz bis zur Theresienwiese. Unterwegs kommen immer wieder Anzug tragende Geschäftsmänner aus ihren Büros, um die jungen Menschen zu fotografieren. Egal, wie man zu den Protesten steht – vielen Teilnehmern ist es ein Herzensanliegen, ein Teil des weltweiten Protests zu sein. Klima-Demos sind anno 2019 ein globaler Trendsport geworden. „Es ist nicht immer einfach, sich total korrekt zu verhalten“, sagt Isabel Olving, 20, aus München. „Aber ich gebe mein Bestes. Meine Schule hat mir erlaubt, heute hier zu sein. Doch selbst wenn nicht, wäre ich trotzdem da. Ich finde das momentan wichtiger, als in die Schule zu gehen.“ Die junge Frau geht auf die Romano-Guardini-Fachoberschule in München und lebt vegan.
Die 16-jährige Amy aus München läuft mit ihren Freundinnen ganz vorne bei der Demo mit. Sie geht auf das Nymphenburger Gymnasium, eine Privatschule, und sagt: „Wir sind nicht damit zufrieden, wie wenig für unsere Umwelt getan wird. Wir sind diejenigen, die diese Suppe dann in zehn oder 30 Jahren auslöffeln müssen.“ Ihre Worte überschlagen sich fast, sie ist maximal aufgebracht. „Unsere Schule“, sagt sie, „hat nicht erlaubt, dass wir hier sind.“ Sie schätzt, dass mindestens 50 Mitschüler gerade schwänzen und fürs Klima demonstrieren. „Cool finde ich, dass auch so viele junge Schüler und Schülerinnen hier sind, die echt Ärger bekommen könnten. Das zeigt, wie wichtig das Thema ist.“
Unterwegs trifft man auch immer wieder auf ältere Demonstranten, die diese neue Jugendbewegung in spe unterstützen wollen. „Ich bin froh, dass die jungen Menschen endlich mal aufstehen“, sagt Beatrice Heiber, 59, aus München. Sie wird bald Oma – auch für ihr Enkelkind, sagt sie, demonstriert sie heute.
Ganz am Ende stellt sich der Demonstrationszug unter die Bavaria. Die Patronin des Freistaats begrüßt ihre regennassen Kinder. Ein Demonstrant reckt sein Plakat in die Höhe: „Oma, was ist ein Schneemann?“ steht darauf. Eine andere Demonstrantin deutet auf ihr Papp-Schild – es ist auf Englisch. Darauf steht: „Die 68er sind zurück.“ Bei der Abschlusskundgebung auf der Theresienwiese sind vielleicht noch 1500 von ursprünglich 10 000 Teilnehmern dabei. Klimaschutz ist anstrengend. Oder wie es ein junger Demonstrant auf den Punkt bringt: „Puh, jetzt brauch ich erst mal einen Döner.“