Der „Gorch Fock“-Krimi

von Redaktion

Stolz der Marine, Schulschiff des Offiziersnachwuchses oder Geldmaschine der Reparaturwerft? Die Sanierung der „Gorch Fock“ ist zum Krimi geworden. Auch die Bundeswehr sieht dabei nicht gut aus. Jetzt öffnet sie trotzdem wieder den Geldhahn.

VON C. HOFFMANN, H. REUTER UND F. KOHLER

Bremerhaven – Behäbig blähen sich die Schutzplanen im Wind. Möwen kreischen über dem Hafen. Unter den langen Kunststoffbahnen verbirgt sich die „Gorch Fock“ – oder was von ihr übrig ist. Eingerüstet, abgeschirmt, in Bauteile zerlegt liegt das Segelschulschiff im Trockendock der Bredo-Werft in Bremerhaven. Schon drei Jahre lang.

Hinten dran, über einen schmalen Steg mit dem Dock verbunden, schwimmt der „Knurrhahn“ im Wasser. So heißt das graue Marinewohnschiff „Y811“. Darauf lebt und arbeitet die Stammbesatzung des Dreimasters um Kommandant Nils Brandt. Und kann zusehen, wie der von Korrosion zerfressene Metallrumpf aufgearbeitet wird.

Ende 2015 war das Schiff zur Instandsetzung, die wenige Monate dauern sollte, in die Werft gekommen. Heute, Jahre später, erscheint die Reparatur als nicht enden wollende Irrfahrt, bei der die Marine und Bundesministerin Ursula von der Leyen in schwere See geraten sind.

Zu erzählen ist die Geschichte von niedrigen Preisangeboten und explodierenden Kosten. Wobei das Ganze zunehmend zum Krimi mutierte. Dabei geht es um ein Statussymbol. Die „Gorch Fock“ zierte einst die Rückseite des blauen Zehn-Mark-Scheins. Die Marine hängt an der über 60 Jahre alten Bark mit den prächtigen Rahsegeln. Das Schiff musste in den vergangenen beiden Jahrzehnten im Zwei-Jahres-Takt zur Kontrolle und Instandsetzung. Mal waren es drei Millionen Euro, mal knapp zehn Millionen Euro. Dass Kostenpläne gesprengt wurden, hatte der Bundesrechnungshof schon früher kritisiert. Die aktuelle Instandsetzung läuft seit November 2015. Damals wurden 9,6 Millionen Euro veranschlagt.

Über zwei Jahre später vereinbarten die Marine und die Elsflether Werft eine Obergrenze von 128 Millionen Euro, hinzu kamen sieben Millionen unter anderem für „Fremdleistung und Managerreserve“. Knapp 70 Millionen Euro davon sind bisher überwiesen worden, bevor Ende 2018 ein Zahlungsstopp griff. In der Folge ruhten die Arbeiten. Wie konnte es so weit kommen? Warum sorgte die Preisexplosion nicht schon früher dafür, dass Verantwortliche genauer hinsahen?

DIE WERFT

Die 1958 auf der Hamburger Blohm&Voss-Werft gebaute „Gorch Fock“ kam zur Instandsetzung meistens zur Elsflether Werft. Die liegt im gleichnamigen niedersächsischen Ort an den Flüssen Hunte und Weser. 130 Beschäftigte. 100 Jahre Tradition. Hauptauftraggeber: die Marine. Auf sie entfallen 80 Prozent des Umsatzes.

Weil die Werft kein Trockendock hat, mietete sie für die „Gorch Fock“ eines bei der Bredo Dry Dock GmbH etwa 45 Kilometer weserabwärts in Bremerhaven. Dort liegt die „GF“, so die Kurzbezeichnung, seit 5. Januar 2016 auf dem Trockenen.

Die Instandsetzungen wurden stets ausgeschrieben. Die Werft setzte sich zuletzt gegen vier Konkurrenten durch. 9,6 Millionen Euro sind für eine Schiffsreparatur kein ungewöhnlich hoher Posten. Die Werft gab, so die Bundesregierung, „das wirtschaftlichste Angebot ab“. Mehrfach wurde es am Ende teurer. Hätte man also etwas ahnen können?

„Wir sind damals mit einem vergleichsweise sehr kleinen Betrag angetreten und hätten uns auch darüber schon gefreut“, sagt Marcus Reinberg. Der Hamburger Anwalt war einer von zwei Werft-Vorständen. Bis zum 30. Januar 2019. An dem Tag wurden er und sein Vorstandskollege Klaus Wiechmann von den neu eingesetzten Notvorständen der Hamburger Sky-Stiftung abberufen. Die Stiftung ist die Eigentümerin der Werft.

„Seit zwei Monaten werden wir nur verprügelt. Wir sind zum Spielball verschiedener Interessen geworden“, klagt Reinberg. Gegen beide Ex-Chefs ermittelt die Osnabrücker Staatsanwaltschaft wegen Untreue-Verdachts.

Mit der Absetzung des Duos kam eine neue Führungsmannschaft. Die Hauptplayer: der neue Aufsichtsratschef Pieter Wasmuth, hauptamtlich Generalbevollmächtigter der Vattenfall GmbH für Hamburg und Norddeutschland, und Vorstandschef Axel Birk. Ein Projektteam „Gorch Fock“ durchforstete Bücher und Akten. Das Team kam zu dem Schluss, die alten Chefs hätten Geld in ein Firmengeflecht geleitet. „Die Herren wussten offenbar nicht mehr genau, was ist meins und was ist deins“, hieß es aus der Projektgruppe.

Neben der Werft hatte jeder Vorstand seine eigene Firma. Diese betrieben teils einzeln, teils zusammen weitere Firmen. Einige dienten als Zulieferer für die Werft. Andere investierten in schiffbauferne Branchen wie Film, Reisen und Goldförderung in der Mongolei. Geleitet worden seien die Unternehmen oft von „Angestellten und Lebenspartnern“ der Vorstände – so steht es im Insolvenzantrag. Mehr als 20 Firmennamen umfasst die Übersicht, und mehr als 20 Millionen Euro sollen an sie geflossen sein.

Am 20. Februar stellte Vorstandschef Birk schließlich den Antrag auf Insolvenz in Eigenverwaltung. Die Elsflether Werft war zahlungsunfähig. Allein die Forderungen des größten Unterauftragnehmers Bredo belaufen sich auf 3,9 Millionen Euro. Die Bredo-Werft berechnet für die Dock-Kosten 10 000 Euro – pro Tag.

WAS ZULIEFERER BERICHTEN

Die Zulieferer leiden stark. Beispiel: die Janssen Elektromaschinen GmbH. Die Firma aus Emden soll die elektrische Installation liefern. Doch wie Kabel ziehen in einem Schiff, dessen Rumpf nicht fertig ist? Die Schulden der Elsflether Werft bei ihm seien zwar nicht existenzgefährdend, sagt Geschäftsführer Dieter Janssen, aber: „Das ist äußerst schmerzhaft, eventuell so viel Geld verlieren zu müssen.“ 50 bis 60 Subunternehmer waren oder sind in den „Gorch Fock“-Auftrag involviert.

Im Insolvenzantrag steht, dass die Werftleitung von Zulieferern überhöhte Angebote eingeholt und bei der Marine abgerechnet haben soll. Die Zulieferer bekamen danach 15 Prozent weniger.

DER WENDEPUNKT

Lange blieben diese Dinge unter der Decke. Doch ein Erbzwist und Machtkämpfe bei der Werft sorgten dafür, dass die Vorgänge in Elsfleth breiter hinterfragt wurden. So fiel auch ein neues Licht auf das Reparaturprojekt „Gorch Fock“. Werftbesitzerin Brigitte Rohden hatte 2009 die Sky-Stiftung gegründet und ihr den Schiffbaubetrieb übertragen. Bis heute hält die Stiftung sechs Prozent der Anteile direkt, 94 Prozent über eine Vermögensverwaltungsgesellschaft.

Am 27. Januar 2018 starb Rohden mit 77, die Sky-Stiftung erbte ihr Vermögen. Alleiniger Vorstand der Stiftung und Rohdens Testamentsvollstrecker war ihr Vertrauter Reinberg. Nicht zur Freude von Rohdens beiden Töchtern: Sie beauftragten die Hamburger Kanzlei Roxin, kursierende Vorwürfe gegen Reinberg zusammenzufassen. Es entstand ein Dossier mit 27 Seiten, das an die Stiftungsaufsicht ging. Auch danach passierte erstmal – nichts.

Bis Dezember. Da offenbarte sich ein Mitarbeiter des Marinearsenals in Wilhelmshaven. Die Behörde ist für die Wartung von Schiffen und Hafenanlagen der Marine zuständig – und Vergabestelle bei Ausschreibungen. Jener Mitarbeiter verantwortete die technische Preisprüfung bei der Sanierung der „Gorch Fock“. Er zeigte sich selbst bei seinem Vorgesetzten an, mit der Angabe, dass er vergünstigte Darlehen über mehrere Hunderttausend Euro von der Werft und einer anderen beteiligten Firma bekommen habe.

„Als im Dezember 2018 die Selbstanzeige kam, war dies der Wendepunkt. Das war der Trigger. Von da an wurde alles neu, und zwar von null an, diskutiert“, sagt Ex-Vorstand Reinberg. Und wundert sich, weil zu diesem Zeitpunkt kostenmäßig alles geklärt schien: „Es war keine einzige Zahl beim Auftragsvolumen geändert worden.“ Das Verteidigungsministerium zog nach der Anzeige die Notbremse und verhängte im Dezember 2018 den mehrmonatigen Zahlungsstopp.

DIE KOSTEN

Die Kostenexplosion ist zwar seit der Insolvenz der Werft ein großes Thema. In Gang gekommen ist sie aber schon sehr früh: Mehr und mehr Teile des Schiffes, die anfangs nicht vorgesehen waren, wurden erneuert. Seit Beginn der Instandsetzung ergaben sich 124 Änderungen zum ursprünglichen Auftrag. „Faktisch handelt es sich in Folge dessen nicht mehr um einen Instandsetzungsauftrag, sondern eher um einen Neubau des Schiffes“, steht im Insolvenzantrag. So sieht es auch Werft-Betriebsratschef Ralf Templin. Der Stahlrumpf sei zu 85 bis 90 Prozent fertig. „Da kann man schon das Wort Neubau in den Mund nehmen.“ Es kommt der Eindruck auf: Die Marine, sie wollte dieses Schiff unbedingt.

DIE MINISTERIN

Verteidigungsministerin von der Leyen, die seit über fünf Jahren im Amt ist, legt in ihren Aussagen einen anderen Schwerpunkt. Sie geht eher Richtung Wirtschaftskrimi. Bei ihr kommt die abgelöste Werftspitze nicht gut weg: „Sie hat ein Firmengeflecht aufgebaut von vielen Tochter- und Unterfirmen“, sagt die Ministerin. „Sie hat Millionen aus der Elsflether Werft in dieses Firmengeflecht geleitet.“ Zur Insolvenz der Werft habe die Entnahme von Geldern geführt, nicht der angeordnete Zahlungsstopp des Verteidigungsministeriums.

DAS MINISTERIUM

Die Ministerin führt eine Megabehörde, die schon für mehrere ihrer Vorgänger zur politischen Endstation wurde. Rüstungsverträge laufen über viele Jahre oder Jahrzehnte, kaum ein Minister steht bis zum Ende für die Folgen seiner Entscheidungen gerade.

Allerdings ist bei der „Gorch Fock“ einiges anders. Die Kostensteigerungen hat von der Leyen selbst in den Jahren 2017 und 2018 abgezeichnet. Dabei sei sie allerdings Fehlinformationen aus ihrem Haus aufgesessen, stellte der Bundesrechnungshof am 3. Januar in einem Prüfbericht fest. Die Kontrolleure formulieren Zweifel, ob eine Sanierung der „Gorch Fock“ der richtige Weg sei. Sie stellen auch in Frage, dass ein Neubau heute etwa 170 Millionen Euro kosten könnte, wie bei den Entscheidungen angenommen.

WIE GEHT ES WEITER?

Schwimmen wird die „Gorch Fock“ auf jeden Fall wieder. Die neue Werftleitung arbeitet darauf hin, dass das Schiff bis Juni/Juli schwimmfähig sein soll. Allein dafür sind maximal elf Millionen Euro nötig. Ins Wasser muss die Bark, und sei es für die letzte Fahrt zum Abwracken. Doch ein solch ruhmloser Untergang gilt als unwahrscheinlich.

Die Besatzung hat das Segeltraining schon wieder aufgenommen. Eigentlich nutzt die Marine das rumänische Schwesterschiff „Mircea“ als Ersatz. Doch aus Sicherheitsgründen dürfen die deutschen Kadetten auf dem Segelschulschiff nicht in die Takelage. Die Crew übt nun auf der „Alexander von Humboldt II“, einem 65 Meter langen Dreimaster, der vor drei Jahren neu gebaut wurde. Kostenpunkt: 16 Millionen Euro.

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