München – Achim Rohnke kennt jede Tür auf dem gewaltigen Areal. 30 Hektar misst der Medienstandort Geiselgasteig im Nordosten Grünwalds unweit der Stadtgrenze zu München. Der 62-jährige Geschäftsführer hat sich Zeit für einen Rundgang genommen. Es ist für ihn eine Art „Spaziergang zum Abschied“, wie er sagt. Nach elf Jahren an der Spitze der Bavaria Film geht Rohnke Ende des Monats in den Ruhestand. „Ich werde dann erst mal ein Seminar belegen zum Thema Abschalten“, sagt er und lacht.
Rohnke steuert sein erstes Ziel an. Gerade wird hier, im Studiokomplex 2/3, nicht gedreht. An anderen Tagen aber könnte jeden Moment Rudi Cerne um die Ecke biegen. Der Moderator hätte eine neue Folge der ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY … ungelöst“ abgedreht, würde vielleicht noch mit einem Kriminalhauptkommissar plaudern, der in der Sendung zu Gast war. Oder US-Schauspieler Willem Dafoe begegnen, der jüngst für seine Titelrolle in „Van Gogh“ für den Oscar nominiert war. Denn hier in den Studios 2 und 3 entstehen bald Szenen für das Hollywooddrama „Siberia“ von Regisseur Abel Ferrara.
Die Bavaria fungiert dabei als kleinerer Co-Produzent und als Dienstleister, der Studio und Kulissen zur Verfügung stellt. Die Kulissen entstehen im hauseigenen „Art Department“, der Schreinerei um Werkstattleiter Werner Wolf, und werden eigens für diesen Film gebaut. Neun Tage werden Dafoe und Co. zu Gast sein. „Das ist das Faszinierende hier“, sagt Achim Rohnke. „Film und Fernsehen liegen sehr nah beieinander.“ Auch Szenen zu „Fack ju Göhte 3“ wurden hier gedreht sowie Teile des Dramas „3096 Tage“, das die Geschichte von Natascha Kampusch erzählt, die als Zehnjährige entführt und über acht Jahre in einem Haus gefangen gehalten wurde, ehe ihr die Flucht glückte.
Rohnke öffnet die nächste Tür zum nur wenige Meter entfernten Studio 13 – der Heimat der „Rosenheim-Cops“. Die Serie wird von der Bavaria Fiction im Auftrag des ZDF produziert. Hier sitzen Joseph Hannesschläger und Co. in ihrem Kommissariat oder lassen sich in der Pathologie auf den neuesten Stand der Ermittlungen bringen. Die Serie ist ein Quotenbringer und allein schon deswegen wichtig für die Bavaria. Das Erfolgsrezept? „Die Geschichten sind nah am Publikum, spielen bei schönstem Wetter vor traumhafter bayerischer Kulisse, und die Fälle haben eine Aufklärungsquote von 100 Prozent.“
Einen Steinwurf entfernt liegt das 9000 Quadratmeter große Reich von Thomas Hissia. Er ist Chef der Bavaria-Tochter FTA (Film- und Theaterausstattung) und Herr über 200 000 Gegenstände. Bei Thomas Hissia gibt es nichts, was es nicht gibt. „Wenn zum Beispiel im Drehbuch steht, die Familie X besteht aus Vater, Mutter und drei Kindern, sie leben in eher gehobenen Verhältnissen in einem Einfamilienhaus, dann suchen wir die Einrichtung, die dazu passt.“ Zu Rohnkes Lieblingsgegenständen zählen die unzähligen Telefone. „Da zieht ihre gesamte Kindheit vorbei“, sagt er. Ein blaues Telefon mit Wählscheibe: Die Kinder von heute kennen solche Apparate gar nicht mehr. Für Filme, die in den Achtzigern spielen, sind sie aber unerlässlich.
Fragt man Rohnke nach seinen Lieblingsproduktionen, nennt er die Komödie „Big Game“, in der Samuel L. Jackson den US-Präsidenten spielt. Die Bavaria war damals nicht Produzent, sondern „nur“ Dienstleister, was nicht ungewöhnlich ist. Gleichwohl, beteuert Rohnke, strebe die Bavaria mittelfristig ein bis zwei Kinoeigenproduktionen im Jahr an. Zuletzt hatte der Fokus eher auf Fernsehproduktionen gelegen, etwa „Das Boot“ für den Bezahlsender Sky. Aus wirtschaftlichen Gründen ist das nachvollziehbar. Aber so ein echter Leinwandknaller wäre halt auch mal wieder schön.
„Rosenheim-Cops“, „Tatort“, „Sturm der Liebe“ – alles TV-Erfolgsgeschichten, bei denen Geiselgasteig als Drehort mitmischt. Die ARD-Serie „Sturm der Liebe“ wurde inzwischen in 26 Länder verkauft. Die Fassade des Hotels, in dem die Geschichte spielt, ist die alte Thomas-Mann-Villa aus der Verfilmung „Die Manns“. „Hier würden viele gerne drehen, weil gerade Villen in München schwer zu kriegen sind“, erklärt Rohnke. Das Waldstück hinter dem Haus gehört auch der Bavaria. Einst wurde hier für „Derrick“ gemordet, jetzt lustwandeln hier die Protagonisten aus „Sturm der Liebe“.
Die meisten Innenszenen der Serie werden im Studio 4/5 gedreht, dem geschichtsträchtigsten und ältesten Studio der Bavaria im Herzen des Areals. „Das Boot“, „Die unendliche Geschichte“ oder „Cabaret“: Alles hier gedreht. „Dieser Boden ist filmheilig“, sagt Rohnke andächtig und marschiert weiter, vorbei an Bully Herbigs Produktionsfirma HerbX, und steht dann vor zwei Zentren großer Unterhaltung: Vor der Halle 12 wird gerade die Komödie „Das perfekte Geheimnis“ mit Elyas M’Barek gedreht. Im Herbst soll Kinostart sein.
Nebenan liegt die Halle für die Shows: „Verstehen Sie Spaß?“, „The Taste“, Carmen Nebels Spendengala und vieles mehr wird hier produziert. Rohnke spaziert weiter, vorbei an Filmkulissen und vielen kleinen Hallen für Kabarettsendungen wie „Die Anstalt“. Die richtig großen Filme, die Geschichte geschrieben haben, liegen eine Weile zurück. Dort, wo einst Herbert Grönemeyer in einer Drehpause von „Das Boot“ Gitarre spielte, werden nun Serien am Fließband gedreht. Aber die Uhr im Produktions-Business tickt heute eben ein bisschen anders als damals.