Die Krise des Wohnens

von Redaktion

Nach der Äußerung des Grünen-Bundesvorsitzende Robert Habeck, er könne sich im Kampf gegen Wohnungsmangel auch Enteignungen vorstellen, hagelt es Kritik aus Politik und Wirtschaft. Zustimmung erntet Habeck hingegen von Bürgern. Die Reaktionen zeigen: Das Thema ist brandheiß.

VON WOLFGANG HAUSKRECHT

München – Noch ist die Zahl derer, die auf die Straße gehen, überschaubar. Rund 55 000 waren es deutschlandweit, die am Samstag gegen explodierende Mieten demonstrierten. Zentrum des Protests war Berlin, wo die Initiatoren über ein Volksbegehren erreichen wollen, dass Immobilienfirmen mit mehr als 3000 Wohnungen enteignet werden. Genauer gesagt soll Berlin den Firmen die Wohnungen zwangsweise abkaufen. Am Rande des Protests hatte Habeck in einem Interview geäußert, der freie Wohnungsmarkt habe versagt. Die Politik müsse ihren Bestand an Wohnungen wieder erhöhen. Habeck verwies auf das Grundgesetz, das Enteignungen vorsehe. Habeck äußerte Sympathie für das Volksbegehren, forderte zugleich Mietobergrenzen in Ballungsräumen und Bußgelder gegen Miethaie.

Die Reaktionen folgten prompt. CSU-Generalsekretär Markus Blume sprach von einer „sozialistischen Idee“. Habeck könne „mit seiner Enteignungsidee ja mal bei den Luxus-Penthouse-Wohnungen seiner Grünen-Anhänger am Prenzlauer Berg anfangen“. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt warf Habeck vor, er gefährde den „gesellschaftlichen Frieden“. Frank Sitta, Vizechef der FDP-Bundestagsfraktion, sagte, allein die Debatte gefährde den Bau von Wohnungen. „Unternehmen werden sich dreimal überlegen, ob sie bauen, wenn ihnen Enteignungen oder Mietendeckel drohen.“ Sogar Angela Merkel meldete sich zu Wort. Die Kanzlerin halte „die Enteignung von Wohnungskonzernen nicht für ein geeignetes Mittel zur Linderung der Wohnungsnot“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert gestern.

Habeck zeigte sich unbeeindruckt: „Enteignungen werden in Deutschland vor allem ideologisch diskutiert, sind aber eine im Grundgesetz vorgesehene Möglichkeit, die soziale Marktwirtschaft zu schützen“, legte er nach. „In einer Notlagensituation, wie wir sie heute in manchen Städten schon vorfinden, darf man kein Mittel ganz ausschließen. Der richtige Umgang mit Enteignungen ist pragmatisch, nicht ideologisch.“

Zu enteignen würde die Kommunen viel Geld kosten. Allein die „Vonovia“ hält als größtes deutsches Immobilienunternehmen 363 446 Wohnungen (Grafik). „Deutsche Wohnen“, um die es insbesondere in Berlin geht, hat 163 100 Wohnungen. Das hoch verschuldete Berlin rechnet mit 30 Milliarden Euro, die es für die Berliner Wohnungen zahlen müsste.

Was bleibt, ist das Problem: In Ballungsräumen gibt es immer weniger bezahlbaren Wohnraum. In München liegt der Mietpreis im Schnitt bei 17,56 Euro den Quadratmeter, in zentralen Vierteln sind über 20 Euro normal. In Frankfurt sind es 13,96 Euro, in Berlin 12,29 Euro. In den vergangenen Jahrzehnten hatten viele Kommunen und auch der Bund Wohnungsbestände versilbert. Die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) hält noch rund 36 000 Wohnungen – das sind zehn Prozent dessen, was die Vonovia besitzt. Was verkauft wird, geht meist an Investoren. Im Zeitraum 2015 bis Sommer 2017 wurden nach BImA-Angaben nur acht Grundstücke vergünstigt an Kommunen verkauft. Auch der Freistaat macht Kasse. 2013 verkaufte Markus Söder, damals Finanzminister, die 32 000 Wohnungen der Landesbank-Tochter GBW für 2,5 Milliarden Euro an die Augsburger Patrizia. Die Wohnungsmisere war längst bekannt. Seitdem reißen die Klagen wegen drastischer Mieterhöhungen nicht ab.

Dazu kommt die geringe Eigentumsquote gerade in Ballungsräumen. In Berlin haben nur 14 Prozent der Einwohner eine Immobilie, in Hamburg 23, in Bremen 34. In Bayern sind es 51 Prozent. Spitzenreiter ist das Saarland mit 63 Prozent. Deutschland ist ein Mieterland.

Den Wohnungsbau anzukurbeln, gelingt leidlich. In München wurden 2017 8340 Wohnungen fertig – das sind 5,7 Wohnungen je tausend Einwohner. Deutschlandweit sind es 3,4. Angesichts der fatalen Lage in München reicht das Neubauvolumen nicht. Viele Vermieter nutzen das aus, erhöhen kräftig die Mieten – oder versuchen gleich, Altmieter mit günstigen Mieten über vermeintlichen Eigenbedarf loszuwerden.

Ob die Wohnungskrise mit Neubauten zu lösen ist, ist umstritten. Barbara Schönig, Professorin für Stadtplanung an der Bauhaus-Universität Weimar, spricht auf tagesschau.de von einem „Mythos“. Es fehle vor allem an bezahlbarem Wohnraum für untere und mittlere Einkommensschichten. Der befinde sich vornehmlich im Bestand, allein durch Neubau würden Bestandswohnungen nicht günstiger. Enteignungen seien „ein adäquates Mittel für eine soziale Wohnraumversorgung“. Immobilienkonzerne seien auf maximale Rendite ausgelegt. Michael Voigtländer vom Institut der Deutschen Wirtschaft hingegen spricht von einem „Tabubruch“. Zwar würden Mieter in den enteigneten Immobilien entlastet, aber auch Investoren verschreckt.

Viele Mieter finden Habecks Aussage offenbar nicht so verwerflich. Im Internet gibt es Gegenwind, aber noch mehr Zuspruch. „Wer sich dermaßen an Menschen bereichert, muss gestoppt werden“, lautet ein typischer Kommentar. Vielfach wird die Politik kritisiert. „Schuld an der Misere am Wohnungsmarkt trägt hauptsächlich die Politik. Die Entwicklung hat man nicht nur verschlafen, man hat aktiv mitgewirkt daran, indem man städtische Wohnungen privatisiert hat“, schreibt ein User.

Neidvoll geht der Blick nach Wien. Dort lebt ein Viertel der knapp 1,9 Millionen Einwohner in stadteigenen Wohnungen. 5,81 Euro pro Quadratmeter zahlt man bei Neuvermietung. 220 000 Wohnungen hat die kommunale Gesellschaft „Wiener Wohnen“, bis 2020 sollen weitere 4000 entstehen. Daneben entstehen 10 000 geförderte Wohnungen pro Jahr. In Deutschland ist der soziale Wohnungsbau eingebrochen. Gab es 2002 noch 2,5 Millionen Sozialwohnungen, waren es 2017 nur noch 1,22 Millionen – Tendenz sinkend, denn jedes Jahr fallen deutlich mehr Sozialwohnungen aus der Mietpreisbindung heraus, als neue entstehen. So brechen dem bezahlbaren Wohnen regelrecht die Wände weg.

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