München – Manche Fakten sind unstrittig. Etwas mehr als 1050 deutsche Islamisten sind in den vergangenen Jahren nach Syrien und in den Irak aufgebrochen, um sich der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) anzuschließen. Ein Drittel von ihnen befindet sich wieder in Deutschland, bei mindestens 200 weiteren ist belegt, dass sie den Kämpfen zum Opfer gefallen sind. Darüber hinaus jedoch sind viele Fragen offen; nicht nur, wie viele der Dschihadisten exakt noch am Leben sind und wo sie sich jetzt aufhalten. Für die Justiz geht es nun auch darum, wie sie mit den Rückkehrern – und ihren Angehörigen – umgehen soll.
Es ist in vielerlei Hinsicht eine Grauzone, die Polizei und Gerichte zu durchleuchten haben. Wer war aktiv an Kampfhandlungen und Schlimmerem beteiligt, wer bloß Mitläufer? Die Verhöre inhaftierter Europäer klingen häufig so, als seien Gewalttaten immer nur von anderen begangen worden, als habe man sich innerlich abgewandt und sehne sich nun einfach nach einem Leben in Ruhe und Frieden. Dass dies oft nicht mal die halbe Wahrheit ist, dessen sind sich die Ermittler bewusst. Doch ihren Verdacht mit Fakten zu unterfüttern, fällt schwer in einem Krieg, der in der Ferne geführt wurde und in dem es nur selten verlässliche Zeugenaussagen und belastbare Beweise gibt, dafür eine massive Sprachbarriere.
Immerhin, bei mehr als 110 der zurückgekehrten Deutschen verfügen die Behörden über Erkenntnisse, dass sie an Kämpfen beteiligt waren oder dafür ausgebildet wurden. Gegen diese Personen wird ermittelt, die Zahl der bisherigen Verurteilungen bewegt sich im mittleren zweistelligen Bereich.
Doch übrig bleibt immer noch eine stattliche Menge, und mit jeder Rückreise werden es mehr. Auf eine hohe zweistellige Zahl taxiert das Bundesinnenministerium (BMI) die Deutschen, die erst jetzt aus Syrien und dem Irak ausreisen wollen oder sich in Haft befinden. „Das sind alles Leute, die freiwillig hingegangen und nicht zurückgegangen sind“, sagt Susanne Schröter, Direktorin des Forschungszentrums Globaler Islam an der Frankfurter Goethe-Universität. Die Geschichte vom Mitläufer nimmt sie niemandem ab: „Die haben bis zum Ende dem IS die Stange gehalten.“
Mitte Februar drohte US-Präsident Donald Trump den Europäern, sie müssten die in Syrien gefangenen Kämpfer übernehmen, ansonsten werde man sie freilassen. Bis heute ist es nur eine brachiale Drohung, die nicht umgesetzt wurde. Doch der Druck, sich der Thematik anzunehmen, ist enorm. Die von Kurden dominierten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), die vor zwei Wochen die letzte vom IS gehaltene Ortschaft befreit hatten, sind mit der Masse an Gefangenen überfordert. Sie fürchten zudem, dass die Türkei ihre Gebiete angreift. In diesem Fall ließe sich nicht garantieren, dass sie die Kämpfer weiter internieren können.
Vergangene Woche kündigte die französische Regierung an, die Rücknahme von Dschihadisten zu verweigern. Das BMI räumt hingegen ein, alle deutschen Staatsbürger – auch Terrorverdächtige – hätten „grundsätzlich das Recht auf eine Rückkehr“.
Zuletzt bot der irakische Premierminister Adil Abd al-Mahdi an, sein Land könne die rund 800 in Syrien inhaftierten Europäer vor Gericht stellen – obwohl die Justiz seines Landes heillos überlastet ist. Er spekuliert, nicht zu Unrecht, darauf, der Westen könne Gefallen an der Idee finden, sich eines Sicherheitsrisikos zu entledigen. „Kein europäisches Land ist scharf darauf, diese Leute zurückzuholen“, bestätigt Susanne Schröter. Sie sympathisiert mit dem Gedanken, „solche Prozesse unter UN-Kontrolle zentral durchzuführen“, wo die Beweisführung leichter ist und die Sprachbarriere entfällt. Im Gegenzug erwartet der Premier wirtschaftliche und politische Unterstützung. MARC BEYER