München – Es war ein symbolträchtiger Ort, an dem die Schüler am Montag ihre Forderungen formulierten: im Naturkundemuseum in Berlin vor dem Skelett eines Dinosauriers. Die Giganten der Vorzeit traf das Ende plötzlich und schuldlos. Der Mensch, fürchten die Schüler, könnte seinen Lebensraum selber zerstören. Die Schülerbewegung fordert, klimaschädliche Treibhausgase so schnell wie möglich zu reduzieren (siehe Kasten). Vor allem ein Vorschlag könnte alle Bürger treffen. „Fridays For Future“ will eine Steuer auf klimaschädliche Treibhausgase. 180 Euro pro Tonne CO2 soll die Steuer betragen.
Den Betrag haben die Schüler nicht willkürlich gewählt. Er geht auf aktuelle Berechnungen des Umweltbundesamts zurück. Demnach verursacht der Ausstoß von einer Tonne Kohlendioxid (CO2) Schäden von 180 Euro. Umgerechnet auf alle Treibhausgasemissionen Deutschlands waren das im Jahr 2016 Schäden von 164 Milliarden Euro. Jede Reduktion von CO2 schützt also nicht nur die Umwelt. „Diese Schäden verursachen enorme volkswirtschaftliche Kosten“, erklärte die Präsidentin des Umweltbundesamtes, Maria Krautzberger.
Nun also hat sie Deutschlands Schüler an ihrer Seite. „Der Preis für den Ausstoß muss schnell genauso hoch sein wie die Kosten, die der heutigen und zukünftigen Generation entstehen“, sagte Sebastian Grieme, einer der Sprecher der Bewegung. Würde die Steuerforderung eins zu eins umgesetzt, würde das also 164 Milliarden Euro an Steuern kosten.
Der „Spiegel“ hat beispielhaft errechnet, um wie viel sich Produkte verteuern würden, würden tatsächlich 180 Euro je Tonne als Steuer fällig. Ein Liter Milch belastet das Klima demnach mit 920 Gramm Kohlendioxid – umgerechnet wären das 17 Cent Preisaufschlag. Ein Liter Benzin würde um 43 Cent teurer, ein Kilo Rindfleisch um 2,58 Euro (Grafik). Besonders treffen würde es Flugreisende. Wäre die CO2-Steuer bei Inlandsflügen noch überschaubar, müsste man für einen Flug von Frankfurt via Dubai nach Auckland in Neuseeland 2107 Euro mehr bezahlen, denn der Flug – hin und zurück – produziert pro Passagier 11,71 Tonnen CO2.
Die Steuer könnte, so die Hoffnung, das Verhalten der Konsumenten beeinflussen. „Wenn klar wird, was uns der Klimawandel wirklich kostet, dann entsteht Druck auf die Industrie, klimafreundlichere Technologien zu entwickeln“, sagte Carla Reemtsma, Mitorganisatorin der Schülerproteste, unserer Zeitung gestern. Die Steuereinnahmen sollen nicht nur in den Umweltschutz fließen, sondern auch soziale Härten mindern. „Die Mehreinnahmen könnten durchaus für mehr soziale Gerechtigkeit sorgen“, sagte Reemtsma. „Schließlich stoßen Haushalte mit niedrigeren Ausgaben deutlich weniger CO2 aus, weil sie zum Beispiel kaum Fernreisen machen können. So könnte die Politik mit dem Geld denen, die weniger haben, helfen und so abfedern, wenn sich auch Produkte des täglichen Bedarfs oder Lebensmittel durch die Abgabe verteuern. Die Energiesteuer in der Schweiz könnte da ein Vorbild sein.“ Dort fließen die Einnahmen über die Krankenversicherung an die Bürger zurück. Deutschland wäre nicht das erste europäische Land, das eine CO2-Steuer einführt. In Finnland gibt es sie ebenfalls, Schweden verlangt mit 110 Euro pro Tonne bisher am meisten.
Die Forderung fällt in eine Zeit, in der der Bund Tempo beim Klimaschutz machen will. Zwar sind von 1990 bis 2016 die Treibhausgasemissionen in Deutschland um 342 auf 909 Millionen Tonnen gesunken, aber der Rückgang stagniert. Im Verkehrssektor steigen die Emissionen, ebenso in der Industrie wegen der guten Konjunktur. Das Ziel, 2020 nur noch 751 Millionen Tonnen CO2 auszustoßen, ist unerreichbar. Bis 2050 wollte Deutschland sogar klimaneutral sein. Die klimaneutrale Gesellschaft bleibt weiter ein Traum. Global ohnehin: Weltweit steigt die Emission von Treibhausgasen weiter an.
Auf der Homepage des Helmholtz Zentrums in München diskutieren Experten die Steuer kontrovers. Eine CO2-Steuer lasse sich schnell, einfach und zielgenau umsetzen und könne der Einstieg in eine umfassende ökologische Steuer- und Finanzreform sein, schreibt Markus Groth, Klimaexperte des Instituts. Andererseits wird eine nationale Steuer kritisch beurteilt. Auf EU-Ebene sei sie „derzeit politisch nicht umsetzbar“, schreibt Sonja Peterson vom Institut für Weltwirtschaft. Im nationalen Alleingang eingeführt, würde die Steuer, sagen Kritiker, die deutsche Wirtschaft im globalen Wettbewerb benachteiligen. Brigitte Knopf, Generalsekretärin des Mercator-Instituts, betont in einem Zeit-Artikel, dass die G20-Staaten für rund 80 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich seien. Länder wie Saudi-Arabien täten sich aber schwer mit einer CO2-Steuer. Auch müsse der Bürger die Steuer akzeptieren.
Thilo Schaefer vom Institut der deutschen Wirtschaft, sagte unserer Zeitung: „Jetzt von heute auf morgen 180 Euro pro Tonne CO2 zusätzlich aufzuschlagen, halte ich für politisch schlicht nicht durchsetzbar. Das geht nur schrittweise und mit Ankündigung, sodass die Leute perspektivisch wissen: CO2-intensive Energieträger werden in Zukunft teurer.“ In den USA hatten sich zuletzt Ölkonzerne wie ExxonMobil für eine CO2-Steuer ausgesprochen. Diese sei wirtschaftsfreundlicher als andere staatliche Eingriffe zum Klimaschutz.
Eine gestern in Berlin vorgestellte Sudie der Internationalen Agentur für erneuerbare Energien (Irena) kommt zu dem Ergebnis, dass bis 2050 Strom aus Sonne und Wind den gesamten weltweiten Bedarf decken könnte. Das sei auch wirtschaftlich sinnvoll. Durch vermiedene Gesundheitskosten, Energiesubventionen und Klimaschäden könne die Weltwirtschaft in den nächsten 30 Jahren bis zu 160 Billionen Dollar einsparen. „Jeder Dollar, der für die Energiewende ausgegeben wird, zahlt sich bis zu sieben Mal aus“, sagte Irena-Chefin Francesco La Camera.
Gestern tagte erstmals das Klimakabinett der Bundesregierung (Kasten). Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) will CO2-Abgaben prüfen. Im Raum stehen etwa neun Cent pro gefahrenem Autokilometer. Den durchschnittlichen Autofahrer würde das 1500 Euro im Jahr kosten, rechnet das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) laut „Welt“ vor. Auch Industrie und Landwirtschaft oder Besitzer bestimmter Gebäude sollen für ihren CO2-Ausstoß bezahlen.