Die Heldengeschichte von Maximilian

von Redaktion

Die Kindermedizin ist bedroht, warnen Experten. Denn sie ist ein „Minus-Geschäft“ – hier wird kein Geld verdient, auch nicht in Zukunft. Doch was genau bedeutet das für den Alltag? Ein Besuch im Haunerschen Kinderspital, der vor allem eine Frage aufwirft: Was sind uns Kinder wirklich wert?

VON BARBARA NAZAREWSKA

München – Am Ende kann Mama Monika, 32, die Tränen nicht mehr zurückhalten. Sie weint. Die vergangenen Monate waren schwer – der Druck, die Ängste. Ihr Sohn Maximilian kam in der 25. Schwangerschaftswoche zur Welt, ein extremes Frühchen. Doch Mama und Papa haben nie mit dem Schicksal gehadert, sich nie gefragt: Warum? „Wir waren im Überlebensmodus. Wir dachten immer nur: Er schafft das!“, sagt Monika.

Maximilian, geboren am 8. November 2018, 360 Gramm schwer, 21 Zentimeter groß, eine Handvoll Leben, hat es geschafft. Die Ärzte im Haunerschen Kinderspital in München sagen: „Der kleine Maximilian ist für unsere Klinik eine Heldengeschichte.“

Streng genommen gibt es in dieser Geschichte mehrere Helden. Der größte ist zweifelsohne Maximilian: heute fünfeinhalb Monate alt und knapp 3000 Gramm schwer. Der Bub hat mehrere OPs hinter sich, bald darf er nach Hause. Doch auch seine Eltern sind Helden. Sie haben ihr Kind stets spüren lassen: Wir bleiben für dich stark, egal, was passiert. Und dann gibt es noch die vielen Ärzte, denen Maximilian sein Leben verdankt – und für die er weitaus mehr wert war als eine „Frühchen-Pauschale“, die sie für seine Behandlung abrechnen durften. „Es ist ein tolles Gefühl, die Kinder auf einen guten Weg zu bringen – und wir sind stolz darauf“, sagt Privat-Dozentin Dr. Bärbel Lange-Sperandio, Leiterin der Kinder-Nephrologie (siehe Interview). Sie sagt aber auch: „Es ist stets ein Spagat. Alle Kinderkliniken in Deutschland arbeiten sich ins Minus.“

Der Grund: Kleine Patienten sind, wirtschaftlich betrachtet, in der Regel ein Verlustgeschäft. Während Kliniken letztlich nur eine „Hauptdiagnose“ vergütet bekommen, brauchen Kinder wie Maximilian oft medizinische Versorgung aus vielen unterschiedlichen Fachrichtungen – allein bei Maximilian waren acht Abteilungen beteiligt, denn er ist ein extremes Frühchen und leidet an einem genetischen Defekt, der seine Nieren massiv schwächt – eine Erbkrankheit, die nach seiner Geburt festgestellt wurde.

Für den Buben ist diese Diagnose ein Gewinn, weil seine Ärzte jetzt bei den Ursachen ansetzen können – statt nur Symptome zu kurieren. Die Klinik selbst verbucht es ebenfalls als Erfolg – wohl wissend, dass dieser Erfolg erst mal kein Geld einbringt. Patientenzentrierte Forschung zahle sich oft erst viel später aus, sagt Dr. Daniel Kotlarz, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Kinderspitals. Ein Problem, das nicht nur das Haunersche gegenwärtig vor große Probleme stellt.

„Die Kindermedizin hat sich in den vergangenen Jahren rasant entwickelt – die Personalausstattung hingegen nicht“, sagt Oberärztin Lange-Sperandio. Übersetzt bedeutet das: Es fehlt an Kinderärzten, Pflegekräften, Betten. Es gibt kaum Eltern, die nicht schon einmal stundenlang mit ihrem Kind in der Notaufnahme gewartet haben – und manche erfahren dann, dass man sie leider nicht aufnehmen könne, weil kein Platz da sei. Man werde jetzt die Kliniken in der Umgebung abtelefonieren, denn das Kind müsse schließlich stationär versorgt werden.

Auch Privat-Dozentin Dr. Esther Maier, Leiterin des Bereichs Angeborene Stoffwechselerkrankungen, kennt solche „Zustände“. „Es ist unserem großen Engagement zu verdanken, dass alles überhaupt noch läuft“, sagt sie. Bislang sei zwar kein Kind zu Schaden gekommen, aber jeder Kollege habe Angst davor, dass es mal passiere. „Man kann die Kinder ja nicht durchtakten. Sie sind keine kleinen Erwachsenen.“ Manchmal brauche man schon fürs Blutabnehmen mehr als eine Stunde. Ein kleiner Piks ist bei kleinen Patienten eben keine kleine Sache. Nur: Wie soll man 60 Minuten für ein paar Tropfen Blut abrechnen? Und wie vergütet man Mitgefühl? Also: Wenn sich jemand Zeit nimmt, sich ans Bett eines kranken Kindes setzt, es umarmt und tröstet?

„Wollen wir wirklich, dass wir Ärzte uns mehr um Erlöse und Effizienz als um das Wohl unserer Patienten kümmern?“, fragt Privat-Dozentin Maier. „Oder sollten wir es uns nicht vielmehr leisten, unseren Kleinsten das zu geben, was sie brauchen?“

Mama Monika weiß die Antwort. Seit Monaten spielt sich ihr Alltag auf der Säuglingsstation ab. Hier liegt ihr Maximilian – mit elf weiteren Frühchen. Er wird immer aufmerksamer, sein Blick immer wacher. Mama Monika kennt hier alle Ärzte und Schwestern. Sie weiß: Sie machen viel mehr als nur ihren Job.

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