Am Nil wird es immer enger

von Redaktion

Ägyptens Bevölkerung wächst jährlich um zwei Millionen Einwohner – für das Land ist das eine Bedrohung

Kairo – Mohammed fährt kein Tuk-Tuk mehr. Auf drei Rädern Fahrgäste durch Kairo zu kutschieren habe sich am Ende nicht mehr gelohnt, sagt er. Schon die Miete für die Autorikscha sei zu hoch gewesen. Und für Benzin und Ersatzteile habe er auch noch aufkommen müssen.

Am Ende eines Arbeitstages seien ihm nur rund 50 ägyptische Pfund geblieben – etwa 2,50 Euro. Zum Vergleich: Ein Menü bei McDonald‘s kostet 80 Pfund. Von diesem Einkommen kann er die drei Kinder und seine Frau nicht ernähren, sagt der 35-Jährige. Jetzt arbeitet er in der Nachtschicht für eine Reinigungsfirma. „Da gibt es auch wenig“, sagt Mohammed. Doch einen besseren Job finde er einfach nicht.

So wie Mohammed geht es Millionen Ägyptern. Mehr als 100 Millionen Menschen ballen sich entlang des Nils auf einer Fläche so groß wie Niedersachsen. Jedes Jahr wächst die Bevölkerung um mehr als zwei Millionen. Um die Jugendarbeitslosigkeit von 35 Prozent in den Griff zu bekommen, wären Millionen neuer Arbeitsplätze nötig.

In Ägypten gelten Kinder noch immer als Nachweis von Wohlstand. Doch die hohe Geburtenrate wird für das Land zunehmend bedrohlich. Der Wohnraum wird knapp. Bildung genießt zwar einen hohen Stellenwert in der Bevölkerung, das Schulsystem aber ist marode. Die Lehrer sind schlecht bezahlt, die Klassen platzen mit teilweise 60 bis 90 Kindern schon jetzt aus allen Nähten, sodass vernünftiger Unterricht kaum noch möglich ist. Und die hohe Arbeitslosigkeit ist die wohl derzeit größte Gefahr für den sozialen Frieden. Denn das Wirtschaftswachstum kann nicht mit der Bevölkerungsentwicklung mithalten. Und unter den Folgen leidet besonders die ägyptische Mittelschicht stark.

Das weiß auch der Machthaber. Präsident Abdel Fattah al-Sisi ist gerade dabei, sich zum Staatschef auf Lebenszeit machen zu lassen. Erst 2014 kam Sisi nach einem Militärputsch gegen die Muslimbrüder von Mohammed Mursi an die Macht. Er regiert seither mit eiserner Hand. Zehntausende sitzen aus politischen Gründen im Gefängnis. Eine Verfassungsänderung soll Sisi nun ermöglichen, das Land weiter zu führen, bis er 80 Jahre alt ist.

Sein Plan: Mit Megaprojekten wie der Erweiterung des Suez-Kanals, dem Bau einer neuen glamourösen Hauptstadt außerhalb Kairos und eines Atomkraftwerks will Sisi dem Land einen Entwicklungsschub geben. Doch Experten sind skeptisch, ob sich die Kernprobleme damit lösen lassen. Denn die breite Bevölkerung dürfte wenig davon haben.

Zu ihr gehört auch der ehemalige Rikschafahrer Mohammed. Er habe sogar schon darüber nachgedacht, das Land zu verlassen, sagt er. Die Grenze nach Libyen zu überqueren und von dort eines der Schiffe zu nehmen, die die Menschen nach Europa bringen. Dort könnte er Geld verdienen für seine Familie, glaubt er. Doch er hat sich anders entschieden. Auch wegen der Lager in Libyen und der gefährlichen Überfahrt. „Das ist eine schreckliche Situation, die ich nicht durchmachen will.“

Davon abgesehen würden es ihm derzeit wohl auch die politische Lage in Libyen und die strengen ägyptischen Grenzkontrollen schwermachen. Aber darüber will Mohammed nicht sprechen. „Zu politisch“, sagt er.

Mohammed will jetzt erst einmal Englisch lernen. Nach Europa will er eines Tages immer noch – auf legalem Weg, sagt er.  hor

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