Das rätselhafte Universalgenie

von Redaktion

Leonardo da Vinci studierte den Menschen und die Natur, wollte die Welt in all ihren Zusammenhängen begreifen. Bis heute gibt das Universalgenie, das vor 500 Jahren starb, Rätsel auf – und wird in seiner Modernität immer wieder neu entdeckt.

München – Leonardos Werk überschreitet Grenzen, umfasst Kunst, Wissenschaft und Technik. Die geheimnisvoll lächelnde „Mona Lisa“, „Das Abendmahl“ und die Proportionsstudie „Der Vitruvianische Mensch“ – seine Arbeiten sind weltberühmt. Dabei sei Leonardo kein Freigeist gewesen, sagt Biograf Klaus-Rüdiger Mai („Leonardos Geheimnis“, Evangelische Verlagsanstalt, 25 Euro). „Er war ein religiöser Mensch mit der Weite der Renaissance.“ Leonardo habe die Welt als Schöpfung Gottes gesehen und verstehen wollen, was die Welt im Innersten zusammenhält. „Er wollte das Buch der Schöpfung entziffern.“ Die Kirche als Institution habe er sehr skeptisch betrachtet.

Geboren wurde Leonardo am 15. April 1452 in dem kleinen Toskana-Dorf Vinci. Der uneheliche Sohn eines Notars wuchs in einer Patchwork-Familie bei seinem Großvater auf. Mit seinem Vater, einem Notar der Medici-Familie, kam Leonardo später nach Florenz, in die Werkstatt des einflussreichen Bildhauers und Malers Andrea del Verrocchio. Wie die Renaissancekünstler Michelangelo und Raffael lebte auch Leonardo seine Homosexualität in der Männerwelt der Künstlerwerkstätten aus.

Vieles blieb unvollendet

Durch seine vielen Talente weckte Leonardo die Neugier des Adels. Er sprühte vor Ideen, unermüdlich begann er mit neuen Konstruktionen, Skizzen, nahm Aufträge an. Vieles brachte er nicht zu Ende. Leonardo hinterließ „eine Spur unvollendeter und gescheiterter Projekte“, schreibt der Präsident des Aspen-Instituts, Walter Isaacson. Er sei „verschroben, besessen, verspielt und leicht abzulenken“ gewesen. Seine Auftraggeber konnten sich auf ihn keineswegs verlassen. Auch das war Leonardo da Vinci. Rastlos und auf seine Weise unstet.

Seine Notizbücher enthalten auf mehr als 7200 Seiten geniale Zeichnungen zu Muscheln, Fischen, Pflanzen, aber auch menschliche Körperteile, Fluggeräte, Panzer oder Katapulte. „Seine Mission war es, sehend, zeichnend und malend zum Auge der Welt zu werden“, sagt Isaacson. So bleibt Leonardo bis heute voller Widersprüche: der Religiöse, der kirchliche Lehren kritisierte; der Humanist, der zugleich Kriegsmaschinen entwarf.

Der Zürcher Renaissance-Experte Bernd Roeck porträtiert einen Menschen, dem sein eigenes Genie über den Kopf wuchs. Keine seiner Erkenntnisse habe letztlich Folgen gehabt. Sein Geld verdiente er dadurch, dass er adelige Feste ausstattete, Kanalpläne zeichnete, Festungen entwarf. Leonardo sei unfähig gewesen, sich zu strukturieren. Er habe alles wissen wollen – und sei an dem Durcheinander verzweifelt.

Wichtig sei der Renaissance-Meister heute vor allem wegen seiner Wahrnehmungs- und Denkweise, mit der er „verschiedene Wissensbereiche elegant verknüpft“, sagt Eike Schmidt, Leiter des Uffizien-Museums in Florenz. Heute sei ein ganz anderer Leonardo zu entdecken als zu früheren Zeiten: „Leonardo, der Ökologe, hat Landschaften analog zum menschlichen Körper gesehen, Bäume auf den Bergen mit menschlichen Haaren verglichen und unterirdische Wasserströme mit Arterien.“ Im 19. und frühen 20. Jahrhundert habe man sich mehr auf seine Studien zu Flugmaschinen konzentriert und ihn als Erfinder des Flugzeugs gesehen. Und wegen der Entwicklung eines Zweirads habe man ihn fast zum Erfinder des Fahrrads gemacht.

Tod in Amboise

Selbst wenn er malte, dachte Leonardo wissenschaftlich. In seiner Mailänder Zeit schuf er im Kloster Santa Maria delle Grazie sein berühmtes „Abendmahl“, das mit Hilfe architektonischer Linien auf Jesus im Mittelpunkt ausgerichtet ist. Später malte er die „Mona Lisa“, Ob sie nun lächelt oder nicht, ist bis heute umstritten. Schlagzeilen machte jüngst das Gemälde „Salvator Mundi“. Es wurde Leonardo zugeschrieben und 2017 als teuerstes Kunstwerk der Welt für 450 Millionen Dollar nach Abu Dhabi versteigert. Wo sich das Bild heute befindet, ist unbekannt.

Am 2. Mai 1519 starb Leonardo da Vinci in Frankreich auf Schloss Clos Lucé in Amboise. Dort ist auch seine Grabstätte. Der Louvre plant im Herbst eine große Leonardo-Ausstellung: Möglichst viele der 14 bis 17 Leonardo zugeschriebenen Gemälde sollen dann in Paris zu sehen sein. epd, kna, dpa, wha

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