Die Stadtnomaden

von Redaktion

Eine Münchner Familie zieht in New York jeden Monat in eine neue Wohnung – und findet dabei ihr Glück

New York – Christina Horsten und Felix Zeltner (beide 36) sind mit ihrer Tochter Emma in New York ein Jahr lang jeden Monat umgezogen. Die hohen Mieten zwangen die jungen Ex-Münchner zur Odyssee. Über ihre Erlebnisse als „Stadtnomaden“ haben die Journalisten ein Buch geschrieben. Am Dienstag, 7. Mai (20 Uhr, 12 Euro) lesen sie daraus im Volkstheater in München. Wir trafen die Familie vorab in New York.

Umzug bedeutet vor allem Stress. Sie sind mit ihrer Tochter ein Jahr lang jeden Monat in New York umgezogen. Sind Sie verrückt?

Felix Zeltner: Die meisten Verrückten würden diese Frage wohl mit Nein beantworten. Ich sage auch Nein. Aber es stimmt, dass wir gerne ein bisschen gegen gesellschaftliche Normen verstoßen. Christina Horsten: Die Idee entstand aus der Not. Als wir mit unserer neugeborenen Emma aus dem Krankenhaus kamen, lag im Briefkasten die Kündigung. Ich habe erst mal geheult. Die Vermieterin warf uns vor, zu laut zu sein. In Wahrheit wollte sie keine Kinder im Haus. Wir hatten vor Gericht keine Chance. In der nächsten Wohnung gab es bald eine happige Mieterhöhung. Das konnten wir uns nicht leisten. Mit Baby ohne Wohnung – eine Katastrophe. Im Nachhinein war die Mieterhöhung ein Geschenk. Ohne sie wären wir wohl nie zu Stadtnomaden geworden.

Warum haben Sie sich nicht einfach eine neue Wohnung gesucht?

Felix: Wir hatten in New York so viele tolle Stadtteile kennengelernt und konnten uns nicht entscheiden, in welchem wir wohnen wollten. Dann haben wir gesagt: Dann wohnen wir eben in allen! Uns war zwar gleich klar, dass das eine Schnapsidee war, aber sie ging uns nicht mehr aus dem Kopf. Als ein Freund uns dann tatsächlich eine Wohnung für einen Monat anbot, haben wir uns von unseren Möbeln getrennt und sind losgezogen.

Wie haben Sie dann jeden Monat eine neue Wohnung gefunden – und wie waren die Mieten? New York ist eine der teuersten Städte der Welt …

Felix: Daran wären wir mit unserem begrenzten Budget fast gescheitert. Gerettet haben uns befreundete New Yorker, die von verfügbaren Wohnungen wussten, und ein Newsletter für Künstler, in dem Ateliers und Wohnungen angeboten werden. Christina: Wir waren in möblierten Wohnungen, die bis zu 4500 Dollar pro Monat kosten. Aber großzügige New Yorker haben uns teils umsonst oder mit Rabatt aufgenommen. Übers Jahr gerechnet haben wir im Schnitt ziemlich exakt 2800 Dollar pro Monat bezahlt.

Wie haben Sie gewohnt und was haben Sie erlebt?

Christina: Jeder Stadtteil und jede Wohnung waren anders. Wir wohnten im Buchladen eines antiquarischen Buchhändlers, umgeben von 15 000 Büchern. Im East Village im Süden von Manhattan wohnten wir in einer Wohnung, die zuvor einem von Models geführten Marihuana-Lieferservice als Hauptquartier diente. Und in Seagate, ganz im Süden von Brooklyn, lebten wir in einer abgeschlossenen Siedlung mit Privatstrand und eigener Polizei. Egal, wo wir waren: unsere schönsten Erlebnisse waren immer die Abendessen, zu denen wir jeden Monat Freunde, Ladenbesitzer, Aktivisten, Autoren und andere Nachbarn eingeladen haben und sie baten: Erzählt uns etwas über euer Viertel!

Emma war knapp zwei Jahre alt. War das für sie nicht sehr anstrengend?

Christina: Fast alle, allen voran unsere Eltern, haben gesagt: Was tut ihr dem Kind bloß an? Und es stimmt: Emma hatte kein Vetorecht. Aber für uns war immer klar, dass wir das Ganze abbrechen, wenn wir den Eindruck haben, dass Emma leidet. Das Gegenteil war der Fall. Für sie war jede Wohnung wie ein neu entdeckter Spielplatz.

Sie wollten nie aufgeben?

Felix: Wenn man ein kleines Kind, zwei Fulltime-Jobs, keine Wohnung, dafür aber überzogene Kreditkarten hat, dann ist das vor allem Stress. Wenn du am 25. nicht weißt, wo du am 1. des nächsten Monats schlafen sollst, macht dich das fertig. Auf der anderen Seite wuchs mit jeder neuen Nachbarschaft die Faszination. Aufgeben kam eigentlich nicht infrage.

Was haben Sie für Ihr Leben gelernt?

Felix: Zusammenhalten, reduzieren, die Menschen und nicht die vier Wände als essenziell begreifen. Als Paar hat uns das Jahr in eine völlig neue Sphäre katapultiert. Uns kann eigentlich nichts mehr schocken.

Christina: Ich wurde nicht sofort zur Minimalistin. Das war ein Lernprozess. Jedes Mal, wenn wir unser Zeugs durchs enge Treppenhaus geschleppt haben, beschlossen wir, uns von noch mehr zu trennen. Am Ende hatten wir nur noch jeder einen Koffer und eine Kiste für Emmas Spielzeug. Das war befreiend.

Was war das Beste an Ihrer Odyssee durch New York?

Felix: Dass wir am Ende einen bezahlbaren Kindergarten hatten und eine schöne neue Wohnung gefunden haben. Beides wäre ohne das Umzugsabenteuer nicht passiert. Dazu haben wir hunderte neuer Menschen in unserem Leben – vom geheimnisvollen Buchhändler über den wütenden Anti-Gentrifizierungs-Aktivisten bis zum intellektuellen Obdachlosen.

Was bedeutet Ihnen „zuhause“ heute?

Christina: Ich wurde in New York geboren, habe in Bonn, Prag, Berlin gelebt. Für mich ist zuhause kein geografischer Ort, sondern eher ein emotionales Konzept. Zuhause ist dort, wo mein Herz und meine Familie sind. Felix: Für mich war zuhause die ersten 19 Jahre meines Lebens Fischbach, ein eingemeindetes Dorf in Nürnberg. Nach dem Studium bin ich mit dem Rucksack durch die Welt, meistens mit Christina. Gemeinsam haben wir kapiert, wie wertvoll es ist, Dinge hinter sich zu lassen, immer wieder aufzubrechen und das Glück außerhalb der Komfortzone zu suchen. Heute fühle ich mich in New York und in Nürnberg daheim.

Vor New York haben Sie in München gelebt. Was unterscheidet die Städte?

Felix: München verströmt Gemütlichkeit, New York Ambition. In München lehnt man sich eher zurück und lebt konform. New York macht Mut zum Anderssein und reißt mit. In München hat mir manchmal die Luft zum Atmen gefehlt, in New York öffnen sich ständig neue Nischen und Möglichkeiten.

Und was haben die beiden Städte gemeinsam?

Felix: Die Knappheit an bezahlbarem Wohnraum – und das Selbstbewusstsein zu glauben, immer am großen Rad zu drehen.

Vermissen Sie München?

Felix: Ich vermisse meine vielen Freunde und beneide sie um die im Biergarten und im Eisbach verbrachte Lebenszeit. Wenn ich nach München zurückziehen würde, würde ich wie in New York in unterschiedliche Gegenden und in die Vororte ziehen, um die Stadt besser zu verstehen. Ich habe in München zwar in vier Stadtteilen gewohnt, aber nie den inneren Stadtzirkel verlassen.

Sogar die New York Times hat über Sie berichtet.

Christina: Ich glaube, die fanden unser Projekt eine Liebeserklärung an ihre Stadt. Felix: Für Amerikaner ist nomadisches Leben generell kein so großes Ding. Sie ziehen zwei bis drei Mal häufiger um als Deutsche. Und in New York gibt es fast nur befristete Mietverträge. Hier ist jeder ständig on the move.

Ihr nächster Umzug?

Christina: Wir haben gerade einen Mietvertrag für zwei Jahre unterschrieben – zum ersten Mal überhaupt, seit wir 2012 hierher kamen. Emma ist damit nicht einverstanden. Neulich hat sie gefragt, wann wir wieder umziehen. „Wie findest du es denn hier?“, habe ich gefragt. Ihre Antwort: „Langweilig!“

Interview: Philipp Hedemann

„Stadtnomaden –

wie wir in New York eine Wohnung suchten und ein neues Leben fanden“, Benevento-Verlag, 300 S., 16 Euro.

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