Mein Jahr im Dienst von Uber

von Redaktion

Am Freitag geht der Fahrdienst-Gigant Uber an die Börse. Geschätzter Wert: bis zu 90 Milliarden Dollar. Der Alltag der Fahrer ist hingegen ernüchternd. Unser Autor ist in den USA ein Jahr für Uber gefahren. Was er erlebte, waren Handgreiflichkeiten, Hungerlöhne und die miesen Tricks der Branche.

VON FRIEDEMANN DIEDERICHS

Washington – Die Hand, die sich auf meine Schulter legt, kommt im Dunkeln ohne Vorwarnung. Instinktiv greife ich Richtung Reizgas, das ich stets in der rechten Seitentasche verwahre. Der Adrenalinspiegel steigt. Die drei Männer, die nachts um zwei Uhr an einem Studenten-Wohnheim eingestiegen sind, haben kräftig gezecht. Nun sitzen sie auf der Rückbank meines Autos und haben entdeckt, dass mein Englisch mit deutschem Akzent gefärbt ist.

„Sing mit uns“, sagt Brian. Er hat den Uber bestellt, es soll zu einem Spielcasino gehen. Ein 20 Minuten-Trip, der mir geschätzte 15 Dollar, also rund 13,50 Euro, einbringen würde. Doch für die drei Betrunkenen endet die Fahrt vorzeitig an einer Tankstelle. Sie haben mich mehrfach angegrölt: „Sing uns doch ein schönes Nazi-Lied.“ Und immer wieder kam die Hand von hinten. Ich parke und drohe mit den Cops, bis das Trio schließlich fluchend aus dem Wagen steigt.

Ich bin seit 35 Jahren Journalist. Seit über einem Jahr bin ich auch einer von rund 750 000 Uber-Fahrern in den USA – aus publizistischem Interesse. Und weil ich nachts schlecht schlafe. Also schiebe ich ab und zu Wochenendschichten am Steuer meines Ford Explorer. Meistens samstags von 22 Uhr bis sonntags um 4 Uhr in der Früh, wenn die letzten Stripclubs schließen und müde Tänzerinnen oder taumelnde Barbesucher einen „Ride“ brauchen.

Fast 500 Trips habe ich absolviert, in Washington, wo ich lebe. Aber auch im Bundesstaat New Mexico, wo ich ein Haus habe. Ich gehöre zu jenen 30 Prozent der „selbstständigen Unternehmer“, wie Uber seine Fahrer klassifiziert, die unerwünschtes Verhalten oder sogar Attacken erlebt haben. Dem Studententrio habe ich über die Uber-App eine „1“ gegeben. Die schlechteste Bewertung, die der Fahrdienst-Vermittler, der mittlerweile weltweit in 600 Städten vertreten ist, auf der Skala von eins bis fünf erlaubt. Ich werde, so ist die App ausgelegt, nie wieder mit den Männern zu tun haben.

Zur Basis des Uber-Konzerns zu gehören, die dem Unternehmen 2018 einen Umsatz von 11,3 Milliarden Dollar bescherte, bringt eine Vielfalt an Erfahrungen – manche sind faszinierend, andere schockierend. Die wohl wichtigste Erkenntnis zuerst: Die Strategie von Uber, mit seinen Niedrig-Tarifen traditionelle Taxis an den Rand der Existenz zu drängen und sich wesentliche Marktanteile zu sichern, funktioniert nur, weil die Firma über einen nicht enden wollenden Strom an Fahrern verfügt, die als moderne Sklaven für einen Hungerlohn Passagiere befördern und teilweise sogar dafür ihre Wagen auf Pump kaufen. Und das ohne Krankenversicherung, garantierten Minimallohn oder Überstunden-Vergütung.

Einer in den USA veröffentlichten Umfrage zufolge soll der Stundenlohn bei achteinhalb Dollar liegen – weniger, als Angestellte in Schnellrestaurants durch das Grillen von Burgern verdienen. Aus Protest dagegen wollen in New York, Washington und San Francisco viele Fahrer heute ihre App ausschalten.

Die Medizinstudentin Jenny, die ich am Warteplatz des Flughafens treffe, hat ihren Stundenlohn selbst ausgerechnet – magere fünf Dollar, zieht man Ausgaben für Benzin und Reparaturen ab. Ich komme auf kaum viel mehr. Allein ein Satz guter Reifen kostet mich zwischen 700 und 800 Dollar, eine neue Benzinpumpe 1000 Dollar. Sie wird nicht mehr lange fahren, sagt Jenny. Ein Satz, den ich von vielen Kollegen gehört habe.

Eine Fahrt im April zeigt, warum es beim Uber-Prinzip nur einen großen Gewinner gibt – und Millionen Verlierer, die sich wie Hamster im Rad abstrampeln. Ich fahre den Bauingenieur John vom Flughafen zu seinem Haus. Es ist spät und regnet ohne Unterlass. Weil nur wenige Uber-Fahrer unterwegs sind, greift die „Surge“-Abrechnung. Das heißt: Der Passagier zahlt das Zwei-, Drei- oder Vierfache des Normaltarifs. Die Fahrt dauert 15 Minuten und 30 Sekunden, wobei Uber seit Kurzem wenigstens bei großen Entfernungen die Anfahrtszeit zum Abholen mitrechnet – aber nie die oft langen Wartezeiten am Flughafen. John wird für den Trip durch seine bei Uber gespeicherte Kreditkarte mit 30,63 Dollar zur Kasse gebeten. Von diesem Betrag erhalte ich 13,88 Dollar. Der Löwenanteil, fast 50 Prozent, geht mit 14,75 Dollar an Uber, die verbleibenden knapp zwei Dollar sind staatliche Gebühren.

Ist das fair? Gary Davies analysiert die Geschäftsmodelle von Uber und Co. Er sagt: „Ubers Brot und Butter ist, tausende von ,Angestellten‘ zu finden, die dumm genug sind, sich als ,unabhängige Unternehmer‘ zu betätigen, die Billigarbeit leisten und Geld einem Konzern verschaffen, dessen ultimatives Ziel es ist, die gleichen Fahrer irgendwann durch selbstfahrende Autos zu ersetzen.“

Uber rühmt sich, durch seinen Service weltweit die Zahl von Trunkenheitsfahrten deutlich zu verringern. Doch Passagiere lassen nach durchzechter Nacht ihre Wut an mir aus, weil ich zum Beispiel nach einer Trennung der erste verfügbare Mensch bin.

Sie übergeben sich auf die Polster und leugnen später gegenüber Uber, dass sie diesen Fauxpas, der sie durchschnittlich 150 Dollar kosten soll, begangen haben. Sie beschweren sich während der Fahrt über meine Musik. Und sie geben mir ohne Grund eine „1“, die niedrigste Bewertung, was zu einer permanenten Deaktivierung der Fahrer-App führen kann. Sie erwarten bei der Ankunft am Flughafen, dass ich ihre Koffer aus dem Wagen trage. Sie wollen, dass ich ihnen kostenlos Wasser, Minzbonbons und ein Handy-Ladegerät reiche. Manche hoffen auch, dass ich Marihuana anbiete oder die Telefonnummern von Prostituierten. Oder dass ich nach der Ankunft noch Zeit für einen Drink in der Kunden-Wohnung habe.

Ein großer Teil der Kundschaft ignoriert immer wieder das Grundprinzip: Du fährst zum Discounter-Preis in meinem Wagen mit. Aber ich bin nicht dein Lakai, Drogendealer, Psychiater oder Masseur.

Der Prozentsatz der frustrierten Fahrer, die ich kenne, liegt umgekehrt proportional zu den zufriedenen Passagieren. Die große Mehrheit der Kundschaft liebt, dass die Fahrt nur die Hälfte dessen kostet, was ein Taxifahrer berechnen würde. Sie liebt auch, dass ein Uber-Fahrer im Schnitt nach fünf Minuten zur Stelle ist, weil das Netz jener, die auf ein paar Dollar Nebenverdienst hoffen, in den USA so dicht gestrickt ist. Und sie lieben, dass sich die meisten Fahrer – in der Hoffnung auf Trinkgeld – alle Mühe geben, Mitgefühl und Interesse zu zeigen.

Linda Penn, eine überzeugte Uber-Kundin aus Texas, hat dies eindrucksvoll erlebt. „Bei einem Fahrer habe ich mich nach einer persönlichen Tragödie ausgeweint“, sagt sie mir. Worauf dieser ihr versichert habe: „In meinem Auto können Sie so viel heulen, wie Sie wollen. Nur der Herrgott weiß, wie viel ich über meine Ex-Frau geweint habe.“ Das habe sie dann sogar zum Lachen gebracht.

Aber mein Jahr als Uber-Fahrer hat mir auch die schmutzigen Tricks gezeigt, mit denen Fahrer ihre Einnahmen maximieren. Das wohl beliebteste, aber von Uber verbotene Verfahren: Unmittelbar nach der Akzeptanz einer Fahrt den Passagier anrufen. Ihm die frohe Botschaft verkünden, dass man auf dem Weg sei. Und dabei beiläufig nach dem Ziel fragen. Die App zeigt dieses erst dann, wenn der Kunde im Wagen sitzt und der „Ride“ in der App gestartet wird. Antwortet der Passagier beim Anruf, er müsse nur schnell um die Ecke zur Drogerie, stornieren Fahrer fast immer den Trip. Denn: je kürzer die Fahrt, desto geringer die Vergütung. Sie kann bei nur knapp drei Dollar liegen.

Dies führt zu einem anderen von Uber nicht geliebten Verhalten: dem Meilenschinden. Als ortskundiger Fahrer ignoriert man das Navi-System der App und fährt einen Umweg. Der Kunde bezahlt zwar nur den bei der Bestellung vorbestimmten Tarif – doch Uber vergütet dem Fahrer die Zusatz-Meilen. Doch allzu oft lässt sich dieses Verfahren nicht praktizieren, bis es der Uber-Software aufällt.

Und dann sind da die Gefahren. In Albuquerque erschoss ein Uber-Fahrer kürzlich einen betrunkenen Passagier im Streit. In Houston tötete letzten Freitag ein Uber-Kunde einen Mit-Passagier und floh. In San Antonio verwundeten zwei Kunden einen Fahrer lebensgefährlich, als sie ihn berauben wollten.

Wie lange ich noch fahren werde, fragen Freunde. Ich habe bisher immer mit den Schultern gezuckt. Des Geldes wegen lohnt es sich nicht. Aber für Uber zu fahren, ist eine Grenzerfahrung und ein die Augen öffnendes Experiment gleichermaßen. Eine Fahrt geht noch. Mindestens.

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