Brüssel – Diesmal geht das Hauen und Stechen früher los. Kaum ist die EU-Wahl am 26. Mai gelaufen, wollen sich die EU-Staats- und Regierungschefs bereits am 28. Mai auf einem Sondergipfel treffen, um über die Besetzung der wichtigsten Spitzenposten in der EU zu beraten. Wenn die Vorzeichen nicht täuschen, wird es einen Machtkampf geben, wie ihn die EU in ihrer Geschichte noch nicht erlebt hat: zwischen den Institutionen, den Staaten, den Parteien und den Geschlechtern. Es geht um fünf Posten.
Die Schlüsselrolle kommt dem Kommissionspräsidenten zu. Es wird vor allem ein Kräftemessen zwischen den Regierungschefs und den Parlamentariern. Im EU-Vertrag von Lissabon klingt der Nominierungsprozess so glasklar wie ein Orakelspruch von Delphi. In Artikel 17 heißt es: Der Rat der EU-Staats- und Regierungschefs schlägt dem Europäischen Parlament „einen Kandidaten für das Amt des Präsidenten der EU-Kommission vor; dabei berücksichtigt er das Ergebnis der Wahlen zum Europäischen Parlament“. Das Parlament muss den vorgeschlagenen Kandidaten dann „mit der Mehrheit seiner Mitglieder“ wählen. Alles klar? Von wegen.
Die Abgeordneten leiten daraus seit 2014 einen „Automatismus“ ab: Nur wer als Spitzenkandidat im EU-Wahlkampf angetreten ist, wird von der Mehrheit des Parlamentes auch als Kommissionspräsident gewählt werden, lautet ein formeller Beschluss der Straßburger Volksvertretung.
Doch dagegen regt sich bei den Staats- und Regierungschefs Widerstand: Vor allem Frankreichs Präsident Emmanuel Macron will von einem Automatismus nichts wissen – die Spitzenkandidatin seiner Partei La Republique en marche bringt zu wenig Gewicht auf die politische Waage, Macron will bei der Postenvergabe aber mitreden und, wenn möglich, zumindest einen Franzosen, nämlich den Konservativen Michel Barnier, ins Amt hieven (siehe Artikel unten).
Auch andere Regierungen, etwa die Luxemburgs oder Ungarns, lehnen jeden Automatismus ab. Bundeskanzlerin Merkel pocht ebenfalls auf das Nominierungsrecht des EU-Rats, unterstützt aber offiziell die Kandidatur des EVP-Spitzenkandidaten Manfred Weber.
Letztlich wird es auf eine Paketlösung hinauslaufen, die nationale, geografische und parteipolitische Aspekte berücksichtigt. Neben dem Kommissionspräsidenten sind auch noch die Posten des künftigen Ratspräsidenten (bisher der Pole Tusk), des EZB-Präsidenten (der Italiener Draghi), des Parlamentspräsidenten (der Italiener Tajani) sowie der des „Außenministers“ (die Italienerin Mogherini) zu vergeben. ALEXANDER WEBER