München – Hier ein Bierchen zum Feierabend, dort ein Glas Wein mit den Freunden: Alkohol gehört dazu. Dabei ist er gefährlich. Wann man hellhörig werden sollte und wieso Abstinenz Wunder wirkt. Ein Expertengespräch mit dem Toxikologen Prof. Florian Eyer vom Universitätsklinikum rechts der Isar zur „Aktionswoche Alkohol“.
Was bewirkt der Verzicht auf Alkohol?
Für die Gesundheit ist es die beste Lösung, keinen Alkohol zu trinken. Darüber ist man sich in der Wissenschaft weitgehend einig. Denn Alkohol, oder vielmehr sein Stoffwechselprodukt „Acetaldehyd“, ist und bleibt ein Zellgift. Auch wenn einzelne Studien bei moderatem Alkoholkonsum eine gewisse vorbeugende Wirkung für bestimmte Herz-Kreislauf-Erkrankungen aufzeigen – allerdings erst in einem Alter über 55 Jahren –, so ist es nach Abwägen aller positiven und aller negativen Effekte von Alkohol am besten, wenn man abstinent lebt. Gleichwohl ist Alkohol für Genusstrinker ein Stück Lebensqualität, etwa ein Glas Wein zu einem guten Essen. Dagegen ist wahrscheinlich wenig einzuwenden.
Wie schnell macht sich denn die Abstinenz körperlich bemerkbar?
Das hängt stark davon ab, wie sehr man an Alkohol „gewöhnt“ ist. Hat sich bereits eine körperliche Abhängigkeit eingestellt, so können schon einige Stunden nach dem letzten Getränk körperliche Entzugserscheinungen auftreten: etwa beschleunigter Herzschlag, Unruhe, Zittrigkeit, Unwohlsein, Übelkeit, Appetitlosigkeit. In einigen Fällen kann es auch zu einem epileptischen Anfall oder einem Delir kommen, also zu akuter Verwirrtheit.
Was, wenn es noch keine körperliche Abhängigkeit gibt?
Dann kann bereits der Tag nach dem letzten Trinken mit einer besseren Befindlichkeit und einer besseren Konzentration einhergehen – für Abhängige stellt sich diese Verbesserung erst nach Ende der Entzugsbehandlung ein. Viele Patienten berichten uns jedenfalls über ein deutliches Mehr an Lebensqualität in der Zeit, in der sie keinen Alkohol trinken.
Wenn man bewusst eine Woche auf Alkohol verzichtet, ist man tatsächlich leistungsfähiger?
Nach einer Woche Abstinenz sollte das Schlafbefinden verbessert sein. Zwar können kleine Mengen Alkohol die Zeit bis zum Einschlafen tatsächlich reduzieren. Klar ist aber, dass Alkohol in fast jeder Menge den Schlaf stört. Das trifft bereits bei ein bis zwei Drinks zu – also ab einem Ethanolgehalt von 10 bis 20 Gramm. Da viele Alkohol als Einschlafhilfe missbrauchen, sei davor gewarnt. Mal ganz unabhängig davon, dass sich auch schnell eine Gewöhnung einstellen kann und mancher dann glaubt, ohne Alkohol nicht mehr einschlafen zu können. Es sei hier auch angemerkt, dass es Menschen gibt, die zwar formal Abhängigkeitskriterien erfüllen, aber erst mal keine körperlichen oder gar behandlungsbedürftigen Entzugserscheinungen aufweisen. Das ist aber kein Freibrief, weiterzutrinken!
Welche Gründe sprechen für den Alkoholverzicht?
Unbestritten ist, dass Alkohol ein „guter“ Kalorienträger ist: So hat ein Glas Rotwein rund 215 Kalorien, genauso viel wie eine Halbe Bier. Starkbier oder Oktoberfest-Bier schlägt noch stärker zu Buche. Trinkt man täglich ein „Feierabendbier“, so summiert sich die aufgenommene Menge an Kalorien auf etwa 6450 pro Monat. Anders ausgedrückt: Theoretisch legt man damit knapp 1 Kilogramm pro Monat zu. Besser ist es also, den Alkohol durch Mineral- oder Leitungswasser zu ersetzen – zumindest, wenn man auf sein Gewicht achtet. Übrigens: Nach einer einmonatigen Abstinenz ist damit zu rechnen, dass sich neben der Schlafqualität auch die Konzentrations- und Leistungsfähigkeit deutlich verbessern. Das sehen wir auch bei vielen Patienten, die durch Alkohol starke kognitive Defizite aufweisen – sofern diese Defizite nicht unumkehrbar sind.
Wie ist es, ein Jahr lang auf alkoholische Getränke zu verzichten?
Noch besser oder anhaltend besser. Wir wissen, dass Patienten mit Alkoholkrankheit, die auch mehrere Jahre abstinent waren, trotz nur kurzer Rückfallzeit über Tage oder Wochen bereits erhebliche – körperliche und auch geistige – Beschwerden erleben können. Dieses Phänomen wird als „Kindling“ beschrieben und spiegelt sich wahrscheinlich in einer Art „neuronaler Signatur des Alkohols im Zentralnervensystem“ wider. Sprich: Bekannte Mechanismen werden bei erneuter Zufuhr von Alkohol abgerufen, die zuvor gewissermaßen ins Gedächtnis programmiert worden sind.
Welche Menschen profitieren am meisten vom Alkoholentzug?
Von einer Abstinenz profitieren vor allem Menschen, die ein Alkoholproblem haben. Konkret meine ich damit einen regelmäßigen, teils hoch dosierten Konsum, sprich: fehlende Abstinenz an mindestens zwei bis drei Tagen pro Woche, Konsum von mehr als 12 Gramm Ethanol pro Tag bei Frauen und mehr als 24 Gramm Ethanol pro Tag bei Männern. Insbesondere trifft das auf jene zu, die bereits in fortgeschrittenem Alter sind oder bei denen sich bereits psychische oder körperliche Folgeschäden eingestellt haben, womöglich auch beides. Um es ganz deutlich zu sagen: Es gibt zahlreiche Hilfsangebote für abhängige oder auch gefährdete Menschen – Betroffene sollten diese nutzen. Auch das familiäre Umfeld und Hausärzte sollten für dieses Thema sensibilisiert sein.
Interview: Barbara Nazarewska