Diese Eiche ist ein Star

von Redaktion

In Münsing direkt an der Garmischer Autobahn steht ein alter Baum. Er hat eine eigene Facebook-Seite und tausende Fans. Was steckt dahinter?

VON NORA LINNERUD

Münsing – Stefan Pfeil, 50, läuft von seinem Auto über einen Feldweg, dann einen grasbewachsenen Hügel hinauf zu seinem Lieblingsbaum bei Münsing. Dahinter: Alpenpanorama von der Benediktenwand bis zur Zugspitze. Unten an der Straße, die von Wolfratshausen zum Starnberger See führt, fährt ein Auto vorbei und hupt zweimal kurz zum Gruß. „Das passiert schon mal, wenn ich hier bin“, sagt Pfeil.

Im Dorf kennt man ihn, den Mann, der verrückt nach diesem Baum mit den knorpeligen Ästen ist. Oben am Hügel geht Pfeil einen Schritt zurück, legt den Kopf in den Nacken und blickt in die Baumkrone. An den Zweigspitzen zeigen sich zartgrüne Blätter. „Ich weiß nicht mal genau, was das für ein Baum ist“, sagt er. Das ist kein Scherz. Pfeil hat den Baum berühmt gemacht, aber die botanischen Details kennt er nicht. Er lacht, lässt dann den Blick Richtung Wolfratshausen schweifen. In Sichtweite rauscht die Garmischer Autobahn. „Das mit der Autobahn, das erwähne ich bei allen, die zum Baum wollen, immer gleich dazu.“ Damit sie nicht enttäuscht sind, weil die Idylle nicht ganz so perfekt ist, wie es auf den vielen Fotos des Baums im Internet scheint.

Pfeil taufte die Eiche „Tree of Münsing“, Baum von Münsing. Er legte vor zwei Jahren für den Baum eine eigene Fanseite bei Facebook an. Über 1850 Menschen gefällt die Seite, der Baum ist ein kleiner Star im Internet, eine lokale Berühmtheit sowieso.

Wenn Pfeil, der als Kameramann arbeitet, von seinen beruflichen Fernreisen nach Asien oder die USA zurückkehrt, fährt er erst mal zum Baum. Das macht er immer so. Eigentlich stammt er nicht aus der Gegend. In den vergangenen zwölf Jahren wurde der Münsinger Gemeindeteil Ammerland aber seine Heimat. Und der Baum sein Therapeut. „Hier komme ich runter“, sagt Pfeil. So geht es vielen, der Baum hat seine eigene Magie. Es gibt sogar Menschen, die sich die Eiche unter die Haut stechen lassen (siehe Randspalte).

„Viele meiner Bekannten veröffentlichten im Internet immer wieder Bilder des Baums“, sagt Pfeil. So ist er auf die Idee mit der Facebook-Seite gekommen. Er wollte die zahlreichen Fotos bündeln. Das kam an. Die bayerische Landschaft um den Baum ist wie maßgeschneidert für die Online-Filterwelten. „Zehn Bilder bekomme ich in einer Woche ungefähr zugeschickt“, sagt Pfeil. Die schönsten veröffentlicht er. Der Baum aus allen Blickwinkeln, zu allen Jahreszeiten. Viele der Hobby-Baumfotografen kommentieren ihre eigenen Bilder im Internet: „Heute war mal wieder Supermond“, schreibt einer, „und ich war nicht alleine beim Bildermachen am ,Tree of Münsing‘.“ Ein Amerikaner drehte mit einer Drohne sogar ein Filmchen zum „Tree of Münsing“.

Mit der Facebook-Seite gab’s auch mal Schwierigkeiten. „Ein paar Leute sagten: Warum muss das Englisch sein?“ Tree of Münsing, obwohl er mitten in Bayern steht. Pfeil löste den Konflikt demokratisch – er startete eine Umfrage unter den Fans und erntete 80 Prozent Zustimmung für den Namen.

Der Baum ist populär, weil er auf Fotos stimmungsvoll wirkt. Fasziniert vom Baum ist die Mehrheit der Fans aber nicht deswegen, sagt Pfeil. Viele Einheimische verbinden mit den knorpeligen Ästen ein ganz besonderes Gefühl. „Die Einheimischen sagen: Wenn ich den Baum sehe, dann bin ich zuhause“, erklärt er. Auch wenn er selbst ein Zuagroaster vom Bodensee ist: Ihm geht’s genau so.

Als der Kameramann vor über einem Jahrzehnt nach Münsing zog, schaffte er mit seinem Beruf die Integration im Ort. Er wurde im Dorf aufgenommen, selbst die Burschen vom örtlichen Burschenverein haben sich mit ihm angefreundet. Als Kameramann dreht er immer wieder Filme und Clips mit Kindern und Jugendlichen aus Münsing und Ammerland. Er lässt immer wieder seine Kontakte zur Filmwelt spielen und schaffte es, Christian Tramitz und sogar Loriot für die Arbeit mit den Kindern vor die Kamera zu holen. Loriot starb 2011 in Ammerland, dort wo auch Pfeil lebt. Der letzte Film, in dem der große deutsche Humorist mitspielte, das war der Amateurfilm „Auf der Jagd nach dem roten Rubin“ im Jahr 2008 – mit Pfeils Kindern und deren Freunden.

Solche Ideen hat Pfeil ständig. „Ich bin immer noch ein Kindskopf“, sagt er. Aktuell sucht er einen Sponsor für ein neues Projekt. Für ein spektakuläres Foto vom „Tree of Münsing“ und seinem Heimatort will er einen Kran am Baum aufstellen lassen. „Dann kann man den Baum so von oben mit Teleobjektiv fotografieren, dass direkt dahinter der Münsinger Kirchturm und das Dorf herauskommen“, schwärmt Pfeil.

Es ist wohl genau diese verrückte Liebe zur Wahlheimat und es sind diese Visionen, durch die Pfeil über die Jahre ein Teil der Dorfgemeinschaft wurde. „So kommt man hier eben mit den Menschen in Kontakt und wird akzeptiert“, sagt er. Pfeil hat bereits eine neue Idee. Er spielt mit dem Gedanken, ein „Tree of Münsing“-Fest zu organisieren. Er stellt sich vor, dass die ganze Dorfgemeinschaft am Baum zusammenkommt und die Blaskapelle am Hügel wild aufspielt.

Eine alte, einsame Eiche auf einem grünen Hügel in Oberbayern – schön war sie schon immer. Jetzt macht sie auch noch Karriere. Im Internet und sogar im echten Leben. Ein Baum, so muss man das sagen, wie aus dem Traum.

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