München – Manchmal hat man das Gefühl, die ganze Welt sei virtuell unterwegs. Roger Federer hat 6,1 Millionen Abonnenten auf Instagram, Serena Williams sogar elf Millionen. Selbst der Puppe ihrer Tochter Olympia folgen 129 000 Menschen. Stefanie Graf ist in dieser Welt nur selten unterwegs, und sie dürfte sehr froh darüber sein, dass es sie während ihrer aktiven Zeit noch nicht gab. Viel zurückgezogener und leiser als die ehemals beste Tennisspielerin der Welt kann man nicht leben, schon gar nicht in Las Vegas, wo sie seit 20 Jahren mit ihrem Mann Andre Agassi und den beiden Kindern zuhause ist.
Sohn Jaden Gil, der begeistert Baseball spielt, wird im Oktober 18, die Tochter Jaz Elle ist zwei Jahre jünger. Kurz nachdem sie im August 1999 bei einem Turnier in San Diego beschlossen hatte, ihre Karriere zu beenden, wurden Steffi Graf und Andre Agassi, selbst einer der erfolgreichsten Tennisspieler der Geschichte, ein Paar.
Es ist eine Karriere mit unglaublichen Erfolgen: Zwischen 1987 und 1999 gewann Stefanie Graf 22 Grand-Slam-Turniere: den ersten und den spektakulären letzten bei den French Open in Paris. Zwischen August 1987 und März 1997 stand sie insgesamt 377 Wochen an der Spitze der Weltrangliste, von den Gegnerinnen gefürchtet und den Fans bewundert wegen ihrer phänomenal guten Beinarbeit, der knallharten Vorhand und einem messerscharfen Rückhand-Slice. 1988 gewann sie alle vier Grand-Slam-Turniere innerhalb eines Kalenderjahres. Als sie das Werk am Nachmittag des 10. September in New York bei den US Open zusammenfügte, stand die Welt des Tennis kopf. Keine andere Spielerin und auch kein Spieler gewann danach einen Grand Slam; nicht Serena Williams, nicht Roger Federer, Novak Djokovic oder Rafael Nadal. „Sie hat das getan, was alle von ihr erwartet haben“, meinte Vater Peter Graf kurz nach dem Sieg, und danach könne er ihr nur raten: „Nimm’s leicht“.
Keine Chance. Mit dem Gewinn der Goldmedaille bei den Olympischen Spielen in Seoul ein paar Wochen später wurde der Grand Slam zum Golden Slam, doch in dem ganzen Trubel blieb kein Raum, sich angemessen über die monumentale Tat zu freuen. „Ich wünschte, das wäre später in meiner Karriere passiert“, sagte sie mal, „dann hätte ich das mehr genießen können. Dass ich jung war, half mir beim Gewinnen, aber nicht danach.“
Steffi Graf versuchte, ihren Job perfekt zu machen, mit allergrößter Professionalität, aber auch mit einer gewissen Distanz. Barbara Rittner, Chefin des deutschen Frauentennis, sagt, Steffi Graf sei immer sehr bei sich geblieben. Eine junge Frau, die sich für Fotografie, Design, Kunst und Musik interessiert, die in New York ein Apartment kauft, weil sie sich in der großen Stadt freier fühlt als in Deutschland, wo sie das Interesse an ihrem Leben erdrückend findet.
Auf dem Platz gewann sie viele Jahre Spiele auf eine Art, die eher nüchtern wirkte. Andrea Petkovic schrieb kürzlich im „Tennis Magazin“: „Die Emotionen, mit deren Hilfe Boris Becker jedes Match in eine Art Krieg um Leben und Tod verwandelte, waren bei Steffi im Tagesgeschäft versteckt, das die Welt nicht zu sehen bekam.“ Erst in der Endphase ihrer Karriere, in der sie mit Verletzungen zu kämpfen hatte, aber auch mit massiven familiären Turbulenzen, als sie und ihr Vater wegen Steuerhinterziehung angeklagt wurden und ihr Vater eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten erhielt, konnte man manchmal erkennen, wie es ihr ging. Man hörte sie fluchen, sah ihre Nervosität und freute sich mit ihr in ihrer Freude nach einem Sieg. Leuchtender Höhepunkt der intensiveren Beziehung zum Publikum war der Sieg 1999 in Paris gegen Martina Hingis.
Als sie Jahre später gefragt wurde, wie sie es in einer Stadt wie Las Vegas aushalte, die so gar nicht zu ihr passe, sagte sie: „Wenn du Familie und Freunde in der Nähe hast, dann willst du doch nirgendwo anders sein.“ Steffi Graf lebt sehr privat in der schrillen Stadt, kümmert sich um die Familie und um ihre Stiftung. Tennis spielt sie eher selten, denn die strapazierten Knochen und Gelenke tun weh. Aber wenn sie es tut, dann schwebt sie immer noch über den Platz.