München – Die Zahl rechtsextremistischer Straftaten in Bayern ist laut Verfassungsschutz seit 2016 leicht rückläufig. Gleichzeitig nehmen antisemitische und ausländerfeindliche Straftaten zu – ebenso die Zahl der Personen im rechtsextremen Spektrum.
Szene weitet sich aus
Die bayerischen Behörden zählten 2018 mit 680 Personen etwas mehr Neonazis als im Vorjahr. Stark zugenommen hat laut Verfassungschutzbericht seit 2015 aber vor allem die Zahl unorganisierter, durch Hasskommentare im Internet radikalisierter Personen, die Gewalttaten gegen Geflüchtete und ihre Unterkünfte begingen. Die rechte Szene franse aus in ein Umfeld, „das bislang nicht in rechtsextremistischen Strukturen verankert“ war. Von 1834 rechtsextremistischen Straftaten im Jahr 2018 waren 1171 Propagandadelikte. „Es sind Dämme gebrochen“, sagt Marcus Buschmüller, Leiter der Fachinformationsstelle Rechtsextremismus in München. „Und der Möglichkeit des Sagens folgt irgendwann das Tun.“
Neue Bewegungen
Rund 2400 Personen in Bayern, darunter 1000 Gewaltorientierte, ordnet der Verfassungsschutz dem rechtsextremistischen Spektrum zu. Rund die Hälfte ist organisiert. Stark schrumpfend, mit 500 Mitgliedern aber noch zahlenmäßig stärkste Gruppe, ist demnach die NPD. Mit inzwischen 160 Mitgliedern fasst dagegen die Partei „Der III. Weg“ zunehmend Fuß. Sie inszeniere sich mit Patrouillengängen als Hüter der öffentlichen Sicherheit. Diese sei durch Zuwanderung gefährdet und werde vom Staat nicht verteidigt, so das Bild, das vermittelt werden solle. Der „III. Weg“ vertritt laut Verfassungsschutz einen stark neonazistisch geprägten Rechtsextremismus. In Bayern sei er „eine Nachfolgeorganisation des 2014 verbotenen Freien Netz Süd“, sagt Buschmüller.
Reichweite im Netz
Mitgliederzahlen seien aber nicht das entscheidende Kriterium, glaubt Buschmüller. Das zeige die Identitäre Bewegung. Im vergangenen Jahr trat sie unter anderem in Regensburg, Markt Schwaben und Fürstenfeldbruck in Erscheinung. Sie ist in mehreren europäischen Ländern aktiv, gilt als migrationsfeindlich und wird vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall beobachtet. Sie gibt sich in der Sprache dezent – Schlagwörter sind „Ethnopluralismus“ und „Remigration“ –und versucht, Aufmerksamkeit zu erzielen mit Protest- und Plakataktionen, die sie im Internet inszeniert. „Ein Plakat aufzuhängen ist erst mal nicht viel. Aber sie haben über Soziale Medien eine gewisse Reichweite“, sagt Buschmüller.
Trotz einer etwa beim Antisemitismus gestiegenen Sensibilität gebe es aber weiße Flecken bei der Beobachtung der rechten Szene, findet Buschmüller. Zu wenig im Blick seien immer noch unaufgedeckte Untersützerstrukturen des NSU und gewaltbereite Gruppen wie „Combat 18“, zu der auch der Tatverdächtige im Fall Lübcke Verbindungen gehabt haben soll. sr