München – Man muss nicht lange suchen. Es reicht, Youtube zu öffnen und „Lübcke“ einzugeben – dann geht sie los, die traurige Reise durch die Niederungen des Internets. Da taucht zum Beispiel ein Video der Trauerfeier für den ermordeten CDU-Politiker auf. Drunter finden sich dutzende Kommentare, viele Beileidsbekundungen, aber auch Sätze wie diese: „Fahr zur Hölle“, meint S. Schievelbeiner. „Ein Riesenarschloch weniger“, schreibt der User „Kotzbrocken“. Und ein gewisser Per Jensen fasst sich kurz: „Endlich tot.“
Das sind keine Ausreißer, die Liste ähnlicher Kommentare ist lang. Nicht nur in Sozialen Medien, vor allem auf rechten Blogs und Webseiten ergießt sich die Häme über den gewaltsamen Tod Walter Lübckes. Innenminister Horst Seehofer (CSU) sprach unlängst vom „Niedergang der menschlichen Moral“. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nannte die Kommentare „zynisch, geschmacklos, abscheulich, in jeder Hinsicht widerwärtig“.
Dass das Internet auch eine Brutstätte von Hass ist, ist nicht neu. Aber der Fall Lübcke hat eine lange Geschichte. Und seit bekannt ist, dass der Tatverdächtige einen rechtsextremistischen Hintergrund hat, stellt sich zumindest die Frage, ob der rechte Hass im Netz sich hier in rechter Gewalt entladen hat.
Lübcke hatte seit 2015 mit Drohungen zu kämpfen – damals wurde er wegen seines Einsatzes für Flüchtlinge zur Zielscheibe rechtsextremer Kreise. Als er Pegida-Anhängern öffentlich riet, Deutschland zu verlassen, wenn ihnen die Werte dieses Landes nicht passen, kochte die Wut richtig hoch.
Die islamfeindliche Seite „pi-news“ nannte den CDU-Politiker damals „Volksverräter“; unter den dort veröffentlichen Artikeln hagelte es Morddrohungen. „Das Volk vergisst nichts und jeder bekommt am Ende seinen Lohn (…)“, stand da. Oder: „Der Kasper aus Kassel macht’s nicht mehr lange.“ Daneben veröffentlichten mehrere Nutzer auch Lübckes Privatadresse, den Ort, an dem er Anfang Juni ermordet wurde. Die Einträge findet man noch heute im Archiv der Seite.
Zeitweise bekam Lübcke Polizeischutz. Dann flaute der Hass ab, bis Anfang des Jahres. Zunächst griffen laut „t-online“ gleich zwei rechte Blogs den Fall ohne konkreten Anlass wieder auf. Am 18. Februar erinnerte dann auch Erika Steinbach – Ex-CDU-Politikerin, heute AfD-nah – ihre Follower bei Facebook und Twitter an ihren ehemaligen hessischen Parteifreund. Bei Twitter teilte sie einen Artikel über ihn und schrieb dazu: „Ich rate den Kritikern merkelscher Asylpolitik, die CDU zu verlassen und nicht ihre Heimat.“ Ergebnis: Die Morddrohungen begannen aufs Neue. Neben Fotos von Galgen und Pistolen schrieb ein Nutzer unter Steinbachs Eintrag: „Landesverrat. An die Wand mit dem.“
„Der digitale Hass entlädt sich immer öfter in Gewalt“, sagt Miro Dittrich. Er beschäftigt sich für die Amadeu Antonio Stiftung seit drei Jahren mit rechtem Hass im Netz. Die Szene, sagt er, habe sich „klar radikalisiert“. Online sei längst eine Art Parallelwelt entstanden, die einem „kollektiven Wahn vom Untergang Deutschlands verfallen ist“. Pegida und auch Teile der AfD heizten das Klima an – so entstehe bei manchen Handlungsdruck.
Ob es bei dem Verdächtigen im Fall Lübcke ähnlich war? Über seinen Youtube-Kanal soll er jedenfalls gedroht haben, es werde Tote geben, wenn die Regierung nicht bald handele. Beobachter wie Philip Kreißel – Autor der Studie „Hass auf Knopfdruck“ – glauben, dass die Strafverfolgungsbehörden deutlich besser auf die Signale im Netz hören müssten. „Auch Facebook hat hier Probleme“ sagt er, weil viele Fälle von Hassrede in geschlossenen Gruppen ablaufen. „Solche Gruppen sollte Facebook schneller und proaktiver löschen.“
Die Freude über Lübckes Tod kennt derweil noch kein Ende. Gleich nach der Festnahme des Tatverdächtigen solidarisierten sich Braunschweiger Neonazis mit ihrem „Bruder“ – und schickten digitale Grüße ins Gefängnis.
MARCUS MÄCKLER