Die geheimnisvollen Düfte des Sommers

von Redaktion

Blüten, frisch gemähter Rasen oder der Qualm von Grillkohle – der Sommer hat viele Gerüche. Und jeder Mensch verbindet etwas anderes damit. Denn Gerüche wecken Erinnerungen. Der Biologe und Geruchsforscher Hanns Hatt erklärt, warum das so ist.

VON WOLFGANG HAUSKRECHT UND ANDREA BARTHELEMY

München/Berlin – Für die einen ist es der Duft, der nach einem warmen Sommerregen vom Straßenasphalt aufsteigt, für den anderen der Mix aus Deo und Schweiß in der U-Bahn – oder gebräunte Haut mit einem kräftigen Hauch Sonnenmilch. Die Düfte des Sommers sind vielfältig und intensiv. „Für mich ist es vor allem der Geruch von frisch gemähtem Rasen, aber auch von heißem Teer, mit dem damals in unserem Dorf die Straßen geteert wurden“, erinnert sich Professor Hanns Hatt an die Sommerdüfte seiner Kindheit am Tegernsee in Oberbayern.

Heute ist Hatt vielfach ausgezeichneter Zellphysiologe an der Ruhr-Universität in Bochum und einer der renommiertesten Geruchsforscher weltweit. Er sagt: Das, was wir als Sommergeruch abspeichern, ist von unserem individuellen Erleben und unserer Lebensumgebung geprägt und tief in der unbewussten Erinnerung verwurzelt. Denn: Gerüche dringen in einen für Emotionen wichtigen Teil des Gehirns. Riechen wir sie wieder, kehren die Erinnerungen zurück.

Madeleine- oder Proust-Effekt nennt man das. Benannt ist er nach dem Schriftsteller Marcel Proust, der in seinem Roman „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ beschreibt, wie sein Held ein Stück Madeleine-Gebäck in Lindenblütentee taucht und durch die spezielle Melange aus Duft und Geschmack von Kindheitserinnerungen überflutet wird. Das passiert im Grunde uns allen. „Wie wir das jedoch für uns bewerten, hängt davon ab, ob angenehme oder unangenehme Situationen damit verknüpft sind“, sagt Hatt.

Deshalb können auch Schweiß oder auf dem Grill angebrannte Würstchen positive Gefühle wecken. „Das sind erlernte Prozesse. Wenn wir Düfte mehrmals hintereinander mit bestimmten Situationen und Emotionen verbinden, riecht genau das für uns nach Sommer“, sagt Hatt. Neben dem Kindheitssommergeruch kann es dann auch andere, später erlernte Sommergerüche geben – etwa, wenn man irgendwann vom Dorf in die Stadt zieht.

Für Cristina Wuttweiler ist es der Duft von Tomatensaft mit Zitrone. „Immer, wenn ich das im Flugzeug bestelle, riecht das für mich wie Austern“, erzählt die 71-Jährige aus St. Gallen, die gerade in München Urlaub macht. Aufgewachsen ist sie in den Tropen. „Da kam am Strand immer ein Austernverkäufer. Wir haben die dann gegessen.“ Im Flugzeug schließe sie die Augen und denke bei Tomatensaft mit Zitrone an ihre Kindheit am Strand.

Der Geruchssinn ist schwer zu erforschen. Die Riechzellen sind klein, es gibt zehntausende chemischer Moleküle, die Düfte bilden. Düfte, schreibt Hatt auf seiner Homepage, können Auslöser für Sympathie und Antipathie sein, Stimmungen und Emotionen beeinflussen, das Sozial- und Sexualverhalten steuern, den Hormonstatus verändern, als chemische Kommunikationsmittel dienen.

Etwa 350 verschiedene Typen von Riechzellen hat der Mensch. Von jedem Typ gibt es viele tausend, an die 30 Millionen kommen so zusammen. Jeder Typ kann verschiedene Gerüche verarbeiten, wobei die Riechzellen kooperieren. Bei Parfümen zum Beispiel sind oft viele Duftstoffe vermischt. Also aktiviert das Parfüm auch mehrere Riechzelltypen. Die Zellen senden Informationen ins Gehirn. Im Gehirn gibt es ein Riechzentrum, das mit dem Hippocampus und dem limbischen System verbunden ist – der Heimat von Erinnerungen und Emotionen.

Können wir im Sommer intensiver riechen? „Die Nase ist bei Wärme besser durchblutet, ja, aber viel wichtiger ist die Tatsache, dass bei wärmeren Temperaturen mehr Duftmoleküle in der Umwelt freigesetzt werden“, erläutert Hatt. Der selbst eigentlich duftfreie Sommerregen löst die zahlreich vorhandenen Duftmoleküle auf, sodass man sie intensiver wahrnimmt. Pflanzenausdünstungen, der modrig-erdige Duft von Bodenbakterien und Steinstaub gehören dazu.

Auch der Kulturraum ist wichtig für das, was Menschen mit dem Duft des Sommers verbinden. In Afrika oder Asien riecht der Sommer anders als bei uns. Das bestätigt auch Marc vom Ende. Er arbeitet als Parfümeur für das Unternehmen Symrise und ist dem ultimativen Sommerduft sozusagen auch hauptberuflich auf der Spur. „Es gibt unterschiedliche Kulturen und deshalb entsprechende Vorlieben, das ist klar. Dennoch guckt die Welt hier viel auf Europa und vor allem auf Frankreich.“ Für den Parfümeur heißt das: „Sommerdüfte riechen leicht und blumig. In den letzten Jahren auch mehr mediterran, mit einer fruchtigen Note. Nach Citrus oder Bergamotte.“ Auch in der Parfüm-Welt werde versucht, den „Strandeffekt“ zu erzielen – Menschen in der Sonne, Sand, Meer und Wind. Nicht so einfach. „Das Parfüm soll ja nicht nach Sonnencreme riechen, sondern nach gebräunter Haut.“.

Über Gerüche versucht die Industrie auch, das Kaufverhalten zu beeinflussen. Ganz leicht ist das nicht. Düfte, die im Kaufhaus versprüht werden, können unterschiedliche Empfindungen auslösen. Und Dosentomaten riechen im Laden halt nach nichts.

Der Geruchssinn ist der älteste Sinn. Das Leben begann im Wasser, in tiefer Dunkelheit. So blieb nur die chemische Kommunikation. Das sei im Grunde nichts anderes als riechen, so Hatt. Auch an Land blieb der Geruch von Bedeutung. Duftmoleküle werden vom Wind viele Kilometer weit getragen. In der Wildnis entscheiden Gerüche oft über fressen und gefressen werden. Noch im 18. Jahrhundert muss es auf den Schlössern der Fürsten fürchterlich gestunken haben. Ein Grund, warum sich der Adel kräftig mit Eau-de-Toilette übergoss. In der Sprache verfestigten sich Redensarten. „Mir stinkt‘s“, „verduften“, „den kann ich gut riechen“, „die Chemie muss stimmen“.

Sogar die Liebe duftet. Der Schweizer Biologe Claus Wedekind untersuchte Ehepaare, die lange glücklich zusammen sind, und solche, die sich bald scheiden ließen. Ergebnis: Die Glücklichen rochen unterschiedlich, die Geschiedenen eher ähnlich.

Was merkwürdig klingt, macht aus Sicht der Evolution Sinn. Auch Tiere suchen Partner, die sich genetisch möglichst unterscheiden, um immer neue Gene weiterzugeben. Geregelt wird das über den Geruch. Tiere, sagt Hatt, könnten Gene riechen. Und der Mensch könne das unbewusst offenbar auch noch.

Er selber, sagte Hatt einmal in einem BR-Interview, könne nicht so gut riechen. Aber er versuche, bewusst Düfte mitzunehmen. Weil er gerne kocht, liebt er vor allem den Duft von frischen Kräutern. Der Duft von Rosmarin und Basilikum, auch das ist ein Sommerduft, der ihn in gute Laune versetzt.

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