Die unendliche Mond-Verschwörung

von Redaktion

Der Vorwurf, die Mondlandung, die sich an diesem Wochenende zum 50. Mal jährt, habe nie stattgefunden, ist fast so alt wie die Landung selbst. Es ist ein Klassiker unter den Verschwörungstheorien. Menschen glauben gerne die unglaublichsten Dinge. Dafür gibt es gute Gründe.

VON MARC BEYER

München – Der Moment des maximalen Betrugs verläuft wie in Zeitlupe. Ein Mann im Raumanzug tastet sich eine Leiter hinab, bis ein Bildschirm zeigt, wie er zu Boden zu sinken scheint. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Die andere Hälfte zeigt ein zweiter Schirm: Während links der Astronaut noch schwebt, ist er rechts schon mit einem Plumps auf der felsigen Oberfläche gelandet.

Es war nicht der Mond, sondern der Mars, der in diesem Moment scheinbar betreten wurde. Es war auch nicht Apollo 11, sondern Capricorn One. Vor allem aber ist es bloß ein Film. „Unternehmen Capricorn“ spielte 1978 mit dem Verdacht, die Landung auf einem fernen Planeten habe in Wahrheit nie stattgefunden. Es war die Zeit von Watergate und Vietnam, von großen und sehr großen Lügen. Den Mächtigen wurde nahezu alles zugetraut.

Der Vorwurf, die Mondlandung habe es nie gegeben, ist fast so alt wie die Landung selbst. 1976, sieben Jahre nach der erfolgreichen Mission „Apollo 11“, veröffentlichte der Autor Bill Kaysing das Buch „We never went to the Moon“. Die meisten Vorwürfe kursieren bis heute. Laut dem Mainzer Institut für Publizistik halten noch immer 17 Prozent der Deutschen die Landung für inszeniert.

Es ist ein spannendes Thema, und je tiefer man eindringt, umso faszinierender wird es. Michael Butter ist ganz tief drin. Der gebürtige Münchner, Professor für Amerikanische Literatur- und Kulturgeschichte in Tübingen, erforscht Verschwörungstheorien. Er kennt alle Vorbehalte gegen Apollo 11 – und die Gegenargumente. Schatten auf den Fotos verlaufen nicht parallel? Auf unebenen Oberflächen ganz normal. Die US-Flagge weht, obwohl es auf dem Mond keine Atmosphäre und damit keinen Wind gibt? Beim Aufstellen wurde sie in Schwingungen versetzt. Die Vorderseite des Astronauten Buzz Aldrin ist beleuchtet, während die Sonne von hinten auf ihn fällt? Streulicht wird von der Mondoberfläche reflektiert. Fehlende Sterne im Bildhintergrund? Eine Folge der geringen Belichtungszeit.

„Die Mondlandung“, sagt Butter, „ist ein Klassiker unter den Verschwörungstheorien, und sie ist noch immer aktuell.“ Die Aufnahmen von damals mögen eine überschaubare Qualität haben, „da sieht man fast gar nichts“. Im digitalen Zeitalter aber lässt sich alles neu deuten. Erst vor ein paar Jahren wollte ein Youtuber entdeckt haben, dass sich im Visier eines Astronauten ein Kulissenarbeiter spiegelt.

Man muss nicht alles glauben, was an Theorien herumschwirrt über vorgetäuschte All-Erkundungen, Terrorangriffe im Regierungsauftrag oder giftige Kondensstreifen. Aber dass es so viele tun, hat Gründe. „Verschwörungstheorien sind tolle Erzählungen“, sagt Michael Butter. „Das Muster, dass alles geplant ist und eine kleine Gruppe die Strippen zieht“, sei etwas, „was alle Menschen intuitiv anspricht.“ Besser, ein Unbekannter zieht die Strippen, als dass es niemand tut. So gibt es wenigstens einen Schuldigen. „Verschwörungstheorien machen die Welt verständlich. Sie liefern ganz starke Erklärungen, wie unsere Welt funktioniert.“

Ein Schwerpunkt des Amerikanisten Butter sind Fernsehserien: „Homeland“, „24“, „Lost“. Ohne die Annahme, dass jedem jederzeit alles zuzutrauen ist, könnten sie gar nicht funktionieren. Die krassen Wendungen sind überhaupt nur möglich, weil der Gute in Wahrheit der Bösewicht ist oder das Familienidyll eine Terrorzelle. Im Fernsehen, argumentiert Butter, „geben wir uns dem gerne hin“. Warum sollte es im wahren Leben anders sein?

Ein bisschen anders ist es natürlich trotzdem. Wenn rechte Vordenker die Theorie in die Welt setzen, geheimnisvolle Eliten wollten die christliche Bevölkerung Europas gegen eine muslimische austauschen und hätten deshalb die Flüchtlingskrise inszeniert, reagieren Menschen meist skeptisch. Es ist nur eine Minderheit, die solche kruden Theorien glaubt. Aber in den Echokammern des Internets kann so eine Minderheit sehr laut werden.

Verglichen mit dem, was sonst so geglaubt wird, sind die Zweifel an Apollo 11 regelrecht harmlos. „Ich kenne niemanden, der aufgrund der Mondlandungstheorie losgezogen ist, um jemanden umzubringen“, sagt Professor Butter. Bei der Flüchtlingskrise und dem Konstrukt des „großen Austauschs“ ist das weniger eindeutig. Oder, auf eine andere und ebenfalls erschütternde Weise, bei den Amokläufen an amerikanischen Highschools. Ähnlich wie bei der Reise zum Mond werden sie von Verschwörungstheoretikern als Inszenierung abgetan, um Amerikanern das Recht auf Waffenbesitz zu nehmen.

Fakten und Wahrheitstreue haben auch für den US-Präsidenten bekanntlich keine Priorität. Das zeigte sich schon im Wahlkampf, als er die „Birther“-Debatte, wonach Barack Obama in Kenia geboren wurde und nie rechtmäßiger Präsident war, ebenso befeuerte wie unschöne Thesen über Hillary Clinton.

Man könne das gut verfolgen, sagt Michael Butter. Am Anfang habe Trump nur mit Gerüchten agiert. Er wollte die Radikalen umwerben, die Moderaten nicht verschrecken. Erst als zu viel Unappetitliches über Trump im Umlauf war und die Moderaten verloren schienen, ließ er alle Hemmungen fallen. „Er stellte sich vor die Leute und redete 45 Minuten lang über die große Weltverschwörung der Eliten, die in Verbindung mit Hillary Clinton die Souveränität des amerikanischen Volkes zerstören wollten.“

So spannt sich der Bogen bis in die Gegenwart. Von der angeblichen jüdischen Weltverschwörung über Illuminaten und Freimaurer, die Mondlandung bis zu Trump. Sie beschäftigen Wissenschaftler, Politiker, Wirrköpfe, Kreative. Im Film „Unternehmen Capricorn“ fliegt der versuchte Betrug am Ende auf. Ein Journalist beginnt zu recherchieren – während die Regierung die Astronauten als lästige Zeugen beseitigen will. Ein Astronaut überlebt, alles kommt ans Licht.

Die Realität war weniger drastisch, aber auch spektakulär. Bis hin zu einer letzten Pointe. Als Buzz Aldrin, der zweite Mann auf dem Mond, 2002 von einem Filmemacher als Lügner und Betrüger beleidigt und bedrängt wurde, auf die Bibel zu schwören, verpasste er ihm einen Faustschlag. Das Verfahren gegen den damals 72-Jährigen wurde eingestellt. Nationalhelden müssen sich nicht alles bieten lassen.

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