Hinter den Kulissen des Flughafens

von Redaktion

An die 53 000 Maschinen starten und landen alleine in den Sommerferien am Flughafen im Erdinger Moos. 46,3 Millionen Passagiere zählte der Münchner Airport im vergangenen Jahr. Ein gigantischer logistischer Aufwand, den es zu bewältigen gilt. Ein Blick hinter die Kulissen.

VON ANDREAS BEEZ

Die Mitarbeiter der Vorfeldkontrolle haben einen aufregenden Arbeitsplatz – vor allem bei Unwettern. Da wackelt der Tower, aber das hält er aus. „Es ist ganz wichtig für uns, immer Ruhe zu bewahren, Hektik wäre nur eine Fehlerquelle“, sagt Chef Boris Breug. Die Vorfeldlotsen sitzen im großen Turm und sind für die Flugzeuge verantwortlich, solange sie über das Vorfeld rollen. „Ein Vorfeldlotse muss immer mehrere Flugzeuge und ihre aktuelle Position auf dem Schirm haben, dazu andere Fahrzeuge und die Baustellen, die den Verkehr einschränken“, erklärt Breug. Die Flugzeuge werden über Rollwege gelotst, die Namen haben wie „Whiskey 1“ oder „Delta 3“. Jedes Rollfeld ist mit einer farbigen Bodenlinie markiert. Im Funkverkehr muss der Pilot den Namen des zugewiesenen Rollwegs wiederholen, damit es keine Missverständnisse gibt. Dann steuert er die Maschine, möglichst mittig über der Linie, bis zu seiner Parkposition – oder von dort zur Startbahn.

1200 Flugbewegungen gibt es jeden Tag. Nicht alle laufen nach Plan. Die Folgen muss die Verkehrszentrale managen, und zwar so, dass der Fluggast möglichst wenig davon mitkriegt. „Teilweise bekommen wir um ein Uhr morgens von den Fluggesellschaften noch bis zu 400 Änderungen für den nächsten Tag rein“, sagt Ralf Prokopiuk, Chef der Verkehrssteuerung. Seine Abteilung organisiert die komplette Verkehrslogistik am Boden, ist sozusagen das zentrale Nervensystem des Flughafens. Es registriert jede Änderung. Kann zum Beispiel ein Flugzeug nicht starten, weil ein Reifen defekt ist, zieht das viele Probleme nach sich. Womöglich überschreitet die Crew die zulässige Einsatzzeit und die Maschine muss zwei Stunden länger am Boden bleiben. Das nächste Flugzeug, das eigentlich an dieser Position parken sollte, muss dann umgeleitet werden. In der Folge ändern sich auch die Laufwege der Passagiere nach dem Aussteigen. „Planänderungen zu managen, ist sehr komplex“, sagt Prokopiuk. „An einem normalen Tag verarbeiten wir bis zu 40 000 Datensätze zu Flugereignissen.“ Auch der Sommer- und der Winterflugplan fallen in seinen Aufgabenbereich.

Ein gewaltiges Standesamt liegt unter dem Terminal 2: die Gepäckförderanlage. „Wir nehmen täglich bis zu 60 000 Verheiratungen und Scheidungen vor“, sagt Tino Schneider. Als „Verheiratung“ bezeichnet der Gepäck-Manager den Moment, in dem ein Koffer nach dem Check-in in eine der 7500 Transportwannen fällt. Jedes Gepäckstück bekommt einen Aufkleber mit zehnstelliger Nummer (Bagtag). Zusammen mit der Wannennummer ist das eine Art digitaler Trauschein. Bei einer „Scheidung“ wird das Gepäckstück wieder aus der Wanne genommen, in einen Transportcontainer verladen und zum Flieger gefahren. Alle Arbeitsschritte werden digital erfasst, die Experten wissen genau, wo sich jeder einzelne Koffer gerade befindet.

Die voll automatisierte Gepäckförderanlage ist 45 Kilometer lang – und das Ehepaar Wanne-Koffer düst mit bis zu 25 km/h über mehrstöckige Fahrspuren. Bei Pannen zeigt in der Gepäckleitwarte ein Bildschirm genau an, an welchem der 17 000 verbauten Einzelteile es hakt. Weniger als fünf Minuten dauere es in der Regel, einen Schaden zu beheben, sagt Schneider. Gepäck mit Wartezeit kommt aufs Abstellgleis. Das Gepäck wird dann zur rechten Zeit automatisch wieder ins Gepäcksystem eingeschleust.

Das gelb-schwarz lackierte Auto mit der Aufschrift „Airport 1“ ist das Safety-Car des Münchner Flughafens. Anders als in der Formel 1 soll es die Piloten aber nicht einbremsen. Es rast vielmehr hinterher. Am Steuer von „Airport 1“ sitzt heute Michael Wellmitz, einer von 13 Verkehrsleitern. Sie sind im Schichtdienst für die Sicherheit der Start- und Landebahnen zuständig. Während seiner Kontrollfahrten im Windschatten der Jumbos verfolgt Wellmitz mit Argusaugen, ob irgendetwas auf den Beton gefallen oder auf anderem Wege auf die Bahn gekommen ist. „Tote Tiere, selbst kleine Metall- oder Gummiteile können schwere Schäden an Flugzeugen anrichten, etwa Triebwerke demolieren oder Steuerruder blockieren“, erklärt Wellmitz. Seit 19 Jahren entfernt er Störenfriede aller Art. Die Störenfriede heißen fachmännisch „Foreign Object Debris“, kurz FOD. Auf Deutsch heißt das schlicht Fremdkörper. So ein FOD löste den Absturz der Concorde am 25. Juli 2000 kurz nach dem Start in Paris aus. 113 Menschen starben damals.

Eine weitere wichtige Aufgabe eines Verkehrsleiters ist die Koordination der Baustellen an den Start- und Landebahnen sowie die Begleitung von Alarmfällen. Wellmitz hat die Alarmpläne maßgeblich mitgestaltet. Befürchtet zum Beispiel ein Pilot beim Landeanflug Fahrwerkprobleme, achtet der Verkehrsleiter darauf, dass alle Einsatzkräfte bereitstehen und nichts und niemand im Weg ist. Bei schlechtem Wetter, vor allem im Winter, muss er beurteilen, ob die Bahnen sicher genug zum Landen sind. Schnee, Eis, stehendes Wasser. „All das kann gefährlich werden“, sagt Wellmitz. Mit einem Spezialfahrzeug misst er auf den Landebahnen, ob die Flugzeuge die Bremswerte noch einhalten können. Werden ihm Schnee und Eis zu heiß, ruft er Räumfahrzeuge und sperrt die Bahn. „Diese Einsätze müssen zwar so schnell wie möglich ablaufen“, sagt Wellmitz. „Aber im Zweifel geht Sicherheit immer vor.“

Das Beladen kann ein Knochenjob sein. Bei manchen Flugzeugtypen müssen die „Ground Handler“, so heißt das Bodenpersonal, jeden Koffer einzeln auf ein Förderband und oben an der Ladekante weiter in den Frachtraum hieven. Doch beim A380 gibt es bärenstarke Helfer: eine fahrbare Hebebühne, „Highloader“ genannt. Sie kann siebeneinhalb Tonnen auf einmal in den Bauch des A380 wuchten. „Heute befördern wir 484 Koffer und zusätzlich mehrere Paletten in die drei Laderäume der Maschine“, erklärt Alexander Ulbrich, Leiter der Gepäckverladung. Paletten und Koffercontainer fahren binnen Sekunden wie auf Schienen in den 24 Meter hohen A380. Sie werden mit eingebauten Stahlstoppern am Boden gesichert. Verrutschen kann hier nichts. 13 Tonnen Fracht packt Ulbrich in diesen A380, der nach Japan fliegt.

Theoretisch braucht Daniel Bartels nur einen Autoführerschein. „Aber es kann nicht schaden, wenn man schon mal einen Lkw gesteuert hat“, sagt der Pushback-Fahrer. Denn der Vogel, den Bartels mit seinem 490 PS starken Schlepper übers Vorfeld kutschiert, ist 73 Meter lang und 560 Tonnen schwer. Der Pushback (aus dem Englischen: zurückschieben) ersetzt den nicht vorhandenen Rückwärtsgang des Airbus A380. Der Wagen drückt den Jet von seiner Parkposition so zurück aufs Vorfeld, dass er vorwärts in Richtung Startbahn losrollen kann.

Dazu hievt Bartels erst das Vorderrad des Airbus A380 hydraulisch 15 Zentimeter in die Luft und spannt es in eine Art Spezialkupplung seines Fahrzeugs ein. Zudem steckt er einen nur wenige Zentimeter langen Stahlstift in eine Öffnung am Vorderrad des A380. Dieser sogenannte Steering Pin blockiert die Steuerung des Flugzeugs. Unter keinen Umständen darf Bartels vergessen, den Pin wieder zu entfernen. „Sonst wäre das Flugzeug manövrierunfähig.“ Deshalb hält er den Steering Pin neben dem Cockpit gut sichtbar in die Höhe. Erst wenn der Pilot mit gestrecktem Daumen bestätigt hat, dass er den Stahlstift gesehen hat, darf er die Bremse lösen und losrollen.

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