Kretschmer rettet die CDU

von Redaktion

Die Wahlen in Sachsen und Brandenburg sorgen für starke Verschiebungen im Parteiensystem. Fast alle Akteure werden ihre Lehren ziehen – oder müssen ihre Strategie hinterfragen. Ein Überblick.

VON MIKE SCHIER

Union

Um 13.30 Uhr wird Annegret Kramp-Karrenbauer heute Mittag mit den beiden CDU-Spitzenkandidaten vor die Presse treten. Es wird Blumensträuße geben, vermutlich sogar gleich große – einen für Ingo Senftleben aus Brandenburg und einen für Michael Kretschmer. Doch den Sachsen dürfte AKK – zumindest hinter den Kulissen – besonders innig herzen. Denn der 44-Jährige hat der in die Kritik geratenen CDU-Vorsitzenden ein wenig Luft zum Atmen verschafft. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn die AfD nach der umstrittenen AKK-Abrechnung mit Ex-Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen noch einmal Aufschwung bekommen hätte. Dass Maaßen gestern Abend weiter stänkert und von einer „schweren Niederlage“ in Sachsen und einem „Desaster“ in Brandenburg spricht, dürfte seine Karriere in der CDU kaum weiter befeuern. Und AKK wird sich in ihrer Einschätzung bestätigt fühlen.

Für die CDU-Chefin dürfte die Wahl nun weniger Konsequenzen haben, als manche noch vor Wochen vermuteten. Doch Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus lässt am Sonntagabend durchblicken, dass sich einiges ändern muss. Themen wie Klimaschutz, Wirtschaft und Sicherheit müsse man „besser kommunizieren und anpacken“. In dieser Woche steht das Klima im Mittelpunkt, wo sich die CDU bislang von der CSU die Richtung diktieren ließ. Morgen gibt es ein „Werkstattgespräch“, bei dem Ideen gesammelt werden. Ab Mittwoch tagt dann die Unionsfraktion. Brinkhaus sagt, man müsse liefern. „Wir müssen unser eigenes Ding machen wie Kretschmer.“ Bei der Bundestagswahl hatte Kretschmer noch seinen Wahlkreis verloren – jetzt ist er plötzlich der Hoffnungsträger.

SPD

Man ist bescheiden geworden im Willy-Brandt-Haus. Wahlabende waren hier zuletzt mit großer Regelmäßigkeit Trauerveranstaltungen. An das dicke Minus in den Wahlbalken haben sich die Genossen längst gewöhnt. Die gibt es auch diesmal. Aber mit Dietmar Woidke kann man immerhin noch einen Ministerpräsidenten stellen. „Das ist für die SPD ein Abend mit gemischten Gefühlen“, sagt der kommissarische Parteichef Thorsten Schäfer-Gümbel deshalb. Aber es gab schon deutlich schlechtere – selbst wenn das Ergebnis in Sachsen absolut verheerend ausfällt. Auch in Thüringen droht der Partei im Oktober ein einstelliges Ergebnis. Die Genossen fahren in den nächsten Wochen weiter zweigleisig: In der Koalition regiert man irgendwie weiter, als Partei setzt man die Selbstfindung in nie dagewesenem Umfang fort.

Grüne

Keine Frage, die Grünen gehören zu den Gewinnern des Abends – auch wenn ihr Plus am Ende nicht ganz so hoch ausfällt, wie das manche angesichts der jüngsten Umfragen schon erhofft hatten. „Die Klimakrise hat eine gigantische Rolle gespielt“, erklärte Bundestagsfraktions-chefin Katrin Göring-Eckardt, die aus Thüringen kommt. „Wenn man es einordnet in den größeren Rahmen, ist es ein fantastisches Ergebnis“, findet Bundeschef Robert Habeck. Mit Blick auf Sachsen sagte er „schwierigste Verhandlungen“ voraus. Tatsächlich wird es langsam spannend: Die vom Höhenflug verwöhnten Grünen müssen einerseits im Bundesland beweisen, dass sie die CDU mit zu drastischen Forderungen nicht in die Arme der AfD treiben. Gleichzeitig flirten sie im Bund offen mit Grün-Rot-Rot. Der Tag, an dem die Partei Farbe bekennen muss, rückt näher.

Linke

Es geht fast ein wenig unter – aber zu den größten Verlierern dieses Wahlabends gehört die Linke, die lange Zeit als Sprachrohr der Menschen im Osten galt. Parteichefin Katja Kipping hat am Abend eine ganz eigene Erklärung parat: Grund für den Aufstieg der AfD sei der „Markradikalismus“, der sich im Osten in den letzten 30 Jahren „in besonderer Art und Weise“ ausgetobt habe. Ob dies auch Kern der internen Aufarbeitung sein dürfte, darf man bezweifeln. Wahrscheinlich geht es eher um einen anderen Befund: „Wir haben Politik von oben gemacht, wir waren zu wenig in den Regionen, haben zu wenig mit den Menschen geredet.“

„Wir müssen ein paar Grundfragen zur Strategie in der Linken stellen und beantworten“, sagte Fraktionschef Dietmar Bartsch. „Offensichtlich werden wir nicht mehr als die erste Adresse der Ostinteressen-Vertretung angesehen.“ 66 Prozent aller Wähler empfinden sich als Ostdeutsche als Bürger zweiter Klasse. Grünen-Anhänger sind die einzigen, die dieser These nicht mehrheitlich zustimmen. Bei der AfD sind es mit 78 Prozent mehr als bei den Linken (72). Entscheidend wird es im Oktober in Thüringen, wenn sich der einzige linke Ministerpräsident Bodo Ramelow zur Wahl stellt. In Umfragen liegt die Linke derzeit vorn.

FDP

Es ist der erste Wahlabend für Linda Teuteberg als Generalsekretärin. Die Brandenburgerin feiert am Abend in der ARD eine eher undankbare Premiere in der großen Wahlrunde. Zwei Mal hat die Partei den Sprung in den Landtag knapp verpasst. „Es gibt leider keinen Zauberstab, mit dem man das macht“, sagt sie mit einem tapferen Lächeln. Schließlich habe man das Ergebnis beispielsweise in Brandenburg verdreifacht. Und außerdem: In der außerparlamentarischen Opposition sei es eben nicht leicht. Stimmt. Doch in der Partei dürften nicht alle so entspannt reagieren. Vor allem über Sachsen hatte der ein oder andere in der Bundesspitze den Kopf geschüttelt: Holger Zastrow verzichtete im Wahlkampf auf die Hilfe aus der Berliner Parteizentrale und setzte lieber auf seine eigene Werbeagentur – der Erfolg ist überschaubar.

Insgesamt kämpft die Partei weiter mit ihrer Absage an die Jamaika-Koalition im Bund. Die Idee von Christian Lindner, in der Opposition das eigene Profil zu stärken, ist nicht aufgegangen. Auch einige der prominenten Zugänge der Bundestagsfraktion haben sich nicht wie erhofft entwickelt.

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