So kämpfen Buchhändler ums Überleben

von Redaktion

Der stationäre Buchhandel wird immer wieder totgesagt. Vor allem der Online-Handel macht ihm zu schaffen. Aber die Buchhändler kämpfen. Mit neuen Konzepten wollen sie die Kunden neu gewinnen. Sogar Modeschauen mit Büchern gibt es inzwischen.

VON LEYLA YILDIZ

München – Wer links am Münchner Rathaus vorbeischlendert, übersieht die Buchhandlung Lentner schon mal. Dabei haben die Bücher unter den neugotischen Bögen ein besonders schönes Zuhause. Auf einigen Werken sind kleine Aufkleber angebracht, liebevoll in Handschrift verfasste Empfehlungen. „Ein Jahrhundertbuch. Unbedingt lesen!“, steht etwa auf Arno Schmidts „Zettels Traum“. Es ist momentan das Lieblingsbuch von Franz Klug, 63. Klug ist Buchhändler und Geschäftsführer der Buchhandlung Lentner. Sie besteht seit 321 Jahren und ist die älteste noch existierende Buchhandlung Altbayerns.

So alte Buchhandlungen haben inzwischen Seltenheitswert, denn das Internet setzt dem Einzelhandel zu. Vor 20 Jahren zählte der Börsenverein des Deutschen Buchhandels noch 4847 Mitglieder, 2017 waren es noch 2844. Immer wieder ist von einem Sterben des stationären Handels die Rede. Aber der ist zäher als gedacht.

Klaus Beckschulte, Chef des Bayerischen Landesverbands des Börsenvereins, spricht von einem stetigen Wandel der Branche. Ein Trend sei, dass große Ketten wie Thalia, Rupprecht oder Osiander inhabergeführte Buchhandlungen aufkaufen. Weil viele Kinder den Laden der Eltern nicht übernehmen wollen, gibt es reichlich Übernahmekandidaten. In den Filialen der Ketten gibt es häufig ein Einheitssortiment, das sich leichter verkaufen lässt.

Der wahre Konkurrent heißt aber Internet. Laut Statistischem Bundesamt haben vergangenes Jahr 77 Prozent der Internetnutzer online eingekauft, 40 Prozent davon auch Bücher. Bücher zählen neben Technik, Sport und Freizeit, Lifestyle, Bekleidung und Medien zu den stärksten Online-Sparten.

Vor allem Amazon saugt Kunden ab wie ein Schwarzes Loch. Bei Büchern gebe es aber keinen Grund, bei Amazon zu kaufen, mahnt Beckschulte. Amazon nutze dieselbe Logistik wie Buchhandlungen. Bestellt ein Kunde beim örtlichen Buchhändler, hat er das Buch bei Lieferbarkeit meist am nächsten Tag. Möglich macht das System der Zwischenbuchhandel, also Buchgroßhändler, die alle gleich beliefern.

Für Beckschulte ist klar, dass der stationäre Händler heute einen Mehrwert bieten muss. Der Kunde will umworben werden und dem Buch im Alltag begegnen.

Verlage und Händler sind nicht untätig. Die Nürnberger Buchhandlung Ziegelstein zum Beispiel veranstaltet Modeschauen mit Büchern. Inhaber Fernando Corbelle, 45, kooperiert dabei mit lokalen Modeläden und einem Blumenladen. Mit den Bekleidungsstücken werden gleichzeitig ausgewählte Bücher präsentiert, womit ein Crossover-Effekt, wie es im Fachjargon heißt, erzielt wird. „Wir versuchen zu zeigen, wie vielfältig kombinierbar Bücher sind, und zum Beispiel Modeinteressierte oder Blumenliebhaber für Bücher zu begeistern – und umgekehrt“, erklärt Corbelle. Das Konzept funktioniere. „Bei uns wird nach den Modeschauen nachhaltig nach den präsentierten Büchern gefragt.“ Erst jüngst habe eine Frau, die lange nicht mehr gelesen habe, einen Stapel Bücher gekauft.

Die Buchhandlung Pustet hat in Regensburg vier Filialen, weitere sieben im Rest von Bayern, eine davon in Freising. Leiter aller Filialen ist Anton Neugirg, 52. „Damals gab es den Fernseher, Bücher und Zeitungen. Heute gibt es Bezahlsender – von Netflix bis Amazon Prime“, sagt er. Die ARD/ZDF-Online-Studie 2019 hat ergeben, dass der Deutsche im Schnitt 87 Minuten pro Tag mit medialen Inhalten wie Netflix oder Spotify verbringt. Das sind fünf Minuten mehr als 2018.

Neugirg setzt auf drei Dinge: Eine Buchhandlung mit angenehmem Ambiente, ein auf die Kundschaft abgestimmtes Sortiment – und drittens? „Der entscheidende Faktor ist, welche Leute in der Buchhandlung arbeiten. Ein Besuch in einer Buchhandlung ist ein zwischenmenschliches Erlebnis.“ Die Buchhandlung Pustet will sich zu einem kulturellen und gesellschaftlichen Treffpunkt entwickeln, indem sie Events wie Lesenächte für Erwachsene und Kinder oder auch Handarbeitsabende veranstaltet.

Gabriele Kellner, 61, ist Chefin von „Barbaras Bücherstube“ in Moosburg. Ihr Buchladen wurde heuer von Kunstminister Bernd Sibler zu Bayerns bester Buchhandlung gekürt. Was die Jury überzeugt hat? Laut Kellner ihr individuelles Sortiment, das auf die Nische Bilderbuch, hochwertige Belletristik sowie qualitative Kochbücher spezialisiert ist. Und ihre Leseförderung in Kindergärten und Schulen. Dort stellt Kellner Bücher vor. „Um die Menschen wieder mehr zum Lesen zu bewegen, muss man schon bei den Kindern anfangen“, sagt sie.

Laut einer aktuellen Studie der „Stiftung Lesen“ lesen 32 Prozent der deutschen Eltern ihren Kindern zu selten vor. Jedes dritte Kind habe Schwierigkeiten, lesen zu lernen. Das frustriere die Kinder. „Wenn ein Kind nicht liest“, sagt Gabriele Kellner, „hat es im späteren Leben einen geringeren Wortschatz, Defizite in der Rechtschreibung und ist weniger kreativ.“ Ihre Leseförderung trage Früchte. „Es kommen immer wieder Kinder mit ihren Eltern in den Laden und wollen ein vorgestelltes Buch kaufen.“

Kinder- und Jugendbücher sind Kellners Nische. Andere Warengruppen sind weggebrochen: Hörbuch, Religion, Ratgeber für Garten und Tiere, Länder-Bildbände. „Das ist hauptsächlich der Digitalisierung geschuldet“, sagt Kellner. Spotify und Audible würden das Hörbuch verdrängen, in Autos gebe es keine CD-Spieler mehr. Das Internet ist Tippgeber, Bildbände von Reisen werden selber gestaltet.

Gabriele Kellner weiß, dass es für den Buchhandel nicht leichter wird. Aber sie ist überzeugt: „Wer bereit ist, den Wandel mitzumachen, der wird in der Buchbranche eine Chance haben, zu überleben.“

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