München – Christian Metz, 50, Besitzer der Münchner „Engadin-Apotheke“, hamstert. Das sagt er auch ganz offen. Denn: Bestimmte Medikamente auf Lager zu haben, ist für ihn und seine Kollegen der einzige Weg, die Kunden zufriedenzustellen. „Wir nehmen alles, was wir kriegen“, erklärt er und öffnet dann eine Schublade. Hier lagert das Antidepressivum „Venlafaxin“. Im Moment ist diese Schublade randvoll – doch das ist die Ausnahme. „Wir haben seit Monaten eine massive Lücke in der Versorgung.“ Und: „Es spitzt sich immer mehr zu!“
Vor rund einem Jahr beschlossen er und Michael Franke, 54, die Apotheke zu kaufen. Davor arbeiteten beide in der Pharmaindustrie; Metz ist Apotheker, Franke Kaufmann. Nun stehen sie also auf der anderen Seite. Von der Versorgungsknappheit wussten sie – doch mit diesem Ausmaß haben beide nicht gerechnet.
Aktuell stark betroffen sind Psychopharmaka mit dem Arzneistoff „Venlafaxin“, der Menschen mit Depressionen verschrieben wird. „Ich habe gestern mit einer verzweifelten Patientin telefoniert“, erzählt Franke. Die Frau nimmt ihr Medikament seit Jahren, verträgt es gut. Doch wegen der Lieferengpässe muss sie nach Absprache mit dem Arzt auf ein anderes Mittel umsteigen. „Wir haben keine andere Wahl mehr“, sagt Franke.
Schon seit Monaten macht dieser Engpass die Mitarbeiter in der „Engadin-Apotheke“ ratlos. Während sie anfangs auf „Nachahmerpräparate“ ausweichen konnten, gehen auch diese zur Neige. „Das ist haarsträubend. Betroffene brauchen ein Medikament, um gut leben zu können!“, erklärt Metz.
Doch es geht nicht nur um Psychopharmaka. Auch diverse Bluthochdruckmittel stehen nicht immer zur Verfügung. „Einige Kunden nehmen seit Jahren das gleiche. Bei einem neuen Hersteller sehen Tablette und Packung anders aus. Da kommen viele ältere Patienten durcheinander“, sagt Metz. Besonders schwer sei es für Kunden, die mehrere Tabletten am Tag brauchen. „Da müssen wir aufpassen, dass keine Wechselwirkungen auftreten. Außerdem können wir nicht einfach die Dosierung oder den Wirkstoff umstellen, wenn was nicht lieferbar ist“, erklärt Otto Peters, Mitarbeiter der Engadin-Apotheke: „Jedes Mal müssen wir Rücksprache mit dem Arzt halten, was die Versorgung der Menschen hinauszögert.“
Ist ein Medikament nach Wochen wieder verfügbar, wird auf Vorrat bestellt – und gehamstert. Auf diese Idee kommen aber auch andere Apotheken. Das führt zu Zuständen, die Franke an einen Basar erinnern. Doch einen anderen Weg gibt es nicht. Peters sagt: „Wir gehen in Vorkasse und wissen nicht, ob der Arzt am Ende nicht was anderes verschreibt. Auch die Lagerkosten zahlt uns niemand.“ Ein finanzielles Risiko. Und: Kritisch werde es, wenn mehrere Kunden auf das gleiche Medikament warten – und nicht genug geliefert wird. „Wir müssen entscheiden, welcher Leidensdruck am höchsten ist. Das ist ein ethisches Dilemma.“
Die wenigsten Patienten sind über Rabattverträge oder Versorgungsknappheit aufgeklärt (siehe Text oben und Randspalte). Das stellt Metz und Peters täglich vor Probleme. „Wir müssen den Leuten alles erklären. Der Aufwand ist enorm“, sagt Metz. Und: Viele Patienten reagierten wütend, müssten beruhigt werden. „Wir sind oft die Prügelknaben.“ Aber: „Am Ende hat der Patient ein Problem, das niemand lösen kann.“ NATASCHA BERGER