Der Schlag kam mit voller Wucht

von Redaktion

Eine Stadt unter Schock: In Augsburg versammeln sich die Menschen, um des getöteten Feuerwehrmanns zu gedenken. Die Polizei gibt derweil Ermittlungsergebnisse bekannt: Es war ein einziger Schlag, der zum Tod des 49-Jährigen führte.

VON PHILLIP PLESCH UND STEFAN SESSLER

Augsburg – Bernd Gewinnholzer, 46, hat alles hautnah mitbekommen. Am Freitagabend sitzt er im McDonald’s am Königsplatz in Augsburg. Er weiß erst gar nicht recht, was los ist. Polizeiautos rasen in die Innenstadt, Rettungskräfte kommen, Polizisten riegeln den Bereich zwischen McDonald’s und der Deutsche-Bank-Filiale auf der anderen Straßenseite weiträumig ab, so erzählt er es. „Dann hat man einen lauten Schrei gehört“, sagt Gewinnholzer, der gleich ums Eck wohnt. „Es war die Frau des Verstorbenen.“ Die Frau des 49-jährigen Augsburger Feuerwehrmanns, der Freitagnacht infolge einer Prügelattacke verstarb, noch bevor er das Krankenhaus erreichte. Es ist ein Verbrechen, das Augsburg und das ganze Land erschüttert.

Gewinnholzer kommt auch an den folgenden Tagen immer wieder an die Unglücksstelle. Die Tat wühlt ihn auf. Montagfrüh deutet er Richtung Tatort und sagt: „Es regt mich auf, wenn ein Deutscher so etwas macht, und es regt mich auf, wenn ein Ausländer so etwas macht.“ Schnell hat sich eine politische Debatte rund um den Fall entzündet (siehe Seite 2). Zu diesem Zeitpunkt sind die beiden Haupttäter längst geschnappt. Bei dem 17-Jährigen, der den Feuerwehrmann attackiert hat, handelt es sich um einen Deutschen, der auch die türkische und die libanesische Staatsbürgerschaft besitzt. Sein Name: Halid S. „Sein Schlag kam mit voller Wucht und unvermittelt von der Seite und hat so zum Tode geführt“, wird der Chef der Kriminalpolizei später sagen.

Halid S. wird Totschlag und gefährliche Körperverletzung vorgeworfen. Insgesamt nimmt die Polizei sieben Verdächtige fest, Jugendliche und junge Männer im Alter von 17 bis 20 Jahre. Viele davon längst polizeibekannt wegen anderer Delikte. Den Ermittlern zufolge sind alle Verdächtige in Augsburg geboren, mehrere haben neben der deutschen noch die türkische Staatsangehörigkeit.

Am Montagmittag gibt die Polizei bei einer Pressekonferenz Details zum Tathergang bekannt. Der Augsburger Berufsfeuerwehrmann war am Freitagabend mit seiner Frau und einem befreundeten Paar auf dem Christkindlesmarkt unterwegs und danach in einem Restaurant. Auf dem Heimweg kamen die beiden Pärchen am Königsplatz vorbei, die Frauen liefen vorne, die Männer hinten. Plötzlich kam es zum Streit zwischen den Männern und den Jugendlichen. Der Auslöser ist noch unbekannt, sagte Gerhard Zintl, der Leiter der Augsburger Kriminalpolizei. „Aus irgendwelchen Gründen hat sich das Opfer umgedreht, ist auf die Gruppe zugegangen.“

Der 49-Jährige hat sich nicht als Feuerwehrmann zu erkennen gegeben, allerdings habe er sich „regelkonform“ verhalten, sagte der Kripo-Chef. Das spätere Todesopfer wurde von der Tätergruppe umringt, dann schlug Halid S. zu. Der Feuerwehrmann fiel sofort zu Boden. Spätere Wiederbelebungsversuche scheiterten.

Ein Mann lag schon am Boden, doch die Täter machten weiter. Sie attackierten den anderen Mann, der seinem Bekannten helfen wollte. Der 50-Jährige liegt inzwischen mit schweren Gesichtsverletzungen im Krankenhaus. „Der ganze Handlungsablauf hat wenige Sekunden gedauert“, sagte Zintl. Den Frauen passierte nichts.

Um 22.43 Uhr ging der erste Notruf ein, wenige Augenblicke später war die erste Streife vor Ort. Aber die Täter waren längst geflüchtet. Zum Verhängnis wurde ihnen, dass die Tat per Überwachungskameras aufgezeichnet wurde. Sie hängen seit 2018 am Königsplatz. Die Bilder haben die Fahndung extrem erleichtert. Einen entscheidenden Tipp haben die Ermittler dann in einem Augsburger Club bekommen. Die Polizisten haben sich das ganze Wochenende über in der Partyszene nach den Tätern umgehört. Den sechs Mittätern wird Beihilfe zum Totschlag und gemeinschaftlich begangene Körperverletzung vorgeworfen. Die Gruppe war am Tatabend in der Innenstadt unterwegs. Die jungen Männer hatten, heißt es, Pappbecher mit alkoholischen Getränken dabei.

Auf der Pressekonferenz in Augsburg wehrte sich Polizeipräsident Michael Schwald gegen „unerträgliche Anfeindung in den sozialen Medien“. Zuletzt hat es immer wieder Kritik an der Öffentlichkeitsarbeit der Polizei gegeben, etwa weil nicht sofort Fotos der Täter veröffentlicht wurden. „Ich möchte versichern, dass wir überhaupt nichts zu verheimlichen oder zu vertuschen haben“, sagte der Polizeichef. Er bat um Verständnis, dass aus ermittlungstaktischen Gründen nicht sofort jede Info an die Öffentlichkeit gelangen kann.

Auch am Montag, dem dritten Morgen nach der Tat, sammeln sich viele Augsburger in der Nähe des Tatorts. Ein kalter Wind weht über den zentral gelegenen „Kö“, so nennen die Einheimischen den Königsplatz. Als eine Windböe die Kerzen umweht, stellen einige Trauernde sie sofort wieder auf. Manche Leute kommen am Montagmorgen gezielt an die Gedenkstelle, andere halten im Vorbeilaufen kurz inne. Wieder andere fragen, was denn passiert sei und erfahren erst dann von der unfassbaren Tat.

Vasslla Alic, 63, legt eine Rose auf die steinerne Begrenzung um den Baum. „Man muss herkommen“, sagt sie. „Ich fühle es einfach so.“ Die Betroffenheit ist groß. „Es ist ein komisches Gefühl, wenn das quasi vor der Haustür passiert“, sagt Alic. „Man muss sich mal in die Lage der Frau versetzen. Die wollten doch nur einen schönen Abend zusammen verbringen.“

Geschockt zeigt sich auch Markus Hofstätter, 52. „Vor 30 Jahren hätte ich mir das nicht vorstellen können“, sagt er. „Ich fühle mich nicht mehr sicher.“ Der Augsburger ist wütend. „Wie geht so etwas? Wie kann ein Jugendlicher so etwas machen?“ Damit ist er nicht alleine. Viele Einheimische diskutieren noch am Gedenkort angeregt. Melanie Schneip, 46, fordert, den Täter lebenslang wegzusperren – egal, wie alt er sei. Andererseits lobt sie den schnellen Erfolg der Polizei, die alle Verdächtigen fassen konnte. „Das stärkt wieder das Vertrauen, das ich in die Polizei fast verloren hatte“, sagt sie. Als zwei Beamte an der Gedenkstelle vorbeikommen, sagt sie ihnen das auch gleich persönlich.

Ein Stück weiter vorne kann man die Zettel lesen, die die Menschen hingelegt haben. Auf einem Blatt, das von Folie geschützt an den Baum gebunden ist, steht: „pöbeln, randalieren, zuschlagen! Umbringen als Höhepunkt in Versagerkarrieren!!“ Auf einem anderen steht: „Warum töten Kinder?“ Es ist eine wilde Mischung aus Wut und Trauer. Auf wieder einem anderen Zettel steht: „Augsburg trauert um einen seiner Helden“. Es ist eine der wenigen unumstößlichen Wahrheiten in diesen traurigen Tagen.

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