„Die Eltern müssen ein Vorbild sein“

von Redaktion

4 FRAGEN AN

Sabine Nützel ist Diplom-Psychologin und Leiterin des Fachdienstes Kinder, Jugend und Familie der Caritas Berchtesgadener Land.

Warum laufen manche Kinder aus dem Ruder?

Das können individuelle Gründe des Kindes sein, familiäre Probleme oder Einflüsse von Gleichaltrigen. Gerade in der Pubertät nehmen Jugendliche viel von Gleichaltrigen an und weniger von den Eltern. Begünstigend wirken auch das inflationäre Zeigen und Konsumieren von Gewalt im Internet und der unrealistische Umgang miteinander in sozialen Netzwerken. Wenn Kinder mit 14 Jahren erstmals vor Gericht landen, ist vorher oft schon vieles passiert. Häufig waren sie schulisch auffällig, besonders unruhig, sozial schwierig und nicht integriert. Vieles deutet sich vorher an.

Sind Kinder aus sozial schwachen Familien besonders gefährdet?

Es gibt Kinder aus sozial schwachen wie auch gutbürgerlichen Familien, die Probleme haben. Es gibt gut behütete Kinder, die auf die schiefe Bahn geraten, und nicht gut behütete, die dadurch selbstständiger werden. Man muss den Einzelfall betrachten. Übrigens fallen heute viel weniger Kinder durchs Raster als früher. Die Zahl schwerer Gewalttaten hat abgenommen. Es gibt viele Hilfemaßnahmen wie Erziehungsberatungsstellen, Jugendsozialarbeit an Schulen. Das hat Wirkung gezeigt. Klar ist aber auch: Es gibt immer einen kleinen Prozentsatz, wo all das nicht greift, wo Kinder trotzdem aus dem Ruder laufen. Hier muss man versuchen, die negativen Folgen möglichst klein zu halten.

Sind die Probleme bei Familien mit Migrationshintergrund größer?

Bei Jugendlichen spielt die Vorbildstruktur eine Rolle. Wenn in Familien Gewalt ein Mittel der Kommunikation ist, tendieren Kinder dazu, das auch zu ihrem Mittel der Kommunikation zu machen. Richtig ist, dass Familien mit Migrationshintergrund oft andere Erziehungsstile pflegen, zu denen vielleicht auch Schläge zählen. Unsere Aufgabe ist, diesen Familien deutlich zu signalisieren, dass Gewalt eine Straftat ist – innerhalb und außerhalb der Familie.

Wo sehen Sie noch Lücken im Hilfenetz?

Bei Jugendlichen, die gerade aus der Schule raus sind und nicht in ein normales Leben finden. Laut Gesetz sind sie erwachsen, die Eltern haben keinen Zugriff mehr und keiner sagt ihnen, was sie mit ihrem Leben anfangen sollen. Plötzlich ist niemand mehr zuständig. Solange sie nicht straffällig werden, fallen sie gesellschaftlich vielleicht nicht auf, aber es geht ihnen nicht gut. Das sind nur wenige, aber damit müssen wir uns beschäftigen.

Interview: Wolfgang Hauskrecht

Artikel 4 von 4