München – Wird künftig jeder automatisch Organspender –oder bleibt fast alles wie bisher? Am Donnerstag fällt im Bundestag die Entscheidung. Der Graben zieht sich quer durch die Parteien, weswegen ohne Fraktionszwang abgestimmt wird. Bisher scheint die Widerspruchslösung von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) die Nase leicht vorne zu haben, aber viele Abgeordnete haben sich noch nicht abschließend erklärt. Es wird also spannend.
Spahn will die sogenannte „Doppelte Widerspruchslösung“. Jeder Deutsche ab 16 Jahre wäre dann automatisch Spender – außer er widerspricht. In einem zentralen Register sollen Zustimmung oder Ablehnung hinterlegt und jederzeit geändert werden können. Doppelter Widerspruch deshalb, weil Angehörige nach dem Ableben eines Spenders befragt werden sollen, ob „ein schriftlicher Widerspruch oder ein der Organ- und Gewebeentnahme entgegenstehender Wille“ des Toten bekannt ist. Auch SPD-Experte Karl Lauterbach unterstützt die Widerspruchslösung.
Dem steht die Gruppe um Grünen-Chefin Annalena Baerbock gegenüber, die die jetzige Regelung, die sogenannte Entscheidungslösung, modifiziert behalten will. Die Gruppe, die auch der Münchner Bundestagsabgeordnete Stephan Pilsinger (CSU) unterstützt, schlägt vor, den Spenderwillen öfter aktiv abzufragen, zum Beispiel beim Arztbesuch oder im Passamt, um die Menschen regelmäßig mit dem Thema zu konfrontieren. Diese Lösung favorisieren auch Linke-Vorsitzende Katja Kipping und FDP-Chef Christian Lindner.
In Briefen an die Abgeordneten werben beide Seiten gerade noch einmal für ihre Position. Spahn erhofft sich einen kulturellen Wandel. „Aktiv müssten nicht mehr diejenigen werden, die das wollen, sondern die, die für sich entscheiden, dass sie nicht Organspender werden“, sagte er dem Tagesspiegel am Wochenende. Das sei gelebte Nächstenliebe. Die Baerbock-Gruppe lehnt eine fiktive Zustimmung ab. „Ein solches Verfahren lädt zu Misstrauen und weiteren Ängsten ein und schadet so dem Vertrauen in das Organspendesystem“, sagte Linke-Chefin Katja Kipping der Bild am Sonntag. Es müsse bei einer bewussten und informierten Zustimmung bleiben.
Folgt man den vielen Umfragen, ist eine klare Mehrheit der Deutschen für Organspenden, vor allem junge Leute. So gaben 84 Prozent bei einer Umfrage im Auftrag der Techniker Krankenkasse an, Organspenden positiv zu sehen. Aber: Nur 37 Prozent der Befragten hatten selber einen Ausweis, der die Organentnahme erlaubt. Die Frage, ob Widerspruch oder aktive Entscheidung, scheint bei den Bürgern ebenso umstritten wie im Bundestag. Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Kantar ergab ein Patt: jeweils 49 Prozent Zustimmung.
Klar ist, dass es in Deutschland an Organen fehlt. Ende 2018 warteten laut Deutscher Stiftung Organtransplantation (DSO) 9400 Menschen auf ein Organ. Dem stehen 3100 Organe von 955 Spendern gegenüber. Viele Patienten spenden mehrere Organe. Bei der Spenderrate ist Deutschland in Westeuropa trauriges Schlusslicht. Die Wartezeit auf eine Niere beträgt laut DSO fast zehn Jahre. In Deutschland kamen 2018 auf eine Million Einwohner 11,5 Spender – in Spanien, dem Spitzenreiter in Europa, waren es 48. In Spanien gilt eine Widerspruchsregelung. wha