Markt Indersdorf: Eine Gemeinde auf der Überholspur

von Redaktion

Markt Indersdorf – Heimatliebe kann man lernen, besingen – oder man kann sie in Flaschen füllen. So macht es Tobias Socher, 41 Jahre alt und Braumeister. Er steht in seiner Mini-Brauerei, die Tobiasbräu heißt, und erzählt, warum er grad alle Hände voll zu tun hat. „Wir feiern heuer 900 Jahre Kloster Indersdorf – und i brau das Festbier. A Helles, das a bisserl stärker ist. 5,8 Prozent“, sagt der Braumeister, der hauptberuflich bei Spaten in München arbeitet. Er ist in Markt Indersdorf geboren. „Es gibt ois wie in der Stadt auch – und es hat doch noch einen dörflichen Charakter“, sagt er. „Obwohl wir viele Menschen sind.“

Seine Heimat brummt, nirgends wächst Bayern gerade schneller als im Landkreis Dachau. In zwanzig Jahren werden schätzungsweise rund 20 000 Menschen mehr in der Region leben. Mittendrin: Indersdorf, die Perle an der Glonn. Socher sagt: „Es ist einfach schee hier.“ Eine kleine Auswahl an Dingen, die es in der Marktgemeinde 40 Kilometer nordwestlich von München gibt: 10 826 Einwohner, die S-Bahn, sieben Supermärkte, ein Krankenhaus, ein Gymnasium, ein berühmtes Volksfest, eine Realschule im Kloster, Ortsteile mit schönen Namen wie Aberl, Erl, Kattalaich oder Obergeiersberg.

Außerdem gibt es Menschen wie Tobias Socher, die sensationelle Ideen haben. Sochers Idee funktioniert in Kurzform so: vier Kinder zeugen und vier Biere brauen. Für seinen erstgeborenen Sohn Quirin hat er den Quirinator gebraut, einen dunklen Doppelbock. Für Benedikt den Bene-Bock, ein helles Bockbier. Für seine Tochter Theresa ein Helles, das er „Reserl“ getauft hat. Und seit einiger Zeit gibt es das Vroni-Weißbier, benannt nach der jüngsten Tochter. „Ein neues Bier geht inzwischen auch ohne neue Kinder“, sagt Socher und lacht. Deswegen kann er das neuartige Bier für die 900-Jahr-Feier problemlos brauen, ohne die Familie zu erweitern.

In Indersdorf klappt der Spagat anscheinend. Der Ort wächst – und er bleibt sich irgendwie treu. Aber natürlich hat Wachstum Schattenseiten: „A Haus mit a bisserl a Garten, da brauchst unter einer Million nicht anfangen“, sagt der Brauer. „Und die S-Bahn wird auch immer voller.“ Sorgen? Ja, aber welche, von denen Menschen in anderen Regionen nur träumen können. Vollbeschäftigungssorgen. Speckgürtelsorgen.

Aber schauen wir uns den Ort weiter an. Bei der Volksbank im Fenster hängen Immobilienangebote – ein Haus mit 200 Quadratmeter Wohnfläche, Whirlpool und Ankleidezimmer kostet 995 000 Euro. Schnäppchen gibt’s schon lange nicht mehr. Moderne Miet-Wohnungen werden gerade für bis zu 16 Euro pro Quadratmeter angeboten.

Ein paar Meter weiter sitzt der ehemalige Realschulrektor Anton Wagatha, 68, im Augustiner Chorherrenmuseum. Er ist der Vorsitzende des Heimatvereins, er kennt fast jeden, fast jeder kennt ihn. „Wir sind die eigentliche Hauptstadt im Landkreis“, sagt er. „Für den Satz lynchen mich die Dachauer – aber das halte ich aus.“ Er schwärmt von den kurzen Wegen in die Natur, vom Kloster, das für 27 Millionen Euro aufgehübscht wurde, von den Vereinen. „Wir sind ein Anziehungspunkt“, sagt er. Früher war der Ort landwirtschaftlich geprägt. „Mir fallen im Moment grad noch drei Bauernhöfe ein“, sagt Wagatha, der selbst vor langer Zeit von München hierhergezogen ist. Indersdorf, die Insel der seligen Bayern? „Ja“, sagt er. Trotzdem hat er Wünsche: „Es wäre schön, wenn unsere Fußballer in der Bezirksliga spielen würden.“ Momentan sind sie Letzter in der Kreisliga. „Und wir brauchen wieder ein bayerisches Wirtshaus“, sagt Wagatha. Das gibt es im Hauptort gerade nicht. Dafür haben sie einen Thailänder, einen Griechen, einen Inder und mehrere Italiener.

Franz Obesser, 50, ist der Bürgermeister von Indersdorf. Er sitzt im Rathaus im Büro. „Wir sind interessant für junge Familien und Familiengründer“, sagt er. „Aber das Wachstum einer ganzen Region spürt man auf der Straße als Erstes.“ Die viel befahrene Kreisstraße geht direkt am Kloster vorbei. „Wenn ich einen Wunsch frei hätte, dann würde ich mir eine Verlegung der Straße wünschen.“ Auch das: Luxussorgen im Vergleich zu seinen Amtskollegen in Kronach oder anderswo. Außerdem hat Obesser bald einen besonders schönen Termin. Er darf das Festbier von Braumeister Socher als Erstes verkosten. Der CSU-Bürgermeister sagt: „Das gehört schon immer zu Indersdorf: arbeiten und feiern.“

Markt Indersdorf ist kein Paradies, aber wenn die S-Bahn jetzt noch einen 20-Minuten-Takt bekommt und die Kicker das Kicken lernen, dann ist der Weg dorthin nicht mehr allzu weit. STEFAN SESSLER

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