Die Stromrebellen aus Fuchstal

von Redaktion

Das gab es noch nie: Eine kleine oberbayerische Gemeinde bietet künftig ökologischen Regionalstrom an – und macht damit den Konzernen Konkurrenz. Fuchstal bei Landsberg treibt mit „FuXstrom“ die Energiewende vor Ort an.

VON KLAUS MERGEL

Fuchstal – Die Verrückten im Fuchstaler Rathaus. So nennen sie sich selbst, und vermutlich tun das auch andere. „Die im Gemeinderat meinten: Sollen die zwei Spinner sich doch ruhig noch mehr Arbeit ins Haus holen“, erzählt Bürgermeister Erwin Karg. „Aber sie lassen uns machen“, ergänzt Kämmerer Gerhard Schmid. Andere Gemeinden, sagt Karg, verlegten Wasserleitungen und bauten Kindergärten. „Machen wir schon auch.“ Aber die beiden machen noch was anderes: Ab 2020 bietet Fuchstal regionalen Strom an. In Eigenregie ökologisch produziert, versteht sich. Das ist neu.

„FuXstrom“ soll das Baby heißen. Klingt witzig. „Und wir haben auch einen Riesenspaß dran“, sagt Schmid. Auch das ist eines der Ziele: Den Bürgern zeigen, „dass die Energiewende Spaß macht – und man Geld damit verdienen kann“. Über „FuXstrom“ kann man künftig Strom von der Gemeinde beziehen, die mit eigenen Windkraft- und Photovoltaikanlagen auch der Erzeuger ist. Die Kunden bekommen den Strom unter dem Preis des Grundanbieters, verspricht Karg. Es soll sogar ein Wechselbonus drin sein. Wie das geht? „Wir haben eine schlanke Verwaltung und verzichten auf Gewinne“, sagt Karg. Das Angebot wird nur im Gemeindebereich und im mitverwalteten Unterdießen gelten, weil „sonst Regionalstrom ja keinen Sinn macht“, wie der Bürgermeister findet.

Fuchstal, mit den Teilgemeinden Asch, Seestal und dem Markt Leeder, hat 3900 Einwohner und liegt idyllisch am südwestlichen Ende des Landkreises Landsberg. Seit 2002 ist Erwin Karg hier Bürgermeister. Ein Mannsbild mit Präsenz, flinker Zunge und polterndem Witz. Der 55-Jährige stammt aus einer CSU-Familie, ist selbst aber parteilos – und ein Verfechter von regenerativer Energie.

Sein Geschäftsstellenleiter und Bruder im Geiste: Gerhard Schmid, 47, CSU. Ein versierter Kenner des Kommunalrechts, beim Thema Fördermöglichkeiten ein Fuchs. Auch Schmid lacht gerne herzhaft, mit seinem Humor eckt er in seiner Heimatgemeinde Apfeldorf gelegentlich an: Dort ist er Zweiter Bürgermeister und will 2020 Gemeindechef werden.

Der Dritte im Bunde ist Robert Sing, 42. Der Ingenieur und Windkraftexperte aus Landsberg betreut mit seinem Büro seit 2012 Projekte der erneuerbaren Energie.

2011, nach der Reaktorkatastrophe in Fukushima, fing alles an. Horst Seehofer verkündete, man brauche 1500 Windräder in Bayern. Es dauerte nicht lange, da klopften die ersten Investoren bis aus England an die Fuchstaler Rathaustür. „Da haben wir uns gedacht: Das machen wir selbst“, sagt Schmid. Kein leichtes Unterfangen: Windkraftgegner haben in Bayern schon so manche Anlage verhindert. Doch die Fuchstaler überzeugten ihre Bürger.

Seit 2016 betreibt eine Bürgerbeteiligungsgesellschaft vier Windkraftwerke: 49 Prozent hält die Gemeinde, 51 Prozent Gesellschafter, darunter Bürger, aber auch Unternehmen wie die Stadtwerke Bad Tölz. Die Anlagen stehen einige Kilometer südlich auf Pachtgrund im Bayerischen Staatsforst, in einem 2000 Hektar großen Waldgebiet. Die Räder haben eine Leistung von 12 Megawatt, erzeugen im Jahr 24 Millionen Kilowattstunden Strom. Hinzu kamen 2013 und 2017 zwei kommunale Photovoltaikanlagen mit 1,2 Megawatt Leistung und eine weitere in Unterdießen mit 0,6 Megawatt. Eine Biogasanlage eines Unternehmers wurde ins Energiekonzept integriert: Die Abwärme daraus wird ins Fernwärmenetz von Fuchstal eingespeist. Unterm Strich stehen insgesamt gut 24,3 Millionen Kilowattstunden pro Jahr. Nicht übel für ein Dorf. So viel verbrauchen etwa 7000 Vierpersonenhaushalte. 21 Millionen Euro wurden in den Windpark investiert, 6,5 Millionen Euro Eigenkapital brachten Bürger und Gemeinde ein.

Seit dem ersten Jahr verdient der Bürgerwindpark Geld – mehr als prognostiziert. Für die Gesellschafter hat sich das rentiert: Jährlich schüttet die GmbH bisher durchschnittlich sechs Prozent Rendite aus. Bis 2026 sollen alle Schulden bezahlt und Rücklagen für den Rückbau vorhanden sein. Für 20 Jahre bekommen die Fuchstaler die EEG-Vergütung, also den vom Staat geförderten Garantiepreis. „Was in 20 Jahren ist, kann man jetzt ohnehin nicht sagen“, sagt Schmid.

Davon, selber auch Anbieter zu werden, war anfangs nicht die Rede. Die Idee kam nach der Inbetriebnahme auf: Warum nicht selbst Regionalstrom verkaufen? „So wie mit den Eiern und der Mich – die kauft man auch vom Bauern nebenan“, sagt Karg.

Regionalstrom liegt im Trend. Das Allgäuer Überlandwerk in Kempten oder das Grünstromwerk in Hamburg bieten regional begrenzte Öko-Stromprodukte an, bei denen sich Kunden mit ihren Photovoltaikanlagen zu einem guten Abnahmepreis beteiligen. Das Ziel: Die lokalen Akteure stärken, das Geld in der Region in nachhaltige Projekte investieren und den Graustrom-Anteil – also unbekannter Herkunft – im Netz verringern. So könnten am Ende auch umstrittene Stromtrassen auf ein nötiges Minimum reduziert werden.

Der Trend bringt auch volkswirtschaftliche Vorteile. Laut Jahresbericht 2018 des Vereins AG Energiebilanzen werden pro Jahr fossile Energieträger für 68 Milliarden Euro aus dem Ausland importiert. „Das sind pro Bundesbürger 2,25 Euro täglich. Geld, das in die Taschen von Ölscheichs, Gaszaren und Kohlekonzernen fließt“, sagt Sing. Durch Regionalstrom kommt das Geld eher den Menschen vor Ort zugute.

Viele Abende grübelten und diskutierten die „Verrückten“ im Fuchstaler Rathaus. Denn um Strom zu jeder Zeit zur Verfügung zu stellen, muss man zu Hauptlastzeiten liefern können – das muss man im Kreuz haben. Wenn viele Kunden zur selben Zeit viel Strom verbrauchen: zum Beispiel am frühen Abend im Winter, wenn geheizt, gewaschen und gekocht wird und das E-Auto an der Ladestation hängt.

Um das Problem zu lösen, bauen die Fuchstaler derzeit eine Speicheranlage. Batterien mit drei bis vier Megawattstunden Kapazität speichern künftig überschüssigen Strom, um Schwankungen auszugleichen. Dazu kommt ein Wärmespeicher, der die Abwärme der Biogasanlage und eines örtlichen Holzpellet-Produzenten aufnimmt. Und eine Power-to-Heat-Anlage, die wie ein Tauchsieder überschüssigen Strom in Wärme umwandelt, die ins örtliche Fernwärmenetz fließt. Außerdem sind drei weitere Windräder mit einer Leistung von rund 13 Megawatt in Planung. Bis Ende 2020 soll davon schon einiges realisiert sein. Das Bundesumweltministerium fördert das Projekt mit dem Titel „Energiezukunft Fuchstal“ mit drei Millionen Euro.

FuXstrom bringt auch viel Verwaltungsarbeit mit sich. „Wir vom Rathaus werden sicher nicht bei unseren Kunden Strom ablesen und Geld kassieren“, sagt Bürgermeister Karg. Hier holten sich die Fuchstaler Unterstützung bei der Firma BürgerGrünStrom aus Mittelfranken, die den Stromvertrieb und die Kundenbetreuung übernimmt.

Die Idee des eigenen regionalen Stromtarifs kommt bei den Bürgern gut an. Auch Behörden und Ministerien reagieren positiv. „Die Welt werden wir Fuchstaler nicht retten. Aber wir können zeigen, dass auch eine kleine Kommune eine Menge für das Klima tun kann“, sagt Bürgermeister Erwin Karg. Und das klingt gar nicht so verrückt.

FuXstrom soll sogar

billiger sein

Bürgerwindpark

bringt gute Zinsen

Stromspeicheranlage

ist schon im Bau

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