So kam das Virus nach Oberbayern

von Redaktion

Deutschland hat die ersten vier Corona-Fälle: Ein Mann, der im Landkreis Starnberg arbeitet, hat sich bei einer Chinesin mit dem Virus angesteckt. Drei weitere Kollegen haben sich ebenfalls angesteckt.

VON SEBASTIAN HORSCH

München – Für Melanie Huml war es eine recht kurze Nacht. Am Vorabend gegen 20.30 Uhr hat Bayerns Gesundheitsministerin erfahren, dass Deutschlands erster Coronavirus-Fall in ihre Zuständigkeit fällt. 14 Stunden und etliche Krisengespräche später sitzt sie nun vor der versammelten Presse und schildert eine Lage, die sie „sehr ernst“ nehme. Man sei aber gut vorbereitet. Und dem Patienten gehe es gut.

Der Mann, um den sich seit gestern Deutschland sorgt, ist 33 Jahre alt, lebt in Kaufering (Landkreis Landsberg/Lech) und arbeitet in Stockdorf im Landkreis Starnberg für den Autozulieferer Webasto. Dort hat er sich offenbar auch mit dem Virus angesteckt, das derzeit die ganz Welt beschäftigt. Und zwar so:

Eine Woche vor der gestrigen Pressekonferenz saß der 33-Jährige bei Webasto in einer Besprechung mit einer kleineren Gruppe Kollegen. Weil die Firma auch in China zwei Werke unterhält, war eine Chinesin dabei, die aus Shanghai angereist war. Die Frau hatte daheim – fünf Tage vor dem Termin – Besuch von ihren Eltern aus der Region Wuhan erhalten, wo derzeit das Coronavirus grassiert. Nach dem Treffen in Stockdorf gingen zunächst alle augenscheinlich gesund auseinander. Die Chinesin reiste zwei Tage später wieder zurück nach Shanghai. Schon auf dem Heimflug fühlte sie sich krank. Zuhause ging sie zum Arzt und wurde auf das Virus getestet. Das Ergebnis war positiv.

Bei Webasto in Stockdorf erfuhren sie vorgestern von der Erkrankung ihrer Kollegin. Die Firma informierte daraufhin das Gesundheitsamt und alle Mitarbeiter, die mit der Chinesin in Kontakt waren – also auch den 33-Jährigen, der sich am Wochenende bereits grippig gefühlt hatte. Am Montag war er zwar wieder zur Arbeit erschienen, trotzdem ließ er sich untersuchen. Am Abend lag das Ergebnis vor – positiv. Ministerin Huml wurde informiert und auch Andreas Zapf hinzugezogen, der Leiter des Bayerischen Landesamts für Gesundheit (LGL).

Der 33-Jährige wird seither in einem Unterdruckzimmer im Klinikum Schwabing isoliert und überwacht. Wer zu ihm will, muss durch eine Schleuse. Sein Zustand hat sich seit Montag nicht verschlechtert. „Er ist wach, ansprechbar. Ich würde auch das Statement wagen, dass er außer Lebensgefahr ist“, sagt Chefarzt Clemens Wendtner. Und trotzdem tickt die Uhr.

Gestern Abend wurde bekannt, dass sich drei weitere Kollegen des 33-Jährigen ebenfalls mit dem Virus angesteckt haben. Sie wurden auch in der Schwabinger Klinik aufgenommen.

„Von zentraler Bedeutung ist jetzt die Ermittlung von Kontaktpersonen“, sagt Zapf. Es geht darum, dass die Schulungsteilnehmer, die Familie des 33-Jährigen und alle anderen, die mit den Infizierten zu tun hatten, niemand weiteren mehr anstecken. Bis gestern wurden etwa 40 Personen ermittelt, die engen Kontakt zu den Erkrankten hatten. Die Firma Webasto teilte am Abend mit, die Firmenzentrale bis Sonntag zu schöließen.

Und was ist mit Zufallskontakten? Zapf sagt, es lässt sich nicht ermitteln, wen die Chinesin möglicherweise getroffen hat – „wenn sie mit der Straßenbahn oder auf der Straße unterwegs war“. Allerdings hält er das Risiko für gering, sich bei einem kurzfristigen Kontakt anzustecken.

Warum, das erklärt Martin Hoch, der Leiter der „bayerischen Task Force Infektiologie“: Die Ansteckungsgefahr durch eine Tröpfcheninfektion sei „bei längerem Face-to-Face-Kontakt“ am höchsten – also wenn sich zwei Gesichter zum Beispiel bei einem persönlichen Gespräch mehrere Minuten lang nahe sind. Ein kurzer Kontakt mit einer Fremden würde demnach vermutlich nicht ausreichen. Noch sind aber viele Fragen offen.

Neu an dem bayerischen Fall ist laut Hoch, dass der Patient von einer Frau angesteckt wurde, die selbst noch keine Symptome verspürt hat. Dazu kommt, dass sich der erkrankte 33-Jährige bereits auf dem Weg der Besserung befand, als seine Infektion festgestellt wurde. Hätte sich die Chinesin nach ihrer Diagnose also nicht in Deutschland gemeldet, wäre er wohl gar nicht zum Arzt gegangen. Es stellt sich somit die Frage: Könnte es Erkrankte geben, die gar nichts von ihrer Infektion wissen, weil ihre Symptome bereits abgeklungen sind? „Die Möglichkeit besteht“, sagt LGL-Chef Zapf. In Bayern hält er diese Gefahr aber für eher gering.

Die größere Bedrohung scheint man derzeit noch außerhalb Deutschlands zu vermuten. „Wir beraten mit dem Bund auch weitere Maßnahmen, zum Beispiel ob es sinnvoll sein kann, an Flughäfen Fieber zu messen“, sagt Gesundheitsministerin Huml gestern. Derzeit hält man das noch nicht für nötig. Allerdings werden Passagiere am Münchner Flughafen über Plakate auch in chinesischer Sprache auf eine Telefonnummer hingewiesen, die sie wählen sollen, wenn sie Symptome feststellen. Zudem müssen die Piloten von Flügen aus China den Tower über den Gesundheitszustand ihrer Passagiere informieren. Die Reisenden selbst müssen Formulare zu ihrem Befinden ausfüllen. So will man weitere Einreisen Erkrankter verhindern.

Weltweit sind bislang vier Fälle bekannt, in denen sich außerhalb Chinas ein Mensch bei einem anderen angesteckt hat – das geschah in Japan, Vietnam und Taiwan. Und vor acht Tagen in Stockdorf, mindestens vier Mal.

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