Der Sturz der grauen Eminenz

von Redaktion

Georg Gänswein ist der engste Vertraute von Benedikt XVI. und Protokollchef von Franziskus. Jetzt hat der Papst aus Argentinien den Deutschen fallen lassen. Dahinter steckt ein erbitterter Machtkampf im Vatikan.

VON CLAUDIA MÖLLERS

Vatikanstadt – Seit 15 Jahren ist er das charmante Gesicht des Vatikans in der Öffentlichkeit. Ob Queen Elizabeth II. den Papst besucht oder US-Präsident Donald Trump: Georg Gänswein, 63, deutscher Kurienerzbischof aus dem Schwarzwald, ist mit seinem Lächeln auf vielen Fotos im Hintergrund zu sehen. Als Präfekt des Päpstlichen Hauses koordinierte er alle Staatsbesuche – und zwar für den deutschen Papst Benedikt XVI. ebenso wie seit 2013 für dessen Nachfolger Franziskus.

Seit einigen Wochen aber ist der früher in bunten Gazetten gerne als „George Clooney“ des Vatikans bezeichnete Gänswein von der Bildfläche verschwunden. Vatikan-Berichterstatter wunderten sich bereits, stellten Fragen. Gestern nun, am allwöchentlichen Audienztag in Rom, kam die Antwort mit einem Donnerschlag: Papst Franziskus hat den deutschen Erzbischof auf unbestimmte Zeit beurlaubt.

Die in Würzburg ansässige „Deutsche Tagespost“, ein Kampfblatt der konservativen Katholiken mit engsten Beziehungen zu Gänswein, und italienische Medien meldeten übereinstimmend, dass der 63-Jährige freigestellt sei, „um mehr Zeit Benedikt XVI. widmen zu können“. Denn Gänswein ist nicht nur für den Ablauf der öffentlichen Audienzen des amtierenden Papstes verantwortlich, sondern zugleich Privatsekretär des emeritierten Papstes (92), der sich in ein ehemaliges Kloster im Vatikan zurückgezogen hat.

Am Nachmittag bestätigte die vatikanische Pressestelle der Katholischen Nachrichtenagentur (kna), dass sich Gänswein bis auf Weiteres auf seine Aufgabe als Privatsekretär des emeritierten Papstes Benedikt XVI. „konzentrieren“ werde. Die Tatsache, dass er seit einigen Wochen nicht mehr wie üblich bei Papstaudienzen zu sehen sei, beruhe auf einer „normalen Umverteilung der verschiedenen Aufgaben und Funktionen“. Dazu gehöre „wie bekannt auch die Rolle des Privatsekretärs des emeritierten Papstes“. Von einer Entlassung sei nichts bekannt, heißt es in der Antwort.

Doch diese überraschende Personalentscheidung ist weit mehr als eine Fürsorge für den immer gebrechlicher werdenden Benedikt und wird von Vatikanbeobachtern als „Abschied auf Raten“ gewertet. Sie ist offenbar der Endpunkt einer seit Langem wachsenden Verärgerung über Gänswein. Dabei soll es vor allem darum gegangen sein, so urteilen Vaticanisti, dass es trotz des „Schweigeversprechens“ von Benedikt immer wieder Äußerungen des ehemaligen Papstes in Artikeln oder Briefen gab, in denen der Emeritus vor allem eine Aufweichung der Zölibatspflicht für Priester als großes Unheil für die Kirche beschreibt.

Höhepunkt war im Januar die Veröffentlichung eines Buches mit dem Titel „Aus den Tiefen unserer Herzen“, bei dem Benedikt zusammen mit dem konservativen Kardinal Robert Sarah vor der Aufgabe der Ehelosigkeit von Priestern warnt. Das konnte nur als ein Affront gegenüber Franziskus gewertet werden. Die Aufmachung des Buches mit Benedikt im Papstgewand auf dem Titel, das kurz vor der mit Spannung erwarteten Entscheidung des Papstes über den möglichen Einsatz verheirateter Priester am Amazonas auf den Markt gekommen ist, weckte den Eindruck, der ehemalige Papst wolle die Entscheidung beeinflussen. Zwar versuchte Gänswein anschließend, die unselige Kooperation als Missverständnis darzustellen – doch unter der Hand heißt es im Vatikan, dass Franziskus fuchsteufelswild gewesen sein soll. Mit dem Buch-Skandal war wohl die Geduld von Papst Franziskus vollends erschöpft. Italienische Medien berichten sogar davon, dass der Papst dem deutschen Kurienerzbischof zu verstehen gegeben habe, dass er ihn „nicht mehr sehen“ wolle. Danach tauchte Gänswein nicht mehr in der Öffentlichkeit auf. Seither steht der Regent der Päpstlichen Präfektur, Leonardo Sapienza, bei Audienzen an der Seite von Franziskus.

Gänswein, so hört man in Expertenkreisen, habe ein katastrophales Krisenmanagement abgeliefert. Er habe zudem, das ist noch der schwerwiegendere Vorwurf, den 92-jährigen Benedikt nicht genügend geschützt. Er hätte die unselige Kooperation mit dem umstrittenen Kardinal Sarah unbedingt verhindern müssen. Der aus Guinea stammende Sarah ist kein unbeschriebenes Blatt. Der 65-Jährige, der westliche Anschauungen über Homosexualität und Abtreibung sowie islamischen Fundamentalismus mit Nazi-Faschismus und dem Kommunismus des 20. Jahrhunderts verglich, ist einer der Wortführer der Reform-Kritiker in der Kirche. Mancher deutsche Bischof raufte sich in der Vergangenheit die Haare angesichts der Äußerungen Sarahs: „Liest das denn keiner im Vatikan?“ Gänswein, kritisiert ein Beobachter, hätte diesen Kardinal nicht auf den alten Papst „loslassen dürfen“.

Glücklich war der argentinische Papst offenbar ohnehin nie mit der Personalie Gänswein, hört man in Rom. Aber die Konstruktion des „Dieners zweier Herren“ war zunächst auch ein geschickter Schachzug, um eine gewisse Kontinuität zu wahren. Franziskus hatte damit auch einen ständigen Kontakt zu seinem Vorgänger, denn Gänswein kümmert sich morgens um den emeritierten Papst, erledigte vormittags die Geschäfte in der Päpstlichen Präfektur, um dann nachmittags wieder bei Benedikt zu sein.

Mit Gänswein hat Papst Franziskus nun einen weiteren „Getreuen“ von Joseph Ratzinger aus dem Verkehr gezogen. Im Juni 2017 hatte sich der Papst überraschend von einem seiner ranghöchsten Mitarbeiter getrennt und die Amtszeit von Kardinal Gerhard Ludwig Müller als Leiter der Römischen Glaubenskongregation nicht verlängert. Müller verdankte seine Ernennung dem damaligen Papst Benedikt XVI. – und Müller positioniert sich immer wieder als heftiger Kritiker von Reformplänen innerhalb der katholischen Kirche.

Beobachter halten es für ausgeschlossen, dass Georg Gänswein in seine Aufgabe als Präfekt des Päpstlichen Hauses zurückkehren wird. Ob die konsequente Entscheidung des Papstes auch eine Richtungsentscheidung für Reformen bedeutet, halten Experten nicht für zwingend.

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