Beben in der Bischofskonferenz

von Redaktion

Orkan Sabine hat nicht nur halb Europa durcheinandergewirbelt und die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer und Herta-BSC-Trainer Jürgen Klinsmann aus ihrem Amt gefegt – auch in der katholischen Kirche bricht ein Sturm los: Kardinal Marx will nicht mehr Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz sein.

VON CLAUDIA MÖLLERS

München – Wäre es eine Filmszene gewesen, hätten Kritiker dem Drehbuchautoren vorgeworfen, dass der tosende Sturm zu dick aufgetragen ist. Doch die gestern verbreitete Nachricht von Kardinal Reinhard Marx, dass er nicht für eine zweite Amtszeit als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz zur Verfügung steht, konnte in ihrer Dramaturgie nicht besser in Szene gesetzt werden: Düstere Wolken jagen über den Himmel. Der Sturm hat auch die katholische Kirche in Deutschland erfasst.

Reinhard Marx, seit sechs Jahren die starke Stimme der katholischen Amtskirche hierzulande, will nicht in die Verlängerung. Drei Wochen vor der Frühjahrsversammlung der Bischofskonferenz in Mainz (2. bis 5. März) hat er seinen 26 Amtsbrüdern und über 40 Weihbischöfen in einem Brief mitgeteilt, dass sie sich für die kommenden sechs Jahre einen neuen Vorsitzenden suchen müssen. „Schon seit einiger Zeit steht das für mich fest. Meine Überlegung ist, dass ich am Ende einer möglichen zweiten Amtszeit 72 Jahre alt wäre, und dann auch das Ende meiner Aufgabe als Erzbischof von München und Freising nahe sein wird. Ich finde, es sollte die jüngere Generation an die Reihe kommen“, heißt es wörtlich in dem Schreiben. „Alles hat seine Zeit“, zitiert der 66-jährige Reinhard Marx dann den Prediger Kohelet aus dem Alten Testament.

Mit einem solchen Paukenschlag hat niemand gerechnet. Seit fast zwölf Jahren ist Marx Erzbischof von München und Freising. Mit seinem Amtsantritt im Februar 2008 kamen immer mehr Aufgaben auf den tatkräftigen Westfalen zu. Er wurde 2010 in den Kardinalsstand erhoben, leitet den Wirtschaftsrat im Vatikan und zählt zu den engsten Beratern von Papst Franziskus. 2014 wurde er (erst nach vier Wahlgängen) in Münster zum Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz gewählt. Der rhetorisch gewandte Marx wurde zur starken Stimme der katholischen Kirche Deutschlands. „Einer der mächtigsten Kardinäle der Welt“, sagen Beobachter sogar. Und einer, der sich gewandelt hat vom einstigen Repräsentanten der Konservativen zu einem Befürworter einer „menschennahen Kirche“, wie es Alois Glück, der frühere Präsident des Zentralkomitees der Katholiken, beschreibt.

Die Wandlung des Kardinals hat auch zu tun mit der Krise der katholischen Kirche die sich in dem „annus horrribilis“, dem Schreckensjahr 2010, zuspitzte. Dem Jahr, in dem der Missbrauchskandal offenbar wurde. Seitdem kämpft die Kirche und damit auch Reinhard Marx gegen Rekord-Austrittszahlen, sinkende Glaubwürdigkeit und verlorenes Vertrauen. Der Münchner Kardinal erkannte: Nur mit vorsichtigen Reformen kann man die Menschen zurückgewinnen. So macht er sich stark für den gerade vor zwei Wochen begonnenen „synodalen Weg“, in dem Bischöfe und Laien über die Zukunft der Frauen in der Kirche, den Zölibat und die Machtstrukturen diskutieren. Themenfelder, die eine Minderheit in der Bischofskonferenz zur Weißglut bringt. Und so musste sich Kardinal Marx immer wieder der teils heftigen Kritik vor allem bayerischer Amtsbrüder aus Regensburg (Bischof Rudolf Voderholzer), Passau (Bischof Stefan Oster) und Augsburg (der emeritierte Bischof Konrad Zdarsa) erwehren, die gerne den Vatikan einzuschalten versuchten. Ränkespiele, die dazu beigetragen haben dürften, Marx von einer zweiten Amtszeit abzuhalten. Alois Glück hätte auch dafür Verständnis. Hat der CSU-Politiker in den vergangenen Jahren innerhalb der katholischen Kirche doch eine Polarisierung erlebt, „die oft krasser ist als in der Politik“.

Seit seinem 65. Geburtstag denkt der Münchner Erzbischof auch stärker über seine eigene Zukunft nach, hat seine Gesundheit in den Blick genommen. Die Entscheidung zum Ausstieg aus der Vorsitzenden-Rolle, so hört man, sei schon länger gereift. Ein Blick in den Terminkalender mag Verständnis für den Teilrückzug wecken: Ein freier Tag im Monat (!) – wer hält das über Jahre aus?

Jetzt sollen die Jüngeren ran. Im Gespräch sind Peter Kohlgraf (Mainz), Georg Bätzing (Limburg), Franz-Josef Overbeck (Essen) oder Stefan Heße (Hamburg). Reinhard Marx will sich stärker ums Erzbistum kümmern und plant hier einen umfassenden Strategieprozess. Und dann bleiben ja die weltkirchlichen Aufgaben in Rom.

„Kardinal Marx hat wahnsinnig viel geleistet und wahnsinnig viel gleichzeitig gemacht“, sagt Gudrun Lux, Teilnehmerin des synodalen Wegs. Die grüne Stadtratskandidatin aus München traf die Entscheidung des Kardinals wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Dass er nun Ämter abgibt, kann sie verstehen. Aber: „Ich finde es traurig und bin auch wenig besorgt. Wir haben jetzt gerade den synodalen Weg gestartet. Ein Projekt, bei dem Kardinal Marx vorne dran steht. Er bemüht sich, auf Augenhöhe mit den Laien zu sprechen.“ Jetzt treibt sie um: „Wer kommt nach?“ Sie hofft, dass keiner gewählt wird, „der mit angezogener Handbremse auf den synodalen Weg geht“.

Diözesanratsvorsitzender Hans Tremmel bedauert den Rückzug, weil Marx „als Vorsitzender einen richtig guten Job gemacht hat“. Aber die Stimme verstumme ja nicht, er könne sich in anderen Funktion weiter als Kardinal und Sozialethiker einbringen. Wenn er jetzt mehr Zeit für die Erzdiözese habe, könne er das als Diözesanratsvorsitzender nur begrüßen.

Mit großem Bedauern und gleichzeitig „großem Verständnis“ kommentiert Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm die Entscheidung seines Freundes. Als EKD-Ratsvorsitzender hat er über Jahre mit Marx wie ein Tandem die großen christlichen Kirchen repräsentiert. „Ich habe großes Verständnis dafür, dass er wieder mehr Zeit seinem Bistum widmen möchte.“ Um die Ökumene macht sich Bedford-Strohm keine Sorgen. Er glaubt, dass das große Vertrauen zwischen den beiden Kirchen über ihre gute persönliche Verbindung hinausgehe. Aber eines ist für den evangelischen Freund klar: „An unserem persönlichen Kontakt ändert das nichts, für Bayern haben wir umso mehr Zeit.“

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