„Das ist der Krieg unserer Generation“

von Redaktion

Das Coronavirus wütet in Italien und Spanien immer heftiger, die Zahl der Toten explodiert

Rom/Madrid/Paris – Aquilino Apassiti ist 84. Ein Risikopatient. Aber der Italiener ist auch katholischer Seelsorger. Ein Kapuziner. Zuhause zu bleiben ist für ihn keine Option. Im Hospital Giovanni XXIII. in Bergamo spendet er all jenen Trost, die dem Virus nichts mehr entgegenzusetzen haben. Allein am Samstag sterben rund 800 Italiener, über 700 weitere trifft es am Sonntag. „Die Menschen sterben allein, ohne dass jemand kommt, um Abschied zu nehmen“, berichtet Apassati per Telefon. Auch mehr als 50 Priester sind schon am Coronavirus gestorben. Viele, weil sie Infizierten beistanden, so wie Apassati.

Italien hat ein verheerendes Wochenende hinter sich. 5500 Tote gibt es nun, die Sterblichkeit liegt bei rund neun Prozent. Besonders schlimm ist die Lage in der Region Mailand in der norditalienischen Lombardei. Es fehlt an Ärzten, Betten, Beatmungsgeräten. Das Gesundheitssystem hat einen guten Ruf. Aber es sind einfach zu viele, die Hilfe brauchen.

Der israelische Arzt Gal Peleg arbeitet in einer Klinik in Parma. „Die Situation wird immer schlimmer“, sagte er am Sonntag. „Im großen Krankenhaus in Parma, habe ich von Kollegen gehört, ist das Alter der Patienten, denen man bis zum Schluss Sauerstoff gibt und hilft, bis 60.“

Die italienische Regierung reagiert mit noch schärferen Maßnahmen. Ministerpräsident Giuseppe Conte erklärt am Samstagabend in einer Fernsehansprache, landesweit werde jegliche Produktion eingestellt, die für die Grundversorgung „nicht absolut notwendig, entscheidend und unverzichtbar“ sei. In einem Telefonat versprach Kremlchef Wladimir Putin am Samstag Hilfe. Am Sonntag starteten bereits erste Flugzeuge mit medizinischer Ausrüstung, Militärärzten und Virologen aus Moskau. Russland selbst hat bisher noch keinen Toten gemeldet.

Auch in Spanien fordert das Virus massiv Leben. Übers Wochenende wurden viele tausend Neuinfektionen festgestellt, mehrere hundert Menschen starben. 1756 Opfer gibt es schon, die Todesrate stieg innerhalb von einem Tag um fast 30 Prozent. Madrid hat bereits knapp acht Prozent aller Corona-Todesfälle weltweit. Die Intensivstationen sind hoffnungslos überfüllt, das Personal ist total überfordert. Einige brechen sogar bei der Arbeit in Tränen aus, wie „El País“ am Wochenende berichtet. Die renommierte Zeitung titelte in großen Lettern mit der Aussage einer Ärztin: „Das ist der Krieg unserer Generation.“ Ähnlich schlimm ist die Lage nur in der italienischen Provinz Bergamo. Das Sterben geht so schnell, dass inzwischen bizarre Statistiken kursieren. Alle sechs Minuten werde in Madrid ein Coronavirus-Infizierter tot aus dem Krankenzimmer getragen, hat jemand ausgerechnet.

„Wir haben nicht einmal Zeit zum Pinkeln“, klagt ein Mediziner im Vorort Getafe. Mehr als zehn Prozent aller Infizierten sind Ärzte, Pfleger, Sanitäter. Experten warnen, bei Nichtverschärfung der Ausgangssperre werde es schon in den nächsten Tagen einen Kollaps des Gesundheitssystems geben – bis um den 25. März herum.

Die Dynamik versetzt immer mehr Madrilenen in Panik. Trotz strikter Ausgangssperre versuchen Familien immer wieder, aus dem Corona-Hotspot zu fliehen. Laut einem Bericht des Fernsehsenders Telemadrid startete deshalb die Polizei eine Jagd auf Gesetzesbrecher. Die Kontrollen seien am Wochenende an den Ausfahrten der Stadt verstärkt worden. Die Polizeieinheit Guardia Civil berichtete von Dutzenden Festnahmen und Tausenden von Strafanzeigen.

Ministerpräsident Pedro Sànchez stimmte die Bevölkerung auf „sehr harte Tage“ ein. Die Ausgangssperre soll bis 11. April verlängert werden. „Wir müssen uns psychologisch und emotional darauf vorbereiten“, sagte er am Samstag in einer Fernsehansprache. „Das Schlimmste kommt noch.“ Das Land stehe vor der größten Herausforderung seit dem Spanischen Bürgerkrieg. „Wir müssen Zeit gewinnen, um unser Gesundheitssystem besser vorzubereiten“, sagte der Ministerpräsident.

1,3 Millionen Atemschutzmasken und 640 000 Schnelltest-Sets sollen in den nächsten Tagen verteilt werden. Zudem wurden weitere 52 000 Kräfte mobilisiert, darunter 14 000 pensionierte Ärzte und Krankenschwestern. In Madrid entsteht gerade ein Feldlazarett für mehr als 5000 Betten, Hotels werden zu Krankenhäusern umfunktioniert.

In Frankreich ist erstmals ein Arzt nach einer Infektion mit dem Coronavirus gestorben. Auch in Frankreich steigt die Zahl der Toten stark an, 562 waren es am Sonntagabend bereits. Die an der Grenze liegenden Bundesländer Saarland und Baden-Württemberg haben bereits schwerstkranke Corona-Patienten aus Frankreich abgenommen. Derzeit gebe es freie Kapazitäten bei Beatmungsplätzen.

W. HAUSKRECHT, MIT DPA/AFP

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